"Lisa?", hörte ich Ben quer über den Hof rufen. Ich hatte meine Stute Darling gerade fertig geputzt, denn an diesem Tag wollten ich und Ben einen entspannten Ausritt machen. Das war ein kleiner Ausgleich zu der ganzen Arbeit auf dem Gestüt. Natürlich war es toll den ganzen Tag mit den Pferden arbeiten zu können und da meinen Eltern das Gestüt gehörte durfte ich auch so ziemlich machen, was ich wollte. Trotzdem war es anstrengend, denn der Trainingsplan ließ kaum Zeit für Pausen. Distanzrennen waren eben mit sehr viel Training verbunden, das meistens sehr anstrengend war. Ich ritt allerdings nur selten die Araber meiner Eltern. Ich hatte da ganz andere Dinge, die ich lieber tat, denn mein Herz gehörte dem Springsport. Seit zehn Jahren ritt ich mit meiner Stute nun schon die ganz großen Springturnier. Von der Weltmeisterschaft bis hin zu Olympia hatten wir so ziemlich alles mit genommen und konnten sehr viele, große Erfolge feiern.
Nun aber zurück zu Ben. Der kam nun zu mir und sagte: "Wir haben da ein Problem."
"Und das wäre?", fragte ich. Ich wusste, dass Ben den Hang dazu hatte immer etwas zu übertreiben und dachte mir schon, dass sein "Problem" nichts weiter schlimmes war.
"Shalima hat sich vertreten und kann nicht laufen.", berichtete Ben. Shalima war sein Pferd. Eine wunderschöne, fuchsfarbene Stute mit einer interessanten Blesse. Mit ihr ritt er erfolgreich die ganz großen Distanzrennen.
"Und wo liegt da jetzt das Problem?", fragte ich nun.
"Unser Ausritt muss dann leider ausfallen.", meinte Ben.
"Warum? Wir können doch zusammen auf Darling reiten."
"Kann die uns denn beide tragen?"
"Ben, wie oft sind wir jetzt schon zusammen auf ihr ausgeritten? Nach den paar Wochen Winterpause wird sie wohl kaum so schwach geworden sein, dass sie uns nicht mehr tragen kann."
"Okay."
Ich räumte nun das Putzzeug an die Seite und legte Darling ihre Trense an. Mit Schwung schwang ich mich nun auf den bloßen Rücken der Stute. Ben hatte da nicht all zu große Probleme mit, denn er war mit seinen bald zwei Metern deutlich größer als ich mit meinen stolzen 1,50. So konnte er sich ohne große Mühe auf den Rücken der Stute schwingen und setzte sich hinter mich.
Im Schritt ließen wir das Gestüt nun hinter uns und ritten entspannt durch den Wald. Wo wir hin ritten war von Anfang an klar gewesen. Wir hatten einen Lieblingsplatz, der uns viel bedeutete. Dort hatten wir schon viele tolle Momente verbracht und auch einige der etwas schwierigeren Momente in unserer, mittlerweile bereits seit zehn Jahren bestehenden, Beziehung durchlebt. Immer wieder zog es uns zu diesem Platz und er war fast immer das Ziel unserer Ausritte.Als wir dann ein Stück geritten waren, trabte ich Darling nun an. In einem ruhigen Tempo ließen wir so schon bald den Wald hinter uns und gelangten an einen längeren Feldweg, der zu einem weiteren Wald führte. Darling kannte diesen bereits und spitzte die Ohren, denn dies war unsere Galoppstrecke.
Ich gab meiner Stute nun die Zügel frei und diese raste im vollen Galopp den Weg entlang.
Am Anfang des Waldes parierte ich sie wieder durch zum Trab und wir trabten den Rest des Weges, bis der Wald sich langsam lichtete und den Blick auf einen Fluss frei gab. Das war er. Unser Lieblingsplatz.
Am Ufer angekommen stiegen wir ab und setzten uns auf einen Felsen, der aus dem Wasser ragte. Das war unser Stammplatz. Hier konnte man einfach sitzen, die Seele baumeln lassen und seinen Gedanken nach hängen. Es gab wirklich nichts besseres, was man nach einem langen Arbeitstag hätte machen können.
An diesem Tag war allerdings etwas anders. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie war Ben ziemlich unruhig. Irgendwas schien ihn zu beschäftigen.
"Warum bist du heute so unruhig?", fragte ich ihn direkt.
"Bin ich nicht.", meinte Ben.
"Natürlich bist du das. Was ist los?"
"Nichts."
"Ben! Du kannst mich nicht anlügen! Gib es einfach auf! Dazu kennen wir uns zu gut. Was beschäftigt dich?"
"Ich hab keine Ahnung, wie ich dir das jetzt sagen soll.", sagte Ben nun und so langsam machte er mir etwas Angst. Wollte er jetzt etwa Schluss machen?
"Leg einfach los. Ich reiß dir schon nicht den Kopf ab.", sagte ich jedoch zu ihm. Bei letzterem war ich mir mir noch nicht so sicher, aber ich konnte ihn ja erstmal in dem Glauben lassen.
"Vorher musst du mir aber erst etwas versprechen.", sagte er nun und verwirrte mich damit noch mehr. Was wollte er mir verdammt nochmal sagen? Das war so typisch Ben. Konnte der nicht einfach frei heraus sagen, was er wollte? Wir waren doch hier völlig ungestört. Da war er doch sonst nicht so schüchtern.
"Was denn?", fragte ich nun.
"Bitte verspricht mir, dass wir, egal, was jetzt passiert, immer befreundet bleiben.", sagte er. Okay. Das machte mir jetzt wirklich Angst! Das klang schwer, als ob er wirklich Schluss machen wollte. Trotzdem beteuerte ich: " Ist versprochen."
Von Ben kam nur ein Nicken, bevor er auf stand und mich schüchtern an schaute.
"Jetzt leg los! Ich werde dich schon nicht für immer hassen. Keine Sorge. Höchstens wenn du mich jetzt hier noch länger auf die Folter spannst!", machte ich etwas Druck. Ich wollte jetzt endlich wissen, was er mir sagen wollte!
"Okay. Kurz und schmerzlos.", sagte Ben nun und kniete sich auf den Boden. Spätestens, als er in seiner Jackentasche kramte hätte ich verstehen müssen, was los war, aber ich stand irgendwie auf der Leitung und schaute ihn nur verwundert an. Erst als er ein Kästchen aufklappte und zwei Ringe zum Vorschein kamen verstand ich und schaute ihn völlig entgeistert an.
"Willst du mich heiraten?", fragte er. Ich war in dem Moment jedoch unfähig mich auch nur ansatzweise irgendwie zu bewegen. Fragend schaute Ben mich an, doch ich war einfach viel zu überwältigt, um mich irgendwie zu bewegen, geschweige denn etwas zu sagen. Ich hatte wirklich damit gerechnet, dass er jetzt Schluss machte. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass der schüchterne Ben sich tatsächlich trauen würde mir einen Antrag zu machen!
"Würdest du bitte irgendwas dazu sagen?", fragte Ben nun leicht verzweifelt. Ich wusste wie sehr ich ihn gerade quälte, aber ich musste gerade erst einmal verarbeiten, was da gerade passiert war. Erst langsam wurde mir wirklich bewusst, was er mich da gerade gefragt hatte. Ben wollte mich heiraten. Die Frage war nur, ob ich das auch wollte. Natürlich wollte ich das. Ich liebte ihn, aber diese Frage war einfach so endgültig. Ich war immerhin erst 24. Wollte ich da wirklich schon heiraten? Und vor allen Dingen eine Sache beschäftigte mich. War es möglich mit 14 die große Liebe zu finden? Würde das gut gehen? Andererseits waren wir nun schon zehn Jahre zusammen und liebten uns noch genauso sehr, wie am Anfang unserer Beziehung. Sollte ich wirklich ja sagen? Ich wollte es. Ich wollte es mehr, als alles andere auf der Welt, aber ich hatte auch Angst, dass es falsch sein könnte und dass es dann nie wieder so werden würde, wie es war.
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Der letzte Sprung - #Wattys2016
Romance"Der letzte Sprung" ist die Fortsetzung von "Sprung ins Glück" Wieder geht es um Lisa, die mit Darling 10 Jahre später noch immer erfolgreich Springturniere geht. Auch mit Ben ist sei noch immer glücklich zusammen. Alles ist perfekt, doch dann soll...