Kapitel 20

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James hielt sein Versprechen. Denn keine zwei Abende später, standen er und ich vor meinem Elternhaus und begrüssten meine Mutter mit einem Blumenstrauss und meinen Vater mit einem guten Wein. James kannte die Anstandsregeln in und auswendig. Er war ein vollkommener Gentleman, der wusste, wie meiner Mutter zu schmeicheln war und wie meinem Vater Respekt gezollt werden musste. Sie waren beide hin und weg. Nicht schwer, wenn man den Charme von James hatte.

Meine Mutter hatte sich unglaublich ins Zeug gelegt und eine Köstlichkeit nach der anderen gemacht. Ich hatte schon beinahe ein schlechtes Gewissen, wenn ich auf den herrlich gedeckten Tisch, mit dem teuren Porzellan hinunterblickte. Sie musste gewiss, seit den Morgenstunden hinter dem Herd gestanden sein. Ich hätte mir denken können, dass sie masslos übertreiben würde. Wir waren hier zu fünft einschliesslich Meli, welche mehrheitlich an ihrem neuen iPad hing und uns gar keine grosse Beachtung schenkte. Das Essen, welches jedoch angerichtet worden war, hätte gut für eine Armee gereicht.

„James, nimm doch noch etwas mehr. Dein Teller ist schon leer", unterbrach meine Mutter das Gespräch zwischen James und Papa, welches sich um das Geschäft drehte und wollte ihm noch mehr Kartoffelpüree auf den Teller klatschen, aber James hob abwehrend die Hände.

„Ich kann unmöglich mehr essen! Vielen Dank, dass Essen war ausgezeichnet, aber ich hatte schon beim zweiten Schöpfen genug", erwiderte James schnell und verhinderte, dass ihm erneut eine Ladung auf den Teller gehievt wurde.

„Ach bitte mein Liebster! Als Mann braucht man viel mehr Energie", erwiderte meine Mutter ahnungslos chauvinistisch für meinen Geschmack, aber so war sie nun mal.

„Ich glaube, dass würde sich nicht mehr als Energie sondern als Fettreserve anstauen", erwiderte James und meine Mutter kicherte wie ein Teenager, der vom Captain der Footballmannschaft angesprochen wurde.

„Und ich dachte, dass sich nur die Braut vor der Hochzeit um ihre Figur kümmern müsse", mischte sich mein Vater ein und zwinkerte mir im Halbscherze zu. James sah hinüber zu mir und lächelte leicht.

„Ich will Adriana nicht zutrauen müssen, dass sie neben einem Bräutigam stehen muss, der nicht mal seinen Hosenknopf zukriegt." Meine Eltern begannen beide zu lachen. Ich sah hinüber zu James und musste leicht lächeln. Nicht dass er witzig war. Er hatte diesen alte-Leute-Humor, aber es war so süss, dass ich nicht anders konnte, als zu lächeln.

James war viel offener, als er es jemals zuvor war. Ich wusste nicht, woher der drastische Wandel kam, aber seit unserem Gespräch hatte er sich erdenklich viel Mühe gegeben mir entgegenzukommen. Er war viel öfters in der Wohnung und ass mit mir gemeinsam zu Abend oder zu Morgen. Wir sahen uns Filme an, haben die Kunstgalerie eines Freundes von ihm besucht und jetzt waren wir bei meinen Eltern und assen gerade zusammen Abendessen. Das alles hatte sich in der Kürze einer Woche entwickelt und ich war selber noch erstaunt darüber, wie anderes es mit James aussehen konnte, wenn er sich auch die Mühe machte mich kennenzulernen.

Ich hatte James bis jetzt als nur schwerarbeitendes Mogul angesehen, aber es steckte so viel mehr hinter dieser Fassade, die ständig lächelte. James war auch ein grosser Familienmensch, er sorgte sich um seine Eltern und er versuchte es ihnen immer recht zu machen. Er hatte auch Unsicherheiten und wollte niemanden enttäuschen. Er war klug, aber auch sehr nachgiebig. Ein Nachteil, der sich oft besonders bei seiner Mutter zu sehen liess. Verglichen mit seinem Bruder, war James viel mehr danach aus Konflikten aus dem Weg zu gehen und es allem Recht zu machen. Ihm wäre wahrscheinlich nie im Traum eingefallen seiner Passion nachzugehen, wie es Blake gemacht hatte. Vielleicht war er deswegen so schlecht auf seinen kleinen Bruder zu sprechen. Für ihn schien das wie ein Hochverrat an die Familie zu sein, wogegen Blake sich den Fesseln entlassen gesehen hatte. Das war jedenfalls meine eigene Beobachtung. Was wirklich alles zwischen ihnen vorgefallen war, haben beide Brüder noch sehr gut vor mir verheimlicht.

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