PART 3 AKA LIES

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„Keine Bewegung," zischte eine Stimme hinter ihm und Kade spürte das kalte Metall der Waffe, dass sich an seine Stirn schmiegte.

„Ich bin hier, weil ein Einbruch in der Umgebung gemeldet wurde," sagte er, oder besser gesagt er in seiner Rolle. „Ich will Ihnen nichts tun."

„Hier in der Umgebung ist niemand," zischte Lycia, oder eben Sylvia van der Brook.

„Ich muss jeder Spur nachgehen und ich wusste nicht, dass hier jemand wohnt. Sonst hätte ich vorher angerufen. Bitte, ich bin Cop. Ich zeige Ihnen meine Marke." Er griff in seine Tasche und ignorierte die Kamera, die nahe an ihn heran fuhr. „Hier."

Lycia nahm sie und studierte seinen Ausweis, so wie sie es sollte. Erst als die Waffe von seinem Kopf entfernt wurde, atmete er tief durch. „Officer Owen Laiken." Sie steckte die Waffe weg und lächelte ihn an. „Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit. Darf ich Ihnen etwas zum Trinken anbieten?"

Sie blieben ein paar Sekunden in der Bewegung, in der sie gerade befanden, ehe sie zu Richard hinübersahen und zu den anderen Personen, die teilweise Kameras hielten, den Ton oder das Licht im Haus mit weißen Flächen korrigierten. Richard lächelte und Kamera sowie Mikrofon wurden gesenkt. „Wow, ihr seid ein wahres Powerduo. Ich bin mir sicher, dass wir die Szene keine zwei bis dreimal mehr drehen müssen, halt nur noch die verschiedenen Perspektiven. Aber das was war der Wahnsinn. Noch einmal von vorne."

Lycia ging wieder zurück auf ihren Posten und er aus der Tür und sie drehten die Szene wieder von vorne.

-

Insgesamt hatten sie die Szene viermal gedreht, ehe sie fertig waren und es war wirklich schnell gegangen. Danach hatten sie den Nachmittag noch die Szene, wie sich die Protagonisten das erste Mal unterhielten, gedreht und dann war es bereits Abend gewesen. Egal was Lycia vorher hatte, egal, was sie zum Weinen gebracht hatte, sie war schneller in die Rolle gekommen, als er es je geschafft hatte, und spielte so verdammt gut. Sie war vielleicht ein, zwei Jahre jünger als er aber dennoch war er so eifersüchtig auf ihr Schauspieltalent.

„Hey," sagte er und hielt sie an der Schulter fest, sodass sie sich zu ihm umdrehen musste. „Mit welchem Auto bist du da?"

„Ich wäre mit meiner Managerin Alice gefahren, aber sie bleibt noch etwas hier," sagte sie und beäugte ihn misstrauisch. Sie stand vielleicht einen halben Meter von ihm entfernt und dennoch konnte er sie mit jeder Faser seines Körpers fühlen. Die Wärme, die ihr Körper ausstrahlte, konnte ihr Parfum riechen.

„Also hast du niemanden, der dich fahren kann?", fragte er und sie zögerte, ehe sie den Kopf schüttelte. „Ich werde gleich abgeholt. Willst du mit mir fahren? Wir sind sowieso im gleichen Hotel." Wieder dieses Zögern, als wäre sie sich nicht sicher, ob er es ernst meinte.

Zögerte sie, weil er sie aufgelöst gesehen habe? Weil er sie gesehen hatte, nicht die Maske, die sie trug? Einmal mehr fragte er sich, ob sie immer spielte, was wahr war und was reine Farce. Hatte sie die Schmerzen schon so akzeptiert, dass sie sie nicht mehr spürte? Kade fühlte, wie sich sein Magen zu einem Knoten zusammenzog, wenn er daran dachte, dass sie etwas versteckte. Er würde es herausfinden, so wahr er hier stand, er wollte es herausfinden, wollte wissen, wie die echte Lycia war. Als Schauspieler war es sein Beruf zu erkennen, wenn jemand spielte und auch wenn sie gut war, er erkannte die aufgemalte Lüge, zumindest redete er sich das ein.

Sie warteten keine fünf Minuten, ehe der Fahrer kam und sie ohne viele Worte mitnahm. Er war ein normaler Taxifahrer, doch wurde er dafür bezahlt, dass er jeden Teilnehmer der Filmcrew von Ort A zu Drehort B fuhr. Oder wie in diesem Fall zum Hotel.

Für diesen Tag waren sie fertig. Sie hatten die Szene mit Verspätung angefangen zu drehen und standen dennoch unter keinerlei Zeitdruck, weshalb sie erst morgen wieder drehen würden. Es war keine Szene in der Nacht geplant, zumindest nicht, solange sie nicht die ersten sieben Szenen im Kasten haben würden und deshalb würden ihre Nächte, abgesehen von der einen oder anderen Feier, ruhig sein. Außerdem lagen immer noch die Wochenende dazwischen, die sie größtenteils auch frei hatten. Es war alles geplant, die Talkshows, Interviews, Photoshoots.

„Also," begann er und sein Blick wanderte zu Lycia, die von ihrem Platz aus dem Fenster starrte und damit soviel Abstand wie möglich zwischen sie brachte. Als ihm das auffiel zog er eine Augenbraue hoch, ließ aber das Thema ansonsten unberührt. Er wusste nicht, in welchen emotionalen Zustand sie war und er hatte kein Recht sie zu fragen, was in ihr vorging. Noch nicht. „Wie hast du die Rolle bekommen?" Es war ein holpriger Versuch ein Gespräch zu beginnen, das wusste er, aber ihm fiel nichts Besseres ein.

Sie musterte ihn und irgendetwas in ihrem Blick ließ ihn verstummen, ließ ihn nicht weitersprechen. Es war als hätte sie eine plötzliche Traurigkeit überfallen, als wären Erinnerungen, die sie versuchte zu verdrängen immer noch so präsent. „Ich... Alice hat mir das Skript gegeben. Sie liest alle Skripte vor mir und ich entscheide, ob ich die Rolle nehme oder nicht." Er versuchte hinter diese Standardantwort zu sehen, doch er kannte sie nicht. Nicht ihre jüngste Vergangenheit. „Ich habe mich sofort in Sylvia verliebt," erklärte sie mit ausdrucksloser Stimme.

Interviewantwort. Zu perfekt. Sie log, oder zumindest verschwieg sie etwas.

„Und du?", fragte sie schließlich und er musste sich ein Lächeln verkneifen. Sie wusste nichts. Soweit Kade das wusste, war Lycia Robertson als einzige weibliche Schauspielerin angefragt worden. Vom Autor selber.

Die Rolle war für sie geschrieben worden.

Wusste sie das? Wusste, dass, wenn sie hier nicht gewesen wäre, Ryan Mason das Skript nie verkauft hätte? Sie konnte es nicht wissen, denn nur Mr. Salvatore und dessen engste Freunde waren sich dessen bewusst.

Und er wusste das nur, weil er in der gleichen Position gewesen ist, wie sie. Weil der Producer gefragt hatte, ob er etwas damit zu tun hat. Er war der einzige männliche Schauspieler gewesen, der als Owen Laiken angefragt worden ist.

Und er hatte sofort angenommen.

„Ich wurde genauso wie du gefragt. Ich wusste alleine weil Mason es geschrieben hat, dass es gut war. Ich musste nicht recht überzeugt werden."

„Kennst du ihn?", fragte sie, dieses Mal hatte er all ihre Aufmerksamkeit und das Lächeln auf ihren Lippen wurde echt.

Er hatte das Skript immer und immer wieder gelesen und die Beschreibung von Sylvia van der Brook war eine exakte Beschreibung von Lycia Robertson:

Wunderschöne, braune Haare, braune Augen, die so viel zu verbergen schienen, hohe Wangenknochen und eine gerade lange Nase. Das wunderschöne Gesicht nur von einem sündhaft schönen Mund vollendet. Sie war anders als die anderen Schauspielerinnen, mit denen er bis jetzt zusammengearbeitet hatte und bereits, als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er das gewusst.

Vielleicht war es die Tatsache, wie sehr sie sich innerhalb einer Sekunde wandeln konnte, wie sehr sie den Tränen gestrotzt hatte oder vielleicht war es dieses Begehren, dass er ihr gegenüber verspürte.

Als er das erste Mal mit ihr gesprochen hatte, war sie in Tränen am kalten Boden gelegen und hatte sich einen Scheiß darum gekümmert, was andere von ihr dachten. Hatte getrauert.

Vielleicht war es deswegen. Noch konnte er das nicht beantworten.

„Nein. Ich kenne ihn nicht," antwortete er schließlich, auch wenn jede Faser seines Körpers ihr die Wahrheit sagen wollte, ihr endlich, nach all der Zeit mehr verraten wollte. Er wollte ihr sagen, dass er sie heute nicht zum ersten Mal gesehen hatte, wollte alles verraten, doch konnte, wollte nicht. Immer wieder schwirrte in seinem Kopf dieses eine Wort herum, dass diesen tiefen Abgrund zwischen ihn und Lycia brachte:

Lüge.

This Is ActingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt