Der nächste Morgen kam schnell, doch anders als sonst, sah ich den auf mich zukommenden Tag mit Vorfreude entgegen. Ich würde weder meine Eltern noch einen der anderen Bediensteten aus unserem Haushalt sehen müssen. Stattdessen stand mir eine Überraschung bevor, auf deren Ausgang ich mehr als gespannt war. Voller Tatendrang zog ich die Vorhänge zur Seite und ließ so die ersten Sonnenstrahlen herein, welchen den Raum angenehm erhellten. Frische Energie strömte durch meinen Körper und gab mir für einen Moment das Gefühl, all dem gewachsen zu sein, was mir noch bevorstand. In mir wuchs Hoffnung heran und ließ mich meine Lippen zu einem Ausdruck der Fröhlichkeit verziehen. Summend band ich mir meinen Morgenmantel um und ließ dann Wasser in die goldene Wanne ein, in die ich kurz darauf stieg. Den Luxus, den Morgen so zu verbringen, wie ich es gerne tat, genoss ich und ließ mir Zeit, während ich meine Haare mit einem Konzentrat aus Rosen wusch, sodass der gesamte Raum in kürzester Zeit von dem verführerischen Duft erfüllt war. Summend wickelte ich mich in trockene Tücher und klingelte dann nach Youra. Im Tageslicht erschien ihr entstelltes Gesicht noch grausamer, obwohl sie sich bemühte, es stets hinter ihren Haaren versteckt zu halten.
„Guten Morgen, Herrin", begrüßte sie mich und beeilte sich, mein nasses Haar trocken zu tupfen.
„Ich muss Euch etwas fragen, Youra", tastete ich mich voran. „Wenn Ihr nicht antworten wollt, dann müsst Ihr dies nicht", stellte ich dennoch klar.
„Eure Dienerin hört und wird ihrerseits besten Wissens antworten." Ihre zarte Stimme war im großen Raum kaum zu hören, während sie mit vorsichtigen Bewegungen mein Haar kämmte.
„Ihr habt mir gestern erzählt, dass Ihr eine Gerardus seid, doch diese Information teilt Ihr doch sicherlich nicht jedem mit, schließlich glaubt jeder im Königreich, dass jeder aus Eurer Familie bei dem Brand umgekommen ist."
„Ihr habt Recht, Herrin", bestätigte sie meine Vermutung „normalerweise stelle ich mich unter einem anderen Namen vor, wenn ich denn überhaupt danach gefragt werde." Ihre zuvor zitternde Stimme gewann an Stärke und erhob sich gegen die Stille.
„Warum wurde Euer Tod vorgetäuscht, wenn Ihr doch die wahre Erbin seid? Ihr müsstet sonst all dies nicht tun, sondern könntet einen Haushalt leiten und die Blutlinie Eurer Familie weiterführen."
„Herrin, bei allem Respekt, den ich euch entgegenbringe, aber glaubt Ihr wirklich, dass man einem jungen, furchtbar entstelltem Mädchen tatsächlich so viel Macht zugestehen würde? Es war einfacher, mich meinem Schicksal zu ergeben und als Zofe den hohen Damen unter einem anderen Namen zu arbeiten, als mich gegen die mächtigen Männer des Landes aufzulehnen, die vor nichts und niemanden zurückschrecken."
Ihre Worte verklangen und Stille trat ein. Wortlos half sie mir meine Unterkleider anzuziehen und schnürte mich dann in mein Kleid ein. Skeptisch betrachtete ich mich im Spiegel. Der Stoff besaß die Farbe von blühenden Veilchen und ließ meine bereits helle Haut noch blasser erscheinen. Anders als gestern umschmeichelte er dieses Mal meinen Körper mit gebührender Zurückhaltung. Es zeigte zwar meine körperlichen Reize, aber nicht auf eine aufdringliche Art und Weise. Es betonte meine kurvenreiche Figur und ließ mich doch gleichzeitig stark fühlen. Mein langes Haar umschmeichelte währenddessen mein Gesicht und brachte meine hohen Wangenknochen zum Vorschein, die mich edel wirken ließen, als ob ich eine Königin wäre, die gleich auf ihren Thron steigen würde, um ihre Untertanen zu empfangen. Meine Augen funkelten ihm sanften Tageslicht und spiegelten die Entschlossenheit in meinem inneren wider. Meine Erscheinung war eine reine Komposition, jedes Haar aufeinander abgestimmt, sodass ein Kunstwerk der Perfektion erschaffen worden war, das seinesgleichen suchte. In meinem Blick lag die Würde, deren Abstinenz heute selbst wunderschöne junge Frauen tief fallen ließ.
„Ihr seht wunderschön aus", flüsterte Youra in die Stille und unsere Blicke trafen sich im Spiegel. Neben mir wirkte ihre entstellte Gesichtshälfte wie eine groteske Fratze, doch in ihren grünen Augen schlummerten gute Werte, die dies mehr als wettmachten. Ein sanftes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und sie erwiderte es schüchtern.

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Perfect Perfection
RomanceJahr 330 seit der Gründung Senecas: Die gesamte Welt ist bereits erforscht, allein das Reich Seneca ist seit der Krönung König Abilions noch immer von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar entwickelt sich das Land weiter, doch die neuen Errungenschaften...
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