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Kapitel 7

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Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich glaubte, ein Geräusch aus dem Flur zu hören. Mein Herz klopfte schneller bei dem Gedanken, jemand könnte mich beim Lesen des Buches überraschen. Unzählige regierungsfeindliche Gedanken schlummerten in diesem von außen so unschuldig wirkenden Werk. Der Schreiber übte ungeschönte Kritik aus und lieferte mehr als nur einen Grund, um ihn wegen Hochverrats zu verurteilen. Der Hass, den der Verfasser auf die Reichen der Oberschicht verspürte, war durch seine Worte förmlich zu spüren, und ich konnte mir denken, dass er auch für mich nichts als Verachtung übriggehabt hätte. Trotz dieses Wissens bildete sich in mir das Verlangen, ihm persönlich Fragen zu stellen, denn obwohl mein Kopf bereits von den niedergeschriebenen Worten schwirrte, konnte es doch meine geweckte Neugier nicht im Geringsten stillen. In mir war der Wunsch nach der Wahrheit geweckt worden und diese war in den heutigen Zeiten nur schwer zu erlangen.

Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken und bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, war ich bereits aufgesprungen und hatte jenes zweifelhafte Werk wieder zu seinesgleichen zurückgestellt.

Die Tür öffnete sich und der junge Mann von heute Morgen stand im Türrahmen. Seine Pupillen weiteten sich unwillkürlich, als er mich entdeckte, wie ich schüchtern und mit erhitzten Wangen zu ihm sah. Eine schwarze Locke hing ihm in die Stirn, welche er harsch zurückstrich, nur damit sie sofort wieder an dem gewohnten Platz an seiner Stirn ruhte. Auf seinen Wangen lag ein kaum erkennbarer dunkler Schleier und um seine Lippen spielte nun ein belustigtes Lächeln, welches gleichzeitig einladend und abweisend wirkte. Ich hob meine Hand in die Höhe, bereit, ein Buch aus dem Regal zu nehmen, erstarrte aber mitten in der Bewegung, als er auf mich zukam. Die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben blieb er vor mir stehen und sah auf mich herab.

„Was lest Ihr?", fragte er mich und die Belustigung spiegelte sich in seinen Augen wider, als ich nervös eine Falte in meinem Kleid glättete. Wahllos nahm ich ein Buch aus dem Regal und hielt es ihm entgegen.

Überrascht zog er die Augenbrauen in die Höhe, als er den Titel las, sodass Licht sich in seinen Augen verfing und sie zum Strahlen brachte. Erschrocken von der plötzlichen Intensität seines Blickes zuckte ich zusammen und wäre beinahe vor ihm zurückgewichen.

„Die Sage der Euphrosyne?" Seine Augen huschten erneut zu dem Titel. „Seid Ihr sicher, dass Ihr dies lesen wollt?"

Von einer plötzlichen Aufmüpfigkeit erfüllt nahm ich es wieder an mich und hob herausfordernd mein Kinn ihm entgegen. „Warum denn nicht?" Meine Stimme war gefüllt mit Gekränktheit, die ich versuchte, vor ihm zu verstecken. Hielt er mich etwa für dumm? Dann wäre er wirklich nur wie all die anderen Männer, welche einer Frau nicht mehr zutrauten, als einen Haushalt zu führen und ihnen deshalb jegliches Wissen vorenthalten wollten.

Seine Miene wurde kälter, als er meinen abweisenden Gesichtsausdruck sah. „Ich wunderte mich nur, da dieses Buch ein sehr trauriges Ende hat, welches nicht jedes weibliche Gemüt verkraftet und geradezu gespickt ist mit lateinischen Begriffen."

Ich ahnte, dass er nicht verstand, wie sehr seine Worte meine Wut anheizten, doch ich hatte auch nicht den Wunsch, jetzt verständnisvoll zu sein. „Vielleicht bildet ihr Männer euch auch nur ein, dass wir Frauen ein so empfindliches Gemüt haben, damit ihr euch besser fühlt." Mein gesamter Körper war angespannt und ich wusste, dass ein einzelnes falsches Wort reichen würde, damit er sich entlud. Die Finger fest um den Buchrücken geschlungen wandte ich ihm den Rücken zu und verließ, ohne einen weiteren Blick auf ihn zu werfen, den Raum.

Ohne mich umzudrehen, eilte ich den Flur entlang und schlüpfte eilig in mein Zimmer, welches bereits von dunklen Schatten erfüllt war. Mit einem Mal verließ mich die aufgestaute Wut und ich sank auf dem Boden zusammen, das Buch immer noch fest an meine Brust gedrückt. Dieser Mann! Nun schon zum zweiten Mal am diesen Tag hatte er es geschafft, mich aus der Fassung zu bringen und meine sorgsam aufgerichtete Gleichgültigkeit gegenüber solchen Sprüchen der Männer zum Einsturz gebracht. Schon seit ich klein gewesen war, war mir so ein Patzer nicht mehr passiert. Es musste einfach an seiner herausfordernden Art liegen, dass ich mich einfach nicht mehr beherrschen konnte. Sein provozierendes Lächeln war eine reine Farce. Wütend verbannte ich ihn aus meinen Gedanken. Ich musste ihm einfach aus dem Weg gehen, dann könnte ich mich auch wieder auf mein eigentliches Ziel konzentrieren.

Perfect PerfectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt