Wir sprachen lange miteinander, genossen die Gesellschaft des jeweils anderen und vergaßen dabei vollkommen die Zeit. Es schien, als wäre eine innere Blockade in mir gebrochen, sodass ich es nun zuließ, eigene Idee anzunehmen, ohne dabei ständig an die Meinung meiner Mutter dazu denken zu müssen. Ich kostete die neu gewonnene Freiheit aus und schwor mir, diese nie wieder aufzugeben, auch wenn ich wusste, dass ich wahrscheinlich noch nicht den Mut hatte, um mich vor meinen Eltern zu behaupten.
Es war, als wäre es mir nun endlich erlaubt, aufzublühen, und diese Erkenntnis ließ mich weder Müdigkeit noch Erschöpfung fühlen.
Ein Klopfen unterbrach unsere Unterhaltung und schreckte uns auf. „Herein", erlaubte Lynn den Eintritt.
In der Tür erschien der Junge schwarzhaarige Mann, mit den außergewöhnlichen dunkelblauen Augen. Sein Blick blieb an mir hängen und er fixierte mich einen Augenblick lang, bevor er wieder zu Lynn sah. Sein kantiger Kiefer war angespannt, als müsste er sich zusammenreißen. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Meine Augen wanderten an seinem Körper hinab und blieben schließlich an den Händen hängen. Eine war auf die Klinke der Tür gelegt, die andere in seiner Hosentasche vergraben. Ich konnte durch den schwarzen Stoff hindurch erkennen, dass er sie zu einer Faust geballt hatte. Er hatte große Hände, kräftig, als ob er es gewohnt war anzupacken. Lange feingliedrige Finger umschlossen das Metall, sodass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
„Es wird Zeit", unterbrachen seine Worte meine aufmerksame Musterung und erwischte mich dabei, wie ich ihn angestarrt hatte. Für einen Moment blieben unsere Blicke aneinander hängen und Spannung baute sich zwischen uns auf. Er erinnerte mich an jemanden, doch mir wollte nicht einfallen an wen. Diese Augen... Ich hatte sie schon einmal gesehen, mir war nur entfallen wo.
„In Ordnung. Danke Samuel." Ein Lächeln, in dem mehr lag als es schien, legte sich auf ihre Lippen. „Jade, ich möchte dir meinen Bruder vorstellen. Samuel Basile. Samuel dies ist Jade Ascara."
Es dauerte einige Momente, bevor ich den kompletten Sinn ihrer Worte verarbeitet hatte. ER war ihr Bruder? Warum war mir die Ähnlichkeit zwischen den beide nicht früher aufgefallen? Nun ergab es einen Sinn, dass er hier war. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er meinen überraschten Gesichtsausdruck sah.
„Wir kennen uns bereits", teilte ich Lynn mit. „Wir sind uns vorgestern in der Bibliothek begegnet." Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte. Mit zusammengekniffenen Augen ließ ich meinen Blick über ihn wandern. Er war eindeutig sehr gutaussehend, eine gute Partie, wie ihn meine Mutter zweifelsohne genannt hätte.
Lässig stand er da, am Türrahmen angelehnt, und taxierte mich ebenfalls, bis sich unsere Blicke trafen. Dunkles Blau traf Meerblau. Wir waren beide nicht gewillt, den Blickkontakt zuerst zu brechen. Weder er noch ich hatten wirklich einen Grund, uns gegenüber so misstrauisch gegenüber zu stehen. Doch etwas an ihm ließ mich unwillkürlich vorsichtig werden. Irgendetwas sagte mir, dass er für mich gefährlich werden könnte.
Eine unangenehme Stille breitete sich im Raum aus, während die Spannung weiter anstieg, bis sie zum Zerbersten gespannt war. Ein falsches Wort, ein falscher Blick konnte sie bereits lösen.
„Nächstes Mal trage ich dich nicht wieder in dein Zimmer, wenn du einschläfst." Seine provokanten Worte trafen mich wie ein Peitschenschlag ins Gesicht und zerstörten mein mühsam aufgerichtetes Selbstbewusstsein. Eine unangenehme Gänsehaut überzog meine Haut bei dem Gedanken, dass er mich berührt hatte. Aber nicht nur das, er hatte mich gesehen, als ich schwach, als ich am verletzlichsten gewesen war. Ich erschauderte, gleichzeitig liefen meine Wangen rot an vor Scham. Sein Blick wurde intensiver und ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Er hatte irgendetwas in ihnen, dass mir Angst machte. Ich konnte mir selber nicht erklären, was es war, aber es ließ mein Herz schneller klopfen. Allein seine Anwesenheit brachte meine sonst so geordneten Gedanken durcheinander und der Drang, näher an ihn heranzutreten, rang mit dem Verlangen, ihn nie wieder in meinem Leben sehen zu müssen.

DU LIEST GERADE
Perfect Perfection
Storie d'amoreJahr 330 seit der Gründung Senecas: Die gesamte Welt ist bereits erforscht, allein das Reich Seneca ist seit der Krönung König Abilions noch immer von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar entwickelt sich das Land weiter, doch die neuen Errungenschaften...
Wattpad Original
Dies ist der letzte kostenlose Teil