Air

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"Nimm den Dolch weg, seer. Nimm. Ihn. Weg.", sagte sie langsam und sah mich eindringlich an, doch ich rührte mich nicht.

Sváya seufzte und verdrehte die Augen. Sie führte ihre zarten Hände an ihren Hals und berührte die Klinge. Angespannt hielt ich den Atem an.
Die Schneide verlor an Glanz und die feinen Maserungen wurden kantig und grob. Eine bräunliche Farbe breitete sich auf dem Messer aus und eine dicke borkenartige Kruste bedeckte allmählich den Dolch.

Holz.

Ich hielt ein einfaches Stück Holz in der Hand. Keinen scharfen Dolch mehr.

Entsetzt sah ich Sváya an, doch sie zeigte kaum eine Regung. .

"Wa-", doch ich unterbrach mich selbst. Nichts ergab mehr einen Sinn. Mein Körper gab auf und auch meine Gedanken ergaben nur noch wirres Zeug. Ich gab auf. Niedergeschlagen senkte ich den Kopf und Sváya nahm mir das Holz aus der Hand.
"Du solltest jetzt schlafen, seer. Wenn der Regen morgen aufhört, gehen wir weiter."

Der Wind ließ den Regen an die Steine peitschen und flutete die Dreckschichten fort, um weiter auf ihre nackten Körper einzuprügeln, bis einzelne Brocken schließlich aufgaben und schellernd in die Tiefen zu stürzen. Bei jedem Aufschlag wummerte der Boden und erstickte die verzweifelten Klagerufe, die kaum verklangen, bis die nächsten Schreie ertönten.

Und er lief.

Ächtsend wankten die gigantischen Bäume unter der Gewalt des Sturms, krallten sich mit ihren Wurzeln in den Boden, der nach und nach davongeschwemmt wurde. Fast mühelos riss der Sturm ihnen die Äste von den Stämmen, zerfetzte ihre Kronen, bis kaum die Skelette zurückblieben, die bei jedem mächtigen Zug immer mehr brachen und zersplitterten.

Panisch sah er immer wieder um. Wahnsinn und Angst spiegelten sich in seinen Augen, doch er rannte weiter.

Kreischend lehnten sie sich auf, doch drosselte er sie unter tosendem Geheul. Zuerst die Tannen, die Fichten und Nadeln, deren flaches Wurzelwerk schnell den Halt verlor. Brutal schlug er sie zu Boden, dass sie alles unter sich begruben. Schließlich die Erlen, Buchen und Eichen, deren gewaltige Stämme den Boden aushoben, der noch nicht fortgeschwemmt war und gigantische Krater hinterließ. Wie Beton zermalmten sie den Grund unter sich, ließen ihn erbeben, wie der Donner grollte.

Er übersah eine Wurzel und fiel auf die Knie. Nie würde er sich ergeben, doch sie war so nah. In den dunkelsten Schatten, die die toten Bäume warfen, meinte er sie zu sehen, nie mehr als eine Silhouette, deren Umhang vom Sturm umhergerissen wurde. Doch wie die Schatten kamen, verschwand sie wieder.
G

ebannt starrte er in den Himmel aus endlosem Grau und Schwarz. Sein Atem rasselte und seine Augen brannten. Sie würde ihn finden, so weit er auch rannte und er wäre verloren. Neben ihm krachte wieder ein Stamm und der Baum sauste zu Boden, keuchte unter der eigenen Last. Zerbrach daran, dass er sie nicht tragen konnte.
Er wandte den Blick ab. Sollte dieser Sturm noch länger wüten, würde er den gesamten Wald niedermetzeln, auf dass nichts als Ödland zurückblieb.

Die Tropfen schlugen auf den Boden ein, gruben sich durch seine Haut, zerissen ihn in seine einzelnen Körner und vermengten sie zu einer zähen Masse, die die kläglichen Halme ertränkte, die wohl einmal in der Form von Baumriesen weilten.

Er sprang über den Baumstamm und wäre beim Aufkommen fast auf dem schlammigen Schlickboden ausgerutscht, doch er griff rechtzeitig nach einem Ast, dessen gebrochene Arme ihm jedoch die Handfläche zerstach. Fluchend betrachtete er die Wunde, aus der das Blut quoll und sich mit dem Dreckwasser und Regen vermischte. Es lief seinen Arm hinunter, schlängelte sich in Ranken um seine Gelenke und bedeckte den Schorf alter Wunden, grub sich in die Poren seiner Haut. Rote Tropfen fielen zu Boden und färbten die kleinen Schlammbäche rot. Das Blut breite sich auf dem Boden aus, wucherte wie Efeu an den noch stehenden Bäumen empor. Bald regnete es Rot vom Himmel und das Zischen seiner Wunde vermischte sich mit den Schreien des sterbenden Waldes.
Sie hatte ihn gefunden, brachte ihm den Wahnsinn, ließ ihn quälend langsam verrecken, dass er sich selbst dabei zusehen konnte. Den eigentlichen Sturm hatte er längst aus den Augen verloren.

Doch der Wind pfiff seine qualvolle Melodie und ließ die Fallenden seine Bässe spielen.

Sie hatte ihn gefunden.

MarryaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt