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Kapitel 4

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Die Enttäuschung hatte mich selbst noch nach einigen Tagen im Griff. Es war, als hätte sich eine Faust fest um mein Herz geschlossen und drückte immer wieder aufs Neue fest zu. Gleichzeitig war ich wütend auf mich. Ich hatte mir zu große Hoffnungen gemacht und meinem Herzen eine Chance gegeben, obwohl ich wusste, dass es mich bisher immer in Schwierigkeiten gebracht hatte.

Natürlich wusste ich, dass es nicht richtig war, dass ich alles mit mir machen ließ, doch was blieb mir anderes übrig? Ich war ihre Marionette und so würde es bleiben, bis ich heiraten würde und die Marionette meiner neuen Familie werden würde. Viele der höhergestellten Frauen schienen inzwischen mehr und mehr ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, doch ich sah keine Möglichkeit, dasselbe zu erreichen.

Ich versuchte in den Tagen nach dieser Nacht alles, um mich abzulenken. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf meinen Unterricht, sodass wir bald den gesamten Stoff der nächsten Wochen durchgearbeitet hatten. Ich war ständig auf der Suche nach neuen Beschäftigungen, nur damit ich mich nicht mit der Realität befassen musste, die wie ein Damoklesschwert über mir hing, jederzeit drohte, auf mich hinabzufallen und mich zu durchbohren.

Schließlich fing ich an zu malen, eine Beschäftigung, die ich früher gerne verfolgt, aber schließlich aus den Augen verloren hatte. Es schien einen Moment lang, als hätte ich meine Fügung gefunden. Wie in einem Rausch füllte ich in kürzester Zeit eine Leinwand nach der anderen und die Bediensteten kamen kaum hinterher, mir neue zu besorgen. Ich schaffte es einfach nicht mehr aufzuhören, als wäre ich von einer Sucht gepackt worden, die ihre Klauen fest in mich geschlungen hatte. Die scheinbar endlosen Wiesen auf meinen Gemälden kurbelte meine Fantasie weiter an und ließen meine Zeichnungen immer paradiesischer aussehen. Die Bilder wirkten so real, dass ich mir manchmal einbildete, ich würde auf diesen wunderschönen Fleck Land stehen, die kalte Erde an meinen Füßen und den sanften Wind über mein Gesicht streifen fühlen. Die Sehnsucht steigerte sich so weit, dass ich anfing, davon zu träumen. Realität und Fiktion verschwommen immer weiter, sodass sich keine klare Linie zwischen diesen beiden Welten mehr ziehen ließ. Ab dem Moment, an dem ich aufstand, sehnte ich mich nur noch nach der Nacht, die Erlösung von dieser fordernden Umgebung versprach. Ich konnte in meinen Träumen ohne Hürden von der Freiheit träumen, nach der ich mich so sehr sehnte.

Meine Anstandsdame erkannte schließlich mein Talent an und erlaubte mir, die Borten an den Wänden in meinem Zimmer mit Blumen zu verzieren, bis es schließlich einem einzigen Blumenmeer glich. Ich stellte mir nur zu gerne vor, wie ich in sie hineinfallen würde, doch jedes Mal, wenn ich sie berühren wollte, spürte ich nur die kalte Wand und meine Illusion zersprang in tausend kleine Scherben, die sich in mein Herz bohrten, blutende Wunden rissen und tiefe Narben hinterließen, welche immer wieder aufs Neue aufgerissen wurden.

Gegenüber meinen Eltern ließ ich mir nichts anmerken. Die immer dunkler werdenden Schatten unter meinen Augen verdeckte ich mit einem Puder, sodass niemand bemerkte, wie es eigentlich um meine geistige Verfassung stand. Ich wurde immer gleichgültiger und irgendwann schmeckte ich nichts mehr. Mein Appetit ging verloren und meine Gefühle taten es ihm gleich. Irgendwann blieb schließlich auch der Schlaf aus und mir blieb nichts anderes übrig, als mich im Bett umher zu wälzen, in der ewigen Verzweiflung gefangen.

Der Traum von der Wiese war für mich inzwischen wie eine Droge geworden und wie ein Junkie sehnte ich mich nächtlich danach. Selbst das Blumenmeer in meinem Zimmer half mir nicht mehr und ich brauchte ein neues Mittel, das mir eine Freude im Leben gab. Die Nacht verging quälend langsam und ich hörte währenddessen zu, wie der Zeiger der Uhr unaufhörlich weiterwanderte.

Tick, tack, tick tack, tick, tack, tick, tack, tick, tack, tick, tack, tick tack, tick, tack, tick, tack, tick.

Als die Sonne sich schließlich langsam den Himmel empor schob, tauchte sie alles in ein gleißendes Gold, welches alles hoffnungsvoller erschienen ließ. Gebannt schaute ich in ihren grellen Kreis, sodass meine Augen nach kurzer Zeit anfingen zu brennen, und schließlich liefen mir Tränen in kleinen salzigen Tropfen die Wangen hinab und hinterließen ein Netz feuchter Haut.

Perfect PerfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt