Kapitel 12

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Ashton's POV

Peinlich berührt wanderten meine Augen so langsam wie sie konnten von dem Fleck, wo vor kurzem noch ein Geist gestanden ist, zu Liam, der mich erwartend ansah. Schon wieder begann ich auf meiner Lippe herumzukauen, da ich nicht die geringste Ahnung hatte, was ich sagen sollte.

"Was genau ist mit Jaz los," fragte er mich tränenerstickter Stimme. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Augen wirklich wässrig geworden sind. Nun brach der Damm und die erste Träne war nur der Beginn von vielen. Und meine Schuld war das nicht. Nur eine, die sich jetzt wahrscheinlich irgendwo saß und genauso heulte, wie ihr ehemaliger Freund. Langsam riss mir der letzte Nerv. Ich war bestimmt nicht wütend auf Liam, denn er konnte für das ganze Schlamassel hier nichts. Aber ich musste jetzt Jazmin aufsuchen und ein ernstes Wort mit ihr reden.

"Entschuldigst du mich mal, Liam?" fragte ich, wartete aber nicht auf seine Antwort, sondern stürmte hinaus. Wohin ich lief, achtete ich nicht. Ich rannte einfach durch das Labyrinth von Türen, hoffte darauf, dass ich hinausfand. Aber das war eigentlich gar nicht notwendig, weil schon nach dem dritten Raum, den ich durchschritten hatte, leise Schluchzer wahrnahm. Vorsichtig schlich ich dem immer wieder verebbenden und auflebenden Geräusch nach, stand schon bald vor der Tür, hinter der ich Jazmin vermutete. Mit einem Ruck riss ich sie auf, nicht darauf bedacht, einen Geist erschrecken zu können. Allerdings hatte ich das glückliche Los und den wahrscheinlich einzigen schreckhaften Geist erwischt.

"Was sollte das eben?" hörte ich meine eigene Stimme laut schreien. "Erst kommst du völlig verzweifelt zu mir, willst dass ich dir helfen, und jetzt verkriechst du dich hier, lässt mich völlig allein. Was denkst du denn, was ich ihm sagen soll?" Das Blut schoss vor Wut in mein Gesicht, an meiner Schläfe würde die Ader hervortreten. So wütend war ich vermutlich schon lange nicht mehr, dennoch hatte ich nun allen Grund dazu. Vielleicht war sie es gewohnt alles zu bekommen, was sie wollte, aber nicht mit mir, ich werde ihr sicher nicht helfen, wenn sie mich so behandelte.

Der rote Schleier vor meinen Augen wurde glasiger, als ich immer noch leise Schluchzer an meine Ohren drangen. Ein paar tiefe, beruhigende Atemzüge vergingen, bis ich feststellte, dass sie meine Worte nur noch mehr beunruhigt hatten und sie noch mehr Tränen vergoss. Gemächlich entkrampften sich meine zu Fäusten geballten Hände und wollten sie in den Arm nehmen. Das Problem war nur, dass ich mir das nicht ganz so einfach vorstellte, da sich ja auch durch Wände gehen konnte.

"Hör mal", nahm ich wieder meine Stimme wahr, "es tut mir leid" Als sie aufsah, legte sich das freundlichste Lächeln, welches ich aufbringen konnte, auf meine Lippen. "Aber du kannst nicht einfach verschwinden." Die Worte verhallten in der Stille, keiner sagte ein Wort, vermutlich wusste sie selbst nicht, was sie erwidern sollte. Rein symbolisch reichte ich ihr deshalb die Hand, was ihr dann doch ein kleines Lächeln auf die Lippen zauberte. Leichtfüßig sprang sie auf und klopfte sich den nicht vorhandenen Staub von ihren Klamotten.

Als wir unseren Rücktritt angehen wollten, stand Liam direkt vor uns. Seine Augen waren unglaubwürdig aufgerissen, er war buchstäblich nicht in der Lage einen Ton von sich zu geben. Höchstwahrscheinlich hatte er das ganze Gespräch, oder besser gesagt meinen Monolog, mitangehört und stellte nun alles in Frage.

"Bevor du etwas sagst," unterbrach ich die Stille, nur damit sie nicht mehr so sehr auf uns lastete. Aber nach diesen Worten lag sich der Schleier der Ruhe wieder über uns, wurde so schwer, dass ich dachte, sie erdrücke mich. Angestrengt suchte ich nach den Worten, die den Schleier zerreißen sollten, aber es schien als wären alle Worte der Welt für mich viel zu weit weg, um sie zu fangen und einen sinnvollen Satz daraus zu bilden.

"Sag mir nur eins," unterbrach Liam meine verwirrten Gedankengänge, "ist sie, ist," er schluckte schwer, "ist Jazmin, noch da?"

Auf Eigeniniative und ohne abzuwarten, wie Jazmin reagierte, nickte ich sanft. Neugierig beobachtete ich, wie Liams Augen durch den Raum wanderten. Er suchte sie ganz offensichtlich. Deshalb zeigte ich zögerlich neben mich, wo sie stand, seit Liam unser Gespräch unterbrochen hatte.

Unsicherheit lag in Liams glänzenden Augen, wohl ganz überzeugt hatte ich ihn offensichtlich noch nicht. Trotz seiner Unentschlossenheit wagte er zwei Schritte in meine, oder besser gesagt Jazmin’s Richtung und streckte seine Hand aus. Das fand ich ein bisschen abartig, denn logischerweise konnte er gasförmige Materie, also einen Geist, nicht berühren. Dennoch zuckte er zurück, als er kurz ihre Wange berührt hatte. 

Meine Augen weiteten sich. "Kannst du sie spüren?" wunderte ich mich. Liam drehte seinen Kopf, sodass er mir in die Augen sehen konnte, sein Blick schien gleichgültig geworden sein. 

"Weißt du eigentlich, wie sehr ich sie liebe?" Die Frage schien metaphorisch zu sein, denn ihn kümmerte es kein bisschen, dass ich mir nicht einmal die Mühe gab nach einer Antwort zu suchen. Lachend schüttelte er den Kopf und senkte ihn auch. "Das ist doch lächerlich," stieß er noch hervor, bevor er kehrt machte und wieder auf dem gleichen Weg verschwand, als er hergekommen war. 

Viel zu lange starrte die Ecke an, um die er gebogen war. "Wieso glaubt er uns nicht," meldete sich Jazmin wieder einmal, nachdem sie das Schauspiel still beobachtet hatte. Ihr enttäuschter Tonfall versetzte mir einen Stich. Ich fühlte mich verantwortlich für sie. Ich musste Liam überzeugen, dass sie wirklich noch anwesend war. Ich musste es schaffen. 

Liam's POV

Mein Bauchgefühl sagte mir ganz klar, dass etwas an der Sache dran war. Aber seit lang her vertraute ich bei solchen Sachen, oder eigentlich bei allem, was ich machte, meinem Verstand. Er hatte mir immer aus brenzligen Situationen herausgeholfen. Und mit vier halben Kleinkindern, als beste Freunde, waren diese nicht selten. 

Alles in mir schrie zwar nach Jazmin, ich solle zurückgehen und nochmal mit Ashton reden. Er schien von allem ebenso überzeugt, als dass ich beinahe vollkommen überzeugt wurde. Aber eben nur beinahe. 

Aber was wäre, wenn ich wirklich noch einmal mit Jazmin reden konnte? Was wenn Ashton wirklich die Wahrheit sagte? Ich konnte Jazmin noch etwas mitteilen. Etwas, das ich eigentlich schon länger geplant hatte, aber immer zu feige war es auszusprechen. Um ihr das zu sagen, musste ich jetzt nur umdrehen und mit Ashton reden. Damit er es ihr sagen konnte, ihrem Geist. Nein, das ist zu verrückt, als dass es war sein könnte. 

Ohne es zu merken, hatten meine Schritte mich aus dem Gebäude getragen. Weg von den Jungs, weg von unserer neuen Vorband, weg von Ashton. Einfach weg. Ich brauchte mal einen klaren Kopf. Fast schon automatisch setzte ich mich in meinen Wagen, steckte den Schlüssel ins Schloss und manövrierte das Auto auf die Straße. Zum Glück fuhren fast keine Autos im frühen Vormittagsverkehr, nur ein schwarzer Van und ein kleiner Kombi hatten sich vor mir in den Verkehr eingefädelt. 

Mein Weg führte mich ins nächste Fitnessstudio, wo ich immer einfach mal abschalten konnte. Und das war genau das, was ich jetzt brauchte. Bevor ich ausstieg, wanderte mein Blick zum Handschuhfach, mein Arm streckte sich aus, um es zu öffnen um das einzige, was sich seit Wochen darin befand ausgiebig zu betrachten.

Jazmin's POV

Eine buchstäbliche Last drückte auf meinen Schultern. Es wäre der perfekte Moment gewesen. Wir hatten Liam wirklich an der Angel. Er sah wirklich überzeugt aus, aber dann hatte ein größerer Teil in ihm gesiegt, der alles für Humbug hielt. 

Immerhin hatte er mich berührt. Liam hatte meine Wange berührt. Und wirklich ganz kurz war Verwunderung, aber auch Erleichterung in seinen Augen aufgeblitzt. Nur für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich ihm auf meiner Seite gehabt. Aber Liam war eben Liam und dementsprechend "vernünftig". Leider.

Obwohl es keinen Nutzen hatte, wenn ich ihm alleine, und ohne Dolmetscher, bekannt als Ashton, nachlaufen würde, nahm ich die Verfolgung auf. Zu meiner Verwunderung ging Liam nicht zurück ins Tonstudio, sondern zu seinem Auto, wo er sich spontan auch hineinsetzte und losfuhr. Als wäre es selbstverständlich setzte ich mich neben ihn und wartete gespannt wo er hinwollte. 

Sowie wir vor dem Fitnessstudio standen, wurde es mir klar. Er brauchte Zeit um alles zu überdenken, Sei mir recht. Vielleicht besinnt er sich eines Besseren und findet es dann nicht mehr zu abartig. Aber bevor er den Schlüssel zog und ausstieg, betrachtete er noch eine Weile das Handschuhfach, bevor er es schließlich öffnete. 

Nur eine einzige Sache war darin enthalten und es war das Schönste, das ich in letzter Zeit gesehen hatte. 

I Wish (Liam Payne FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt