Der Wille, sie zu beeindrucken, wuchs in mir unablässig, doch ich fühlte mich hilflos gegenüber diesem Gerät.
„Vielleicht solltest du versuchen zu lächeln", schlug Lynn vor und machte es mir vor, sodass ihre geraden, weißen Zähne zum Vorschein kamen. Ich versuchte, so gut ich es konnte, sie nachzuahmen, doch ich spürte, dass es nicht authentisch wirkte. Ich war es gewohnt, den Menschen ein Lachen vorzutäuschen, doch jetzt, in diesem Moment, schien es, als würde etwas mich blockieren. Ich quälte mich, verzog meinen Mund so breit ich konnte, sodass meine Zähne aufblitzten, doch es kam einfach nicht an meinen Augen an.
„Denk an etwas Schönes, Jade. Ich brauche ein ehrliches Lächeln von dir. Wenn ich es dir nicht glaube, dass du glücklich bist, dann werden die Menschen es dir auch nicht glauben", erklärte sie mir scheinbar geduldig, trotzdem konnte ich die Unruhe aus ihrer Stimme heraushören. Druck baute sich in mir auf. Ich durfte nicht versagen, durfte sie nicht enttäuschen. Der Drang, es perfekt zu machen, erfüllte mich, steckte in jeder meiner Zellen und ließ mich nicht aufgeben. Ich war Jade Ascara! Ich musste perfekt sein!
Konzentriert schloss ich die Augen und suchte eine schöne Erinnerung in meinem Inneren, welchen mich zum Lächeln brachte. Mein gesamtes Leben spielte sich vor mir ab, erfüllt von unangenehmen Bildern, welche es mir noch schwerer machten, Glück nach außen widerzuspiegeln.
Plötzlich schoss mir eine Eingebung durch den Kopf, wie ich barfuß durch ein Feld voller Blumen rannte, an der Hand einer jungen Frau, die mir fremd war. Die Sonne schien mir mitten ins Gesicht und wärmte meine blasse Haut, während der Wind mit meinem Haar spielte und es in der Luft tanzen ließ. Ich konnte die angenehm kühle Erde unter meinen kleinen Kinderfüßen spüren, nahm ihren Geruch wahr, der mich lebendig fühlen ließ. Ein laues Lüftchen kitzelte die nackte Haut meiner Arme und brachte mich zu Lachen, sodass es über die gesamte Wiese hallte und die Frau ihr Gesicht mir zu wandte. Ich konnte es nicht richtig erkennen, konzentrierte mich auf ihre Augen, bis sie schließlich klarer wurden und ich in eine meerblaue Iris blickte. Sie lächelte mich fröhlich an und erwiderte mein Lachen mit kräftiger Stimme. Ihre Hand hielt meine schützend fest, schirmte mich vor jedwedem Unglück ab und versprach mir wärmende Liebe. Der Druck, der seit jeher auf mir gelastet hatte, war verschwunden und ich atmete tief die frische Luft ein, frei von jeglicher Sorge, und konnte allerlei Verschiedene, für mich exotische, Gerüche wahrnehmen, welche ich gierig einsog, um sie nie wieder zu vergessen.
Ich hörte, wie die Vögel ihr Lied zwitscherten, ihre Freiheit genossen. Wasser rauschte nicht weit von mir und es war, als könnte ich bereits die angenehm kühle Flüssigkeit auf meiner Haut spüren. Es wirkte alles so friedlich, so herrlich unberührt, unschuldig und natürlich, sodass es mir fast unrealistisch erschien, dass so ein Ort wirklich existierte.
Ich sah der Frau in die Augen und erblickte nur Ehrlichkeit und Liebe in ihnen, sodass ich nicht anders konnte, als ihr Lächeln von ganzem Herzen zu erwidern.
Widerstrebend öffnete ich die Augen wieder und blickte direkt in die schwarze Linse der Kamera, immer noch meine wundervolle Traumwelt vor Augen.
Lynns dunkle Augen lagen auf mir und ich wusste, dass sie sich innerlich fragte, was mich zum Lächeln gebracht hatte, doch sie sprach sie nicht laut aus, sondern wahrte die Stille, was mich mit tiefer Dankbarkeit erfüllte. Ich wollte meine eigene, kleine, heile Traumwelt mit niemanden teilen, noch nicht.
Mein Lächeln verwahrte beständig auf meinen Lippen, was ihr die Arbeit erleichterte, doch dies realisierte ich kaum. Ich war noch immer in meiner eigenen kleinen Welt gefangen, welche mich eingenommen hatte und nun nicht mehr loslassen wollte.
Nach unzähligen Versuchen entschuldigte sie sich schließlich, um die entstandenen Bilder zu entwickeln, wozu sie in einen anderen Raum gehen musste, während ich weiter auf der schwarzen Garnitur sitzen blieb und nur an die Wiese mit den wunderschönen Blumen und der Frau mit den gleichen Augen wie ich sie hatte, denken konnte.
Lange hielt mein Traum, doch schließlich schlich sich Müdigkeit in meine Gedanken, wodurch mein logisches Denken ausgehebelt wurde und der Drang, sich hinzulegen und die Augen zu schließen, fast übermächtig wurde. Meine Lider drohten zu zufallen, doch ich beherrschte mich gerade noch und kniff mir in den Arm, sodass ich von meinem Schmerzen abgelenkt wurde. Ich unterdrückte ein Gähnen und bemühte mich um eine würdevolle Haltung, trotzdem fiel ich nach und nach langsam in mich zusammen. Ich redete mir selber ein, dass dies nur für einen kurzen Moment war und ich gleich wieder eine angemessene Haltung einnehmen würde, doch als mein Kopf den Stoffbezug des Möbelstücks berührte, fiel ich sofort in einen tiefen Schlaf.
Sanfte Hände streichelten mir zärtlich übers Haar, während mein Kopf auf dem Schoß einer Frau gebettet war. Vertrauensvoll blickte ich in ihre meerblauen Augen und lauschte ihrem Summen. Ihre feuerroten Haare rahmten ihr Gesicht ein und ließen sie eindrucksvoll und mächtig wirken. Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen, während sie mir in die Augen blickte. In ihnen lag die Wärme, nach der ich mich mein gesamtes Leben lang gesehnt hatte. „Hab keine Angst vor der Zukunft", flüsterte sie, „es ist für alles gesorgt." Ihr Versprechen beruhigte mich, erfüllte mein Herz mit Hoffnung, verscheuchte die allgegenwärtige Sorge und ließ mich in einem Zustand der Seelenruhe gleiten.
Abrupt fuhr ich aus dem Schlaf hoch und brauchte einige Momente um mich wieder zurechtzufinden. Ich lag wohlbehalten in meinem großen Bett, die Decke sorgfältig über meinem Körper ausgebreitet, als hätte sich jemand wirklich um mich gesorgt. Vorsichtig sah ich mich im Raum um, doch ich war alleine. Mein Blick blieb am Nachttisch hängen, auf dem ein Zettel lag. Mein Herz klopfte immer noch zu schnell als ich kurz das geschriebene überflog.
Liebe Jade,
es scheint, dass du, während du auf mich gewartet hast, eingeschlafen bist. Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich so lange gebraucht habe und dich in der Zeit im Ungewissen gelassen habe. Um dich nicht zu wecken, habe ich dich in dein Zimmer tragen lassen. Ich hoffe, dass dies für dich in Ordnung war.
In der Mappe auf deinem Nachttisch liegt dein schönstes Foto und ich muss dir nun verraten, dass ich wirklich glaube, dass du gewinnen wirst. Wir sehen uns morgen zur zehnten Stunde des Tages im gleichen Raum wie heute.
Lynn
Schöne Worte, doch konnte ich ihr wirklich vertrauen? Hatte ich denn eine Wahl? Zögernd nahm ich das kleine Foto aus der Mappe und betrachtete es ehrfürchtig. Nun ergaben ihre Worte tatsächlich einen Sinn. Ich sah auf dem Foto tatsächlich schön aus. Wunderschön, natürlich, glücklich.
Meine meerblauen Augen, die von dichten, langen, geschwungenen Wimpern umrahmt wurden, würden sämtliche Blicke auf sich ziehen. In ihnen lag ein besonderer Glanz, welcher mich an das erinnerte, was auch in Lynns Blick gelegen hatte. Entschlossenheit, Hoffnung und die Zufriedenheit mit sich selbst, als hätte ihre Einstellung bereits in der kurzen Zeit, in der wir uns kannten auf mich abgefärbt. Es erschien mir fast so, als wäre die Frau auf diesem Bild nicht ich, sondern jemand der ich gerne sein wollen würde.
Meine feuerroten Haare hingen mir in Wellen offen bis zur Taille und glänzten verführerisch. Meine blasse Haut hob sich stark vom Kleid ab, welches meine Figur vorteilhaft umschmeichelte. Das aufrichtige echte Lächeln gab dem Bild den letzten Schliff und machte es letztendlich perfekt. Es war das erste Foto, auf dem ich wirklich glücklich war und das allein machte es schon für mich unendlich wertvoll.

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Perfect Perfection
RomanceJahr 330 seit der Gründung Senecas: Die gesamte Welt ist bereits erforscht, allein das Reich Seneca ist seit der Krönung König Abilions noch immer von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar entwickelt sich das Land weiter, doch die neuen Errungenschaften...
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