Kapitel 9

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Mein erster Gedanke als ich wieder aufwache ist: Kann bitte jemand diese peinlichen Momente der letzten Minuten aus meinem Kopf löschen? Mein zweiter Gedanke ist: Warum zum Teufel brennt meine gesamte Haut so, als wäre ich durch ein Feuer spaziert? Und mein dritter Gedanke lautet: Warum hört der Boden nicht auf zu wackeln? Um diesen Fragen besser auf den Grund gehen zu können, öffne ich zaghaft eines meiner Augen einen Spaltbreit. Vor mir sehe ich die Gestalt einer halbnackten Frau, die auf ein T-Shirt gedruckt ist und sich mit den Händen die Brüste hält. Träume ich etwa noch? Und wenn ja, warum träume ich derartiges? Nun öffne ich auch mein zweites Auge. Verwirrt wandert mein Blick, von dieser Frau in Unterhose, aufwärts. Als erstes ist ein Hals zu erkennen, dann gerät ein allzu bekannter Kopf in mein Blickfeld. Laif, der mich mit seinen muskulösen Armen wie eine Prinzessin trägt und mich beruhigend an sich drückt. Mir gefällt dieses warme prickelnde Gefühl, welches sich in meinem ganzen Körper ausbreitet. Bisher scheint er noch nicht bemerkt zu haben, dass ich wieder bei Bewusstsein bin. Plötzlich lodert die nächste beißende Flamme an meinem Körper auf. Vor Schmerz fange ich an zu schreien, wobei sich der Laut, der aus meinem weit aufgerissenen Mund entflieht, eher wie der Schrei eines Hundes anhört, dem man ausversehen auf den Schwanz getreten ist. Erschrocken blickt Laif zu mir hinunter. „Mel, wir sind gleich da. Sei noch für einen Moment tapfer.", beruhigt er mich. „Ist sie aufgewacht?", fragt eine besorgte Stimme, die zu Frau Sander gehört. Ich merke an Laifs Brust wie er nickt. Ich blicke starr in sein Gesicht, klammere mich an seinem Anblick fest, aus Verzweiflung wieder in Ohnmacht zu fallen. Mir fallen, trotz meines brennenden Körpers, die sanften Züge seines Gesichts auf. Seine schmalen Lippen, welche vor Besorgnis aufeinander gepresst sind. Und seine grünen Augen, in welchen ich mich immer wieder verliere, eintauche, wie in einen tiefen, unergründlichen See. Starke Arme versuche mich aus dem See zu ziehen, in welchem ich beinahe ertrinke. Doch dann drifte ich wieder in die Dunkelheit ab.

Als ich wieder halbwegs bei Sinnen bin, liege ich auf einem weichen Bett. Die Flammen, welche an meiner Haut geleckt haben und mich aufzufressen schienen, sind einer Taubheit gewichen, um welche ich in diesem Moment sehr dankbar bin. Um mich herum sitzen Laif und Frau Sander. Als sie merken, dass ich wieder bei Bewusstsein bin höre ich sie erleichter aufatmen. „Wo bin ich?", flüstere ich. „Wir haben dich zum Schularzt gebracht.", meint Frau Sander und fügt hinzu: „Herr Stegner sagte, dass du großes Glück gehabt hast, da du bis auf wenige tiefere Wunden nur Schnittwunden davongetragen hast. Er hat dir ein Schmerzmittel verabreicht, welches die nächsten Stunden deinen Schmerz lindern sollten." „Meine Haut hat sich vorhin angefühlt, als würde sie in Flammen stehen.", stöhne ich. „Es tut mir so leid. Wenn ich dich besser festgehalten hätte, dann wäre das alles nicht passiert.", jammert Laif und versteckt sein Gesicht hinter seinen Händen. „Das ist ganz allein meine Schuld gewesen, Laif. Ich hätte von Anfang an die Wahrheit sagen müssen, dass ich nämlich kein bisschen tanzen kann.", seufze ich. „Warum hast du es denn nicht erzählt?", fragt mich Frau Sander und neigt ihren Kopf währenddessen ein wenig zur Seite. Ich atme tief durch und erkläre dann dieses Desaster: „Als meine Mutter mir von ihrem neuen Job an der Tanzschule erzählt hat, war ich um ehrlich zu sein nicht gerade begeistert von der Idee hier auf die Schule zu gehen. Wer fängt auch einfach mal so gerne ein neues Leben an? Ich war richtig sauer auf sie. Also habe ich so gut wie gar nicht mehr mit ihr geredet, geschweige denn mich über diese Schule hier informiert, um ihr zu zeigen, wie enttäuscht ich über sie bin. Mein Plan ist aufgegangen. Bis vor wenigen Tagen, war das einzige, was ich über die Schule wusste das Tanzen, wobei mir nicht klar war, auf welchem Level ihr hier wirklich tanzt. Da ich nicht vortanzen musste, um überhaupt genommen zu werden, ist es auch nicht aufgeflogen, dass ich kein bisschen tanzen kann." „Du kannst also wirklich überhaupt nicht tanzen?", unterbricht mich Frau Sander mit weit aufgerissenen Augen. „Naja, ich habe vor ungefähr einem Jahr einen Grundtanzkurs gemacht.", versuche ich mich zu verteidigen. „Warum, um Himmels Willen, hat dich deine Mutter dann mit hierher geschleppt. Du hättest ja genauso gut in eine normale Schule in der nächsten Ortschaft gehen können.", durchlöchert mich Frau Sander weiter mit Fragen, wobei sie sich immer weiter zu mir vorbeugt. Ich zucke mit den Schultern. „Woher soll ich das bitte wissen. Fragen sie doch einfach meine Mutter.", denke ich mir, spreche es aber nicht laut aus. Plötzlich werde ich unendlich müde. Am liebsten würde ich die beiden aus diesem Zimmer schicken, um endlich ein wenig Ruhe zu finden, doch stattdessen antworte ich ihr: „ So ist sie halt. Was sie will, das wird auch so gemacht und keine Wiederrede. Dazu kommt auch noch, dass es schon immer ihr größter Traum war, mich einmal so tanzen zu sehen, wie sie es früher gemacht hat." Den letzten Satz flüstere ich nur noch und bin mir nicht ganz sicher, ob die beiden ihn verstehen. "Ich denke, meine Mutter hat einfach vergessen ihnen mitzuteilen, dass ich eine Anfängerin bin. Sie hat zur Zeit als neue Rektorin wahnsinnig viel zu tun.", füge ich hinzu und versuche meine Mutter zu verteidigen. „Und was machen wir jetzt?", fragt Laif die Lehrerin. Frau Sander blickt einen Moment zwischen mir und Laif hin und her, dann erhellt sich ihr Gesicht. „Laif, du wirst Melanie ein wenige Nachhilfe im Tanzen geben."

Dance if you canWo Geschichten leben. Entdecke jetzt