Ten

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,,Niemals!", schreie ich und halte meine Hand vor meinem Mund.
,,Doch. Ich war als Kind echt..merkwürdig", er lacht und isst weiter seine Pizza, die wir bestellt haben, weil das essen hier im Krankenhaus wirklich zum kotzen ist.
,,Und deine Mutter hat nichts gemerkt?", schockiert und belustigt zugleich lege ich meine halbe Pizza zurück in den Karton und lege mich nach hinten, sehe ihn dabei an.
,,Nein! Ich meine, ich hätte es sofort gemerkt, wenn jemand Marmelade in meine Schuhe geschüttet hätte", wir lachen wieder und reden schon über zwei Stunden durchgehend.

Es ist merkwürdig. Mein früheres ich, dass ich, das in der neunten Klasse war, hätte nie im Leben damit gerechten, dass ich und Harry in einem Krankenhaus sitzen würden und zusammen lachen würden. Oder uns überhaupt leiden könnten. Es ist immer noch ein großer Schock, das wir uns gut verstehen.
,,Sag mal, darf ich dich was fragen?", meine Miene wird ernst und ich möchte dieses Gefühl nicht mehr haben. ,,Ja, aber bitte keine Frage, wann ich letztes mal Durchfall hatte", er grinst mich an und kopfschüttelnd setze ich mich auf.  ,,Wieso plötzlich dein Sinneswandel? Das geht schon seit der achten Klasse so und jetzt..entschuldigst du dich?", ich verstehe es echt nicht. Jahre lang hat es ihn nicht interessiert, und jetzt hier im Krankenhaus ist es total anders? Er sieht konzentriert zu mir und scheint zu überlegen wie er es erklären soll. Oder er weiß es einfach selber nicht.

,,Ich lasse wenige Menschen an mich ran. Ich wollte nie Freundschaften schließen oder nett zu Menschen sein. Menschen sind nicht ehrlich, Lucia. Jeder lügt und wenn etwas nicht passt, verlassen sie dich und tun so, als wäre nichts gewesen. Sie verlassen dich und dann seid ihr zwei fremde Menschen die sich mal kannten. Menschen verletzen dich. In jener Hinsicht. Du wolltest immer mit mir befreundet sein. Daran kann ich mich so gut erinnern. In der siebten Klasse, hast du immer versucht mit mir zu reden und, Gott Lucia das wollte ich auch. Du warst anders als alle. Du hast immer gelesen oder Geschichten und Gedichte geschrieben. Ich habe dich immer beobachtet. Ich habe immer gesehen das du geschrieben hast und immer nett zu allen warst, doch niemand hat das geschätzt. Ich verstehe bis heute nicht warum. Eines Tages hab ich dann Finn und Lucas kennengelernt, und sie haben angefangen dich zu nerven, Sachen über dich zu sagen und dich einfach total schlecht behandelt. Glaub mir, ich war immer kurz davor ihnen eine reinzuhauen, auch wenn ich gerade mal in der neunten war", er hält kurz inne um etwas Luft zu holen, jedoch spricht er weiter. ,,Du hast dann aufgehört mit mir zu reden. Du hast mich nicht mehr beachtet, weil ich Idiot mich mit Finn und Lucas angefreundet habe, obwohl ich wusste, was für Arschlöcher die beiden waren", total perplex sehe ich zu ihm. Er hat sich geöffnet. Er hat ernsthaft gesagt, warum es all die Jahre so war, wie es war. Ich bekomme kein einziges Wort raus und sehe ihn nur an.

In diesem Moment habe ich mich verloren. Verloren, in seine Art und Weise. Verloren, wie er die Welt sieht. Er sieht sie nämlich genauso wie ich sieh sehe. Ich habe mich in seine Worte verloren, die meine Gefühle wiedergeben. Wir waren uns so ähnlich. Und das habe ich in diesem Moment gemerkt. Harry wollte nie etwas schlechtes. Er wollte nur nicht verletzt werden, wenn wir Freunde wären. Zu oft ist es im passiert, das weiss ich jetzt. ,,Ich..Harry, dass-", ich kriege kein Wort raus. Zu schockiert über diese Situation, sitze ich da und wir sehen und nur in die Augen. Und wie wir uns in die Augen sehen. Ich sehe in seine grünen Augen und Gott, grün ist die schönste Farbe die ich je gesehen habe. Er ist so ein besonderer Mensch und das merke ich jetzt in diesem Moment.

Harry sieht immer noch zu mir, doch im nächsten Moment, fängt er an stark zu husten und versucht endlos nach Luft zu schnappen.

Oh Gott. nein. Nicht schon wieder.

Ich spüre einen stich in meinem Herzen, versuche dies zu unterdrücken und stehe schleunigst auf. ,,Ich...I-ch bek..omme..kein-e Luft", überfordert mit der Situation, piepe ich diesmal meine Mutter an.

Neben seinem Bett drücke ich den roten Knopf, mit der Aufschrift
'Herz-Alarm.

Sofort ertönt die Stimme der Frau,
'Herz Alarm, Raum C127'

und Krankenpfleger sowie Krankenschweste rennen in das Zimmer.

,,Stellt seinen Kopf niedriger, wir fangen mit der Herzdruckmasssge an!", befehle ich und versuche meine schwache stimme zu ignorieren.

Gott, ich werde niemals damit klar kommen. Dieser Job ist sowas von eine Katastrophe. Das alles ist zu viel für mich. Ein Wunder das ich es immer wieder schaffe. Es kann nicht sein, dass seine Werte sich bessern, aber so gut wie jeden Tag einen Anfall bekommt. Das heißt auf jeden Fall nichts gutes.

,,Okay, ich bin da!", meine Mutter kommt geeilt durch der Tür und sieht mir in die Augen.

,,Du kannst drausen warten, ich glaube das wird immer schlimmer für dich", sie fängt an Adrenalin zu spritzen.

Obwohl ich raus gehen sollte, bewege ich mich kein Stück. Ich will nicht raus. Ich will ihm nicht aus der Seite weiche. Ich kann es einfach nicht.
,,Ich werde hier bleiben, sag mir was ich tun soll!", ich binde meine Haare zusammen, die ich geöffnet hatte, und schiebe zügig den Defibrillator.
,,Spritz noch mal 3 Milligramm Adrenalin", sie reibt die Schocker zusammen und haltet diese an seine Brust.
,,Auf 200 laden!- und weg!", oh Gott, er bewegt sich kein Stück!

,,Mama! Los!", ungeduldig stehe ich neben ihr und beobachte jedes ihrer Schritte. Ich erwische mich dabei, wie ich zu Gott bete, dass jetzt ein Wunder passieren soll.
Was wenn er..- der Gedanke daran ist schon schlimm genug.

,,Verdammt ich versuche es schon! Sein Herz ist einfach zu schwach!"
,,Das nennst du versuchen?! Du bist eine Ärztin verdammt Mama, versuch mehr!", ich schubse sie zu Seite und nehme die Schocker selber in die Hand.

,,Okay komm schon", flüsterte ich und stelle den Defibrillator auf 350.

,,Und weg", alle sehen mich genau an und verfolgen jeder meiner Bewegungen.

Nein...
,,Komm schon! Bitte Harry!", ich werde jetzt lauter. Das kann nicht sein ernst sein! Er ist schon fast zwei mal gestorben. Er kann jetzt nicht beim dritten Mal sterben!

,,Hey.. Komm her..", meine Mutter zieht mich zurück doch ich schlage ihre Hand weg und versuchte s immer weiter.

1,2,3,4,5 Nichts.

Ich werde jetzt nicht weinen, aber ich möchte es. Ich möchte mich auf die Knie schmeissen und anfangen zu weinen. Doch ich tue es nicht.

Die Stille macht mich verrückt.

,,Todes Uhrzei-"
,,Nein. I-ich..will", meine Stimme ist kurz vom zusammenbrechen. Ich spüre wie meine Tränen sich in meinen Augen sammeln.

Und dann hören wir wieder das regelmäßige piepen...

Ich atme aus und stelle somit fest, dass ich meine Luft angehalten habe.

,,Oh Gott", mein Puls ist von geschätzten 380 Schlägen pro Minute, wieder gesunken. Ich lasse mich erschöpft auf den Boden fallen und schließe meine Augen. Ich werde von Krankenschwestern auf die beine gezogen und auf einen Stuhl gesetzt und spüre den Herzschlag meiner Mutter, wie sie mich zu sich zieht und meinen kopf streichelt.

nach einer halben Stunde verlassen alle den Raum, nachdem Harrys Werte wieder gesunken sind, sein Herz regelmäßig schlägt und sein Puls im grünen Bereich ist.

Mit langsamen Schritten gehe ich auf ihn zu, um ihn leicht aufzurichten. Meine Hand streift seine Locken aus seinem Gesicht und tupfe mit einem Tuch die Schweißtropfen von seiner Stirn weg. Er liegt da, atmet. Er atmet.
,,Sag es", erschrecke ich mich, als ich ihn leise höre und er hinterher rau lacht.
Ich muss anfangen zu lachen als ich seine Stimme höre. Kein lachen, weil es witzig ist, sondern ein lachen der Freude, dass er echt lebt, welches ein übermäßiges Feuer in meinem Herzen entfacht. Zuerst verstehe ich nicht was er meint, doch schließlich sage ich es.

,,Drei. Ich habe dir das dritte mal dein Leben gerettet."

Remember him || h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt