PART 7 AKA PAST

2.7K 264 18
                                    

Die erste Woche verginge schneller, als sie es sich alle erwartet hatten und auch ziemlich erfolgreich. Sie hatten bereits die verschiedensten Anfangsszenen gedreht und hatten den ersten Meilenstein geschafft.

Für Kade und Lycia war es zu einem Ritual geworden, dass sie sich mehrmals in der Woche nach Beenden des Drehtages in Lycias Zimmer trafen und dort den Abend ausklingen ließen. So hatte Kade bereits die verschiedensten Sachen erfahren.

Er wusste jetzt, dass Lycia adoptiert worden war und ihre Adoptiveltern vor zehn Jahren, als sie achtzehn war, bei einem Autounfall gestorben sind und sie seitdem bei ihrer Tante, die sie ihr Leben lang gesucht hatte, lebte. Er wusste die verschiedensten Sachen aus ihrer Kind- und Schulzeit und er freute sich jedes Mal mehr zu erfahren, selbst wenn es nur die Bedeutung hinter ihrem einzigen Tattoo war, das er noch immer nicht erfahren hatte.

Es waren elf Worte und er vermutete, dass sie damit den Verlust ihrer Eltern meinte, aber als er sie das erste Mal gefragt hatte, hatte sie zu Boden gesehen und zugegeben, dass es erst wenige Monate alt war und sie es nicht wegen einer Situation, sondern der Ansammlung verschiedenster Sachen, machen hat lassen.

Once you're used to the pain, you'll never be the same.

Als er ihren Gesichtsausdruck gesehen hatte, als sie den Ärmel hochgekrempelt hatte und ihren Arm entblößte, hatte er gewusst, dass es kein Tattoo war, dass sie sich aus Betrunkenheit hatte stechen lassen oder aus Freude. Es erinnerte sie an etwas. Etwas, das sie nie vergessen würde. 

„Es ist witzig, dass, obwohl wir beide in New York leben, uns noch nie über den Weg gelaufen sind," meinte Kade in diesem Moment, als sie beide während einer Drehpause durch den von Licht durchfluteten Wald gingen.

„Nun ja... wir kannten uns nicht," sagte Lycia und er versuchte die Tatsache, dass sich ihre Schultern während dem Gehen berührten, zu ignorieren. „Außerdem wohne ich auf der einen Seite und du auf der anderen Seite der Stadt, das kann man nicht vergleichen."

„Trotzdem, wenn wir in New York drehen, dann bedeutet das, dass wir beide nicht mehr unsere Abende haben können, oder? Ich meine, wenn wir in New York leben, dann werden wir nicht extra in ein Hotel ziehen oder?"

„Dass sich Darin einen solchen Aufwand macht und mehrere Stockwerke mietet, ist sowieso schon viel," meinte sie. „Aber wir wohnen ja in einer Stadt, oder? Ich werde einfach mal spontan bei dir und deiner Freundin vorbeischauen." Sie stupste ihn leicht an und Kade zwang das Lächeln auf seinem Gesicht dort.

Sie waren Freunde.

Nicht mehr.

Warum fühlte er dennoch immer die Hitze in ihm aufsteigen, wenn sie ihn einfach nur berührte? Obwohl ihre Haut von Kleidung bedeckt war?

Und war die Anspielung absichtlich? Empfand sie genauso diese Hitze?

„Ich habe keine Freundin," sagte er nur und sie sah ihn nicht an, ging einfach nur weiter und er folgte ihr schließlich.

Manchmal war sie ihm ein Mysterium, aber ein Mysterium, dass er nur zu gerne erforschte. Er freute sich jedes Mal, wenn er eine neue Schicht entdeckte und sie wieder zu einem Rätsel wurde, wenn er glaubte sie zu verstehen.

In jenem Moment, in dem er nach ihrer Hand griff, hörte er das Klicken und sah den Blitz einer Kamera. Er drehte sich um und sah im Schatten einer der Bäume einen Mann mit einer Kamera und schlagartig ließ er seine Hand sinken.

„Hey, Sie," sagte er nur. „Das hier ist gemieteter Privatgrund, Sie dürfen hier nicht filmen."

Doch der Paparazzi hörte nicht auf ihn, sondern schoss einfach ein Foto. „Lächeln Sie für die Kamera," meinte er und Kade hörte den spanischen Akzent, ehe er nach der Kamera griff, doch der großgewachsene, schlaksige Mann, entkam seinem Griff und schoss weiter.

„Ich sagte, dass Sie damit aufhören sollen." Kade wusste, dass seine Stimme lauter wurde, aber er war genervt. Genervt von dem Blitzen der Kamera, genervt von dem Mann, der die Stille gestört hatte.

Er spürte eine kalte Hand, die nach seinem Arm griff und ihn von dem Mann wegzog. „Kade, lass gut sein," sagte Lycia nur, und er zuckte kaum merklich zusammen, als sie ihn berührte und spürte, wie er alleine bei ihrer Berührung wieder ruhig wurde.

„Gut," meinte er und drehte sich um. Das gefiel dem Fotografen allerdings gar nicht und er schrie ihnen verschiedenste spanische Schimpfworte nach, doch Kade rieb sich nur über über den Arm, jene Stelle, wo die Narbe war, die er bei dem Unfall davongetragen hatte.

Vor ihnen lichtete sich der Wald und sie kamen wieder beim Drehort heraus, wo gerade alle Pause machten. Sie brauchten nur mehr eine Szene zu drehen, bevor sie für heute fertig waren. Die Freuden seines Jobs behielten solche Sachen: Wenn ein Tag, eine Szene gut lief, dann konnten sie auch schon viel früher fertig werden.

„Was ist es nur mit deinem Arm?", fragte sie, als sie das Zelt betraten, in dem einige Zeitschriften auf einem Klapptisch lagen und ein paar Sesseln. Das Zelt war für die Hauptdarsteller reserviert und da neben Lycia und ihm nur Warren Zetter und im Film Kades bester Freund die Hauptdarsteller waren, war es auch im Moment entsprechend leer.

„Was?", fragte er und tat ahnungslos, obwohl er genau wusste, was sie meinte.

„Immer, wenn du nervös bist, dich etwas aufregt oder du einfach nur unruhig bist, greifst du nach deinem Arm."

„Oh, das. Willst du das wirklich wissen?", fragte er und sie nickte, ließ sich auf einem der Stühle fallen, nickte und wartete.

Er seufzte auf und zog sich schließlich das Hemd, das er noch immer von der letzten Szene trug, über den Kopf.

Als er sich zu ihr umdrehte, sah er, dass ihre Augen groß geworden waren und ihr Blick immer wieder über seinen Körper flog. Er ging auf sie zu und drehte sich um und streckte dann den Arm aus, entblößte die lange, weiße Narbe, die sich über die Außenseite seines Arms bis über seine Schulter und dann bis über sein Schulterblatt zog.

„Was ist da passiert?", fragte sie und ihre Stimme klang eigenartig heiser.

„W...ich hatte einen Autounfall," sagte er knapp und zuckte leicht zusammen, als er kalte Finger spürte, die seine Haut berührten, langsam und versuchte die Gänsehaut zu ignorieren, die ihm über den Rücken, die Arme lief. Ihre Finger bahnten sich einen Weg über seine Schultern, fuhren die Narbe an seinem Arm nach, wo sie immer dünner wurde, ehe sie ganz verschwand. Verdammt, er biss die Zähne zusammen, als der sanfte Druck ihrer Finger beinahe unerträglich wurde. Wusste sie, was sie gerade mit ihm anstellte? Welche Macht sie über ihn hatte?

„Wie ist es passiert?"

„Winter, rutschig, bin von der Straße abgekommen und... eine Böschung runtergestürzt," erwiderte er und konnte selber hören, wie rau, beinahe heiser seine Stimme klang.

„Hauptsache, du lebst," sagte sie nur und er nickte langsam, doch sein Kiefer war fest aufeinander gepresst und mit einem Mal war er nicht mehr in dem warmen Zelt, sondern in dem kalten Auto, sein Arm, der vollkommen verdreht war, Blut, überall Blut.

Bis er auf einmal eine kalte Hand auf seiner Wange spürte und seine Augen, die er unbewusst geschlossen hatte, wieder öffnete. „Hey," sagte sie nur und lächelte ihn leicht an. „Das ist Vergangenheit."

Er versuchte ihr mattes Lächeln zu erwidern, versuchte ihre Worte zu glauben, doch schaffte es nicht.

Lycia stand auf und ging, ließ ihn alleine zurück und erst als sie weg war, realisierte er, warum er ihr nicht glauben konnte.

Das ist Vergangenheit.

Sie glaubte es selber nicht.

This Is ActingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt