Der Himmel erstreckte sich über das gesamte Land in einem klaren, satten Blau. Keine Wolke lenkte von der Perfektion dieses Anblicks ab, einzig und allein die Sonne stand am Himmel als runder heller Kreis und überstrahlte alles. Ihre wärmenden Strahlen ließen die Damen des Reiches in ihre Häuser flüchten, in denen sie Zuflucht vor der lebensspendeten Kraft suchten. Nur ein junges Mädchen, kaum sechs Jahre alt, lag alleine auf einer weiten grünen Wiese und spielte friedlich. Um sie erblühten kleine Blüten und streckten ihre zarten blauen Köpfe gen Sonne. Sie summte leise und ihre liebliche Stimme erfüllte die Natur und wurde von der sanften Brise des Windes weitergetragen. Die Melodie war fröhlich, doch gleichzeitig hatte sie auch etwas Betrübtes, Melancholisches an sich. Ihre großen hellen aquamarinen Augen waren erfüllt von Glück und doch lag in ihnen ein tiefer Schmerz, versteckt hinter den langen, geschwungenen Wimpern, die sie umrahmten. Ihr blasses Gesicht war umschmeichelt von feuerroten Locken, die über ihren gesamten Rücken flossen und im Schein der Sonne kupfern schimmerten.
Sie lag auf ihrem Bauch, die Beine in die Luft gestreckt. Auf ihre Ellenbogen gestützt beobachtete sie eine winzige Ameise, die versuchte, ein Stück Blatt, das dreimal so groß war wie sie selbst, zu tragen. Unermüdlich zog sie es hinter sich her, eine kleine Schneise im weichen Erdboden hinterlassend. Sie wollte ihr helfen, doch sie wusste, dass sie ihre Hilfe nicht wollte, sie würde sie nicht verstehen, so wie sie niemand verstand.
Sie zuckte zusammen, als sie ihren Namen von Weitem hörte. Unwillkürlich machte sie sich kleiner, als die schrille Stimme jeden Moment näherkam. Eilig stellte sie sich auf ihre kurzen Beine und schüttelte den Dreck vom Rock ihres hellen, blauen Kleides. Sie senkte den Kopf, als die dunkel gekleidete Frau mit den streng zurückgebundenen Haaren immer größer wurde und schließlich einen dunklen Schatten über sie warf. Ihr Gesicht war zu einer hasserfüllten Fratze verzerrt, die ihre Verachtung vor ihr offen zur Schau stellte.
„Wie oft habe ich dir gesagt du sollst nicht rausgehen?", schimpfte sie mit lauter, schriller Stimme, die die fröhlich zwitschernden Vögel zum Verstummen brachte. Grob packte sie sie am dünnen Arm und zog sie mit sich. Ihre langen, dürren Finger bohrten sich in das weiche Fleisch des Kindes, doch das kleine Mädchen beklagte sich nicht. Stattdessen hielt sie weiterhin den Kopf gesenkt und vermied jeden Blickkontakt zu der Frau. Stattdessen stolperte sie hinter ihr her und versuchte, den Kloß in ihrem Hals zu unterdrücken, der sich bei ihren strengen Worten gebildet hatte.
Das große Haus der Familie tauchte vor ihr auf, groß und dunkel, als wollte es sie wieder zurück in seine Fänge ziehen. Angst durchfuhr sie, als sie ihren Vater mit dunkler Miene in der Tür stehen sah. Seine großen, starken Handflächen hatte er in seinen Hosentaschen vergraben, jederzeit bereit, sie einzusetzen, um sie zu züchtigen. Seine schwarzen Augen funkelten, die Verachtung in seinen Zügen war unübersehbar. Ihre Mutter zerrte sie weiter hinter sich her, ins Innere hinein, ohne ihre Schritte zu verlangsamen. Sie hatte Mühe, die Treppen mit ihren kurzen Beinen zu erklimmen, doch jedes Mal, wenn sie zu langsam war, wurde sie an ihrem Arm brutal weitergezogen. Die Dunkelheit um sie herum hatte sie hier eingeholt und drohte ohne Erbarmen auf sie einzustürzen.
Kein Ton kam über ihre Lippen als schließlich die flache Hand ihrer Mutter auf die nackte Haut ihres kleinen Hinterns traf. Wieder und wieder füllte das peitschende Geräusch den Raum, bis ihr Hintern rosig war und sich Tränen in ihren Augen bildeten.
„Wenn du dich doch nur einmal wie eine richtige Tochter benehmen könntest", tadelte sie sie. „Stattdessen enttäuscht du uns immer wieder. Du lernst einfach nicht aus deinen Fehlern und lässt uns keine andere Wahl, als dich zu bestrafen!"
Ein weiterer Schlag traf sie und ließ ihren gesamten Körper erzittern. Die Schmerzen der Schläge wuchsen jedes Mal ins Unermessliche, sodass sie sich auf ihr Zunge beißen musste, um nicht laut zu schreien. Doch dann verblassten sie, ihre Haut wurde unter ihnen taub und zurück blieb nur noch ein dumpfes Gefühl, welches sie nicht weiter beachtete. Schlimmer waren ihre Worte. Sie trafen sie jedes Mal in ihr kleines, zartes Herz und brachen es immer wieder ein Stück.
„Warum kannst du nicht perfekt sein?", schrie die Frau in den leeren Raum, während ihre Schläge immer stärker wurden. Immer häufiger und unkontrollierbarer wurden sie. Ihr Atem rasselte, während sie immer weiter zuschlug. „Ich will doch nur Perfektion", flüsterte sie scheinbar schwach, doch ihre kraftvollen Schläge zeugten vom Gegenteil. In ihrer Stimme lag Leiden, als würde es ihr selber Schmerzen bereiten, ihrer eigenen Tochter dies anzutun.
ᴥ
Meine Tränen flossen ohne Unterlass über meine Wangen, als ich mich mit angezogenen Beinen unter dem Tisch in meinem Zimmer versteckte. Der Schmerz erfüllte mich, während ich saß, doch ich ignorierte ihn, ich hatte ihn verdient. Ich war keine gute Tochter, war nicht gut genug für sie. Ich war nicht perfekt genug für sie und egal, wie sehr ich es versuchen würde, ich würde ihnen nie genügen. Ich strich meine tränennassen Haarsträhnen aus meinem Gesicht hinter mein Ohr.
Sie hasste mich, weil ich nicht stillsitzen konnte, weil ich sie immer mit meinen Kinderaugen voller Reue ansah, weil ich so aussah, wie ich es tat. Ich unterschied mich von ihnen. Sie hatten beide dunkles Haar, ich rotes, welches unzähmbar in Locken mein Gesicht umrahmte. Sie hatten beide dunkle, fast schwarze Augen. Meine waren in einem hellen Blau. Ihre Haut war aschgrau, meine hell wie frisch gefallener Schnee.
Ich musste mich ihnen anpassen, wenn ich eine gute Tochter sein sollte, so wie sie es sich wünschten, wurde mir klar.
Ich wischte meine Tränen ab und kroch unter dem großen hölzernen Tisch hervor. Ich betrachtete mich in dem großen golden gerahmten Spiegel. Entschlossen flocht ich meine Haare zu einem züchtigen Zopf zusammen. Mich selbst bestrafend zog ich an ihm. Ich hieß den Schmerz willkommen, der mich daran erinnern sollte, was mir sonst drohte, wenn ich wieder nicht gehorchte.

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Perfect Perfection
RomanceJahr 330 seit der Gründung Senecas: Die gesamte Welt ist bereits erforscht, allein das Reich Seneca ist seit der Krönung König Abilions noch immer von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar entwickelt sich das Land weiter, doch die neuen Errungenschaften...
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