3. Person

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"Es ist schön. Das Leben ist schön."

Feste, standhafte Gläser auf dem hohen Regal. Kein Traum, sondern Wirklichkeit.
Die Wirklichkeit, die wir uns so häufig ins Gedächtnis zurückzudenken versuchen.

Eine Erinnerung. Eine Erinnerung wie ein Traum.
Mal da, mal verschwunden, hauptsächlich unsichtbar.

Die Narben. Klein, fein, wie die Gläser. Unsichtbar, dennoch da.
Groß oder klein, die Wichtigkeit ist entscheident.

Was ist wichtiger? Die Narben, oder das Leben. Es hängt zusammen und doch denkst du über das eine mehr nach, als über das andere.
Das Leben hält an, dauert länger. Doch Narben halten ewig.

Dennoch, das Leben beinhaltet einen längeren Nachdenkprozess. Umständlich, kompliziert, aber trotzdem so wichtig.
Wie die Gläser, die auf dem Regal stehen.
Es ist unsere Persönlichkeit. Ungenau, ungeklärt, unverständlich.
Niemand versteht sie, nicht mal du.

So viele Träume. Für nichts.
Nach und nach zerfallen sie der reihe nach, langsam, zerbrechliches Glas aus Porzellan.

Und mit ihm die Träume. Sie verfliegen wie der Wind.

Leise, spurlos.

Und mit ihm letztendlich auch die Persönlichkeit.

Das Selbst verschwindet immer mehr.
Es fällt nicht auf, niemand sieht es, nicht mal du.
Marionettenhaft hängst du daran, an dem Leben, das uns nicht erhält. Es will dich nicht.
Es bestraft dich jeden Tag aufs Neue.

Deine Existenz ist nicht gewollt.

Ungewollt, unentdeckt und so zerbrechlich. Interessante Faktoren, die zusammen spielen.
Manche werden stark. Sie verstecken sich hinter Masken, niemand darf sie mehr sehen, ihr Inneres zerbricht. Wird zerstört von der Existenz ihrer selbst.

Andere verfallen. Zag und einsam verwelken die kleinen Blumen, die aus der Erde sprießen.

Äußerer Einfluss,
Familie,
Freunde,
Streit.

Ganz leicht.

Sie sterben.

Wir zweifeln und schließlich stirbst auch du.

Ob früher oder später, irgendwann ist es so weit.

Vielleicht ist dieser Gott, der entscheidet. Dieses unerreichbare, existenzlose Wesen, irgendwo. Mag er es sein, der entscheidet?
Sollst du warten, auf die schönen Momente des Lebens?
Mal ist es traurig, aber es soll sich verändern, sich verwandeln in etwas wunderbares?

Unverständlich, nicht vorhanden.

Abgehakt, ein weiterer Punkt in diesem Leben.

Schöne Momente, sie erreichen uns. Manchmal, ganz klein, zaghaft, kaum spürbar. Aber sie sind vorhanden. 
Traurige Momente, sofort, plötzlich, deutlich spürbar und extrem vorhanden.
Was ist los? Was ist falsch an diesem Leben? Bist bloß du es? Bloß du, der die Schere ansetzt? Die Schere an den roten Faden des Lebens?

Nein, fast jedem geht es so, du bist nicht allein.

Laufe nur, das ist ein Rat.
Ein schwieriger Rat, meistens hilft er nie.

Laufen. Manche sind dazu geboren und sprinten, andere fallen und kippen um.
Ganz einfach und plötzlich.
Wahrscheinlich zu unverständlich.

Es ist normal, wenn du nicht laufen kannst, in Ordnung, ich kann es auch nicht. Viele erreichen diesen Sprung zwischen Leben und Wirklichkeit nicht.
Starte einen Versuch, du wirst scheitern.

Langsam verschwindet die Sicht.
Es ist die Welt, das Leben, das langsam zerbricht.
Immer mehr bist es nicht du.
Es ist ein neues, zuvor nicht vorhandenes Ich.
Wir verändern uns.
Auch du.

Wie ein Schleier legt er sich auf unsere Sicht, ganz langsam, beinahe unscheinbar.
Wir betrachten uns als andere Person, sehen uns in einem zweiten, anderem Ich.
Wir sind nicht vorhanden, bloß ein seelenloser Körper, der umherwandert.
Ziellos und verlassen.
Verlassen von uns, von den Träumen, dem Charakter, dem Ich, an das wir uns nicht erinnern können.
Was ist geschehen, das es nicht mehr existiert?
Es sind die Narben. Die Narben, die mit jeder Weiteren bedeutungslos werden.

Mehr und mehr, vollkommen gleich.
Sie alle.
Selbes Muster,
selbe Farbe,
selbe Art.
Nichts ist anders, alles ist gleich.
Gleich wie der Alltag des Lebens.
Normal, gleichgültig, unscheinbar.

Vollkommen egal rieseln die letzten Lebenstropfen auf uns herab. Die letzten Gläser fallen, Träume zerplatzen und verwehen im Wind.

Gedankenlos, einsam und allein.

Nach und nach, immer eins nach dem Anderen.
Der Sterbeprozess ist ein langsamer.

Vielleicht befreist du dich davon. Ich nicht.

Es ist schlicht vorbei.

Der letzte Tropfen ist gefallen.

Ein seelenloser Körper, eine neue Figur, zur Marionette verformt.
Zum Mitmacher gemacht, zur Spinne ausgebildet.

Doch auch das verweht. Es bleibt nichts als eine tote Seele, äußerlich lebst du, aber bloß das Objekt seiner Selbst, faszinierend anzusehen.

Neu und unscheinbar, auf ewig allein.

Ich bin gestorben,
Mal sehen, ob du dich besser hälst.

Wie deine Seele sich hält.









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