Kapitel 11

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Als ich die Türe zur Garderobe aufmache, bemerke ich sofort, dass Laif noch nicht anwesend ist. Deshalb ziehe ich mir ohne Eile meine Tanzschuhe an und begebe mich in den Tanzsaal. An der Stelle, an der ich mit voller Wucht gegen den Spiegel geknallt bin, sticht nun die weiße Wand zwischen den restlichen Spiegeln besonders hervor. Bei der Erinnerung an den gestrigen Tag schießt mir sogleich die Schamesröte ins Gesicht und ich wende mich schleunigst von diesem Anblick ab. Stattdessen setzte ich mich auf einen der Stühle, die am Rand der Tanzfläche aufgestellt sind. Dann warte ich und warte. Nach zehn Minuten ist immer noch keine Spur von Laif zu sehen. Langsam werde ich unruhig, verlagere immer wieder mein Gewicht von einer Pobacke auf die andere und drehe schließlich in dem großen Raum ein paar Runden. Als ich schon fast wieder enttäuscht meine Straßenschuhe anziehen will, höre ich, wie eine Türe zugeschlagen wird. Nach einem kurzen Moment erscheint Laif im Türrahmen. Statt sich für seine Unpünktlichkeit zu entschuldige grummelt er nur: „Dann fangen wir mal an." „Dir auch >hallo<. Und schön, dass du dich für deine Unpünktlichkeit entschuldigt hast.", antworte ich ihm ironisch. Laif, der sich schon in Richtung Stereoanlage aufgemacht hat, bleibt in der Bewegung abrupt stehen und dreht sich langsam zu mir um. „Jetzt halt mal den Ball flach Prinzessin. Du kannst froh sein, dass ich mir überhaupt Zeit für dich nehm." Erschrocken über diese schamlose Äußerung, ziehe ich scharf die Luft ein. „Was ist dir denn wieder über die Leber gelaufen?", frage ich entrüstet. „Nichts, was dich angeht.", zischt er zurück. Beschwichtigend hebe ich die Arme. „Kein Stress. Mich interessieren deine Probleme eh nicht." Statt mir zu antworten, dreht sich Laif wieder um und macht sich weiter auf den Weg zur Stereoanlage. Dies verschafft mir für einen Moment Zeit mich wieder zu sortieren. Ich weiß, dass Laif ein Arschloch sein kann, aber dass er sich so aufführen würde... damit habe ich nicht gerechnet. Gestern war er noch so lieb und heute, Päng, ist er wie eine andere Person, gemein und unberechenbar. Als ich über dies nachdenke, merke ich, wie die Schmetterlinge, welche seit gestern in meinem Bauch umhergeflattert sind, immer schwächer werden, bis das Gefühl komplett verschwindet und eine gewisse Lehre in mir zurück bleibt, welche sich jedoch sofort mit Abneigung gegen diese Person füllt. Wenn er ein derartiger Mistkerl sein kann, dann kann ich das erst recht. Oder noch besser: Ich lasse keine Gefühle mehr für ihn in mein Herz, werde wie eine Statue, steinhart und gefühlslos. Mit diesem neuen Vorsatz straffe ich meine Schultern und frage ihn monoton: „Mit was fangen wir nun heute an?" Laif scheint meine Stimmungsänderung nicht zu bemerken, oder es ist ihm schlichtweg egal. So antwortet er genauso emotionslos: „Ich schätze mit den Grundschritten von Disco Fox. Die solltest auch du hinbekommen." Seinen letzten Satz übergehe ich einfach. Stattdessen nicke ich ihm zu. „Dann fangen wir mal an." Laif kommt zu mir herüber und ich lege meine linke Hand auf seine Schulter und die Rechte in seine Hand. Wir stehen uns direkt gegenüber und ich blicke ihm in seine grünen Augen. „Melanie, reiß dich zusammen.", tadel ich mich. Dann beginnt er zu erklären: „Du gehst nun mit deinem rechten Fuß nach hinten, dann folgt der Linke dem Rechten und dann tippst du mit deinem rechten Fuß neben den linken. Danach gehst du einfach wieder mit der gleichen Schrittfolge nach vorne." Konzentriert höre ich ihm zu, denn obwohl ich all die Schritte schon einmal im Grundtanzkurs gelernt habe, scheint es mir eine gute Wiederholung zu sein. Nach seiner Erklärung fangen wir an dies zu tanzen. Der Schritt ist nicht schwer und nach einer Weile scheint Laif mit mir zufrieden zu sein. „Das passt schon mal. Ich werde dir als erstes von allen Tänzen die Grundschritte zeigen, bevor wir mit etwas schwereren weitermachen." Wieder nicke ich. „Als nächstes ist der Cha- Cha- Cha an der Reihe." Auch hier erklärt er mir zuerst die Schritte, bevor wir sie dann langsam tanzen. Nach einer Stunde schwirrt mir der Kopf von all den Schritten und ich merke, wie mein Kopf vor Anstrengung anfängt zu brutzeln. Doch zugleich macht es mir unglaublich viel Spaß mit Laif zu tanzen. Dies liegt vielleicht daran, dass er - wie ich zugeben muss- wirklich gut führen kann. Wenn ich einmal bei einem Schritt unsicher bin, schließe ich einfach meine Augen und lasse mich fallen, denke an nichts außer seiner Hand, welche mich leicht in die richtige Richtung zieht. Letztendlich ist sogar meine schlechte Laune, welche ich zu Beginn dank Laif bekommen habe, verschwunden. Stattdessen ist ein Lächeln auf meinen Lippen entstanden, welches ich nicht wieder wegwischen kann. Viel zu schnell ist die Stunde vorbei. Als sich schließlich Laif aus meinen Armen löst, tritt sofort eine Leere an seinen Platz. Ich schlinge meine Arme um meinen Körper, um dieses Gefühl loszuwerden. Doch so recht scheint es mir nicht zu gelingen. „Es wäre gut, wenn du diese Schritte bis zum Nächsten Mal trocken übst, damit du sie nicht wieder vergisst und wir wieder von Vorne anfangen müssen." „Alles klar, Chef.", witzel ich vor lauter Glücksgefühlen herum. Laif blickt mir für einen Moment tief in die Augen. Sie werden plötzlich ganz weich und sehen mich fast liebevoll an. Wieder verliere ich mich in dem grünen See seiner Augen. Er öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, überlegt es sich jedoch anders und schließt ihn wieder. Dann dreht er sich abrupt um und ruft mir zu: „Wir sehen uns dann Samstag wieder zum Training." Verdattert lässt er mich alleine zurück. Schließlich höre ich, wie die Türe zuschlägt. Dann herrscht Stille. Was war das denn gerade?

Dance if you canWo Geschichten leben. Entdecke jetzt