"Highborough", flüsterte Stellan Hainsworth vor sich hin, als er die besagte Stadt auf seinem Schiff beobachtete. Er war mit dem Körper gegen das hölzerne Gelände angelehnt und begutachtete die Hafenstadt, die sich vor seinen hell braunen Augen ausbreitete. "Drei lange Jahre", murmelte er, "wir müssen nur einen unauffälligen Ort finden, um das Schiff vor neugierigen Augen zu verstecken."
"Nimmt die Marinenflagge!" befohl er seinen Bootsmänner, die seinem Befehl mit einem "Aye Captain" entgegen brachten. Hainsworth drehte sich wieder zur städlichen Kulisse und blickte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die Häuser und die wenigen Militärkanonen, die am Hafen anwesend waren. Ein Wind kam auf und Strähnen seiner leicht zersausten und mittellangen blonden Haarpracht schlugen in sein Gesicht. Trotz des Verdecken seine Haare mit Hut, hatten es einigeSträhnen geschafft sich in seinem Gesicht zu verlaufen. Seit Kindheit an, hatten seine Haare diese komische Angewohnheit. Der junge Mann war nicht der Einzige, der es als Makel empfand; die gesamte Londoner Gesellschaft hatte sich immer lustig über seine zersauste Haarpracht gemacht, was ihn jedoch provozierte. Obwohl er als Gentleman einer schwedischen Mutter und englischen Vater aufwuchs, war er doch leicht reizbar wenn man ihn ärgerte. Er war ein komplizierter Mann: Er war höflich und versteckte seine Unsicherheit oft mit Arroganz, Stolz und Stärke, was viele als Anreiz empfanden um über ihn zu scherzen, da seine Reaktionen oft sehr belustigend waren. Manche suchten oft nach Gründen, um ihn rasend zu machen: Wenn es nicht seine Haarpracht war, sprachen viele ihn auf seinen ungewöhnlichen und nicht englisch klingenden Namen an, was er mit der Rechtfertigung beantwortete, dass seine Mutter alle ihren Kindern einen schwedischen Vornamen gab. Das wiederrum, ließ die Gentlemen und Ladies wieder in ein Gelächter ausbrechen. Schweden und Großbritannien waren von 1810 bis 1812 im Krieg gewesen – aber nur auf dem Papier, gekämpft wurde nicht – weil Napoleon den Schweden aufgezwungen hatten, sich gegen Großbritannien zustellen, um nicht selbst von Frankreich den Krieg erklärt zu bekommen. Dies empfanden viele Briten, sowie die Londoner Gesellschaft als empörend. Das verhasste Frankreich mit Stellans schwedischen Wurzeln in Verbindung zu bringen, verstand der genannte Mann nicht. Er musste somit feststellen, dass die Gesellschaft immer ein Detail finden würde um ihn zu provozieren.
‚Wenn sie mich jetzt sehen würden', dachte er und lächelte ein wenig dreist. Nun hätten sie allen Grund Fehler in ihm zu sehen; denn er war Captain eines Piratenschiffs geworden. Trotz dieser vergangenen Geschehnisse, dachte er doch manchmal an das Leben der Gesellschaft, die schöne und schlechte Zeiten für ihn beherbergten. Was wäre, wenn es nie zu dem Unfall gekommen wäre, in den er vor drei Jahren hinein geraten war? Es gab viele Gründe, warum er nicht mehr in England verweilte und so viele absurde Schicksalsschläge hatten ihn dorthin gebracht wo er nun war. Vor wenigen Jahren hätte er sich auch nicht vorgestellt, dass er jemals in so eine Position geraten würde – wobei er selbst doch die Piraten als Schurken empfand. Jedoch bestand seine Mannschaft nicht aus den typischen Seeräubern, die jeden mit ihrem Schwert den Tod bringen würden.
Er schloss die Augen kurz, als das Schiff der Stadt näher kam. Könnten sie ihn jetzt überhaupt noch ernst nehmen, wenn er mit einer Piratencrew an der Haustür der edlen Gentlemen klopfen würde, die ihn noch vor Jahren verspottet hatten. Ihnen war es egal, dass sie seine Gefühle mit ihren Aussagen verletzten nur weil sie glaubten sein Selbstbewusstsein würde keinen Schaden davon nehmen. Sie dachten, es sei eine unterhaltsame Aktivität gewesen, leider empfand er es nicht so. Er hatte oft das Gefühl gehabt, dass diese Art von Menschen ihn mit Gelächtern bestrafen würden, nur weil er seine Gefühle mit einer Mauer von Stolz schützte. Dennoch, hatte er auch gute Freunde gefunden. Aber nach all den Jahren, musste er feststellen, dass seine einzigen wahren Freunde seine Mannschaft war. Die artistokratischen Mitglieder der Gesellschaft waren oberflächlich und Stellan fühlte sich unbehaglich in ihrer Nähe. Insbesondere war er beleidgt und genervt gewesen, wenn diese Menschen von seinen Schwächen wussten und diese gegen ihn verwendeten: Sein Haar, sein Vorname, sein Hang zum Nachtragend sein, seine Herkunft mütterlicherseits. Jedoch wussten nur Wenige von seiner größten Schwäche: Miss Adelaide Margret Kingston.
Nur an ihren Namen zu denken, ließ sein Herz rasen. Er hatte sie vor fünf Jahren das erste Mal gesehen und kennengelernt. Die hübsche Dunkelhaarige war immer höflich zu ihm gewesen; hatte mit ihm getanzt, geredet und teilte einige Interessen mit ihm. Es war eine untertriebene Aussage wenn man behaupten würde, dass er ihr sein Herz geschenkt hatte. Stellan hatte sich von Hals über Kopf in sie verliebt. Er hatte versucht sie zu vergessen, mit allen Mitteln . . . Aber er konnte nicht. Er hatte das Schiff, auf dem er gerade stand, nach ihr benannt um sie – auch wenn es eine fragwürdige Entscheidung war – wenigstens auf der See in seiner Nähe zu haben. Es war verrückt, aber was konnte er sonst tun, wenn sein Herz sie nicht gehen ließ.
Obwohl er sonst arrogant, stark und von sich überzeugt war, war er in ihrer Nähe umso mehr nervöser und tollpatschig. Sie sorgte dafür, dass er sich noch mehr wie ein Idiot vorkam, als er schon war. Ihre hell blauen Augen ließen ihn die ganze Welt vergessen; ihr Schönheitsfleck unter dem linken Auge hatte sie immer probiert zu überschminken, was er wiederrum nicht verstand, weil er es als bildhübsch empfand. Eigentlich fand er jedes Detail an ihr schön; nicht nur ihr Aussehen, sondern auch ihr Charakter und Macken. Sie spielte mit ihrer Kette – die sie sehr früh von ihrer Mutter bekommen hatte – wenn sie nervös war, entschuldigte sich für jede ihrer Aktionen, wenn diese nicht so abliefen wie sie es sich vorgestellt hatte. Ihre ruhige Art konnte sich in Wut wandeln, wenn man sie bis ins extremste ärgerte – was er nur einmal erlebt hatte, als ein betrunkener Mann ihre jüngere Schwester anfasste. Manchmal war sie auch krank und fühlte sich nicht gut, was oft mit dem schlechten Wetter zusammen hing. Stellan hatte sich dann immer Sorgen gemacht und wusste, dass Rosen ihr den Tag verschönern würden. Sie war – wie jede Lady – multilingual begabt, intelligent und beherrschte das Pianoforte perfekt. Nur das Sticken, war eines ihrer Schwächen; obwohl er all ihre Kreationen als lieblich empfand, mochte sie nicht, wenn man sie danach fragte. Er wusste davon, weil sie ihm bei ihrer ersten Begegnung auf der Londoner Season eines ihrer bestickten Taschentücher gab, als sie ihm aus Versehen seine Kleidung ihrem Getränk beschmutzt hatte. Er war anfangs wütend über den Zusammenprall gewesen, konnte ihr aber nicht lange böse sein, als sie sich mit dem Beschenkten des Tuches entschuldigte und ihre blauen Augen ihn in ihren Bann zogen.
Stellan seufzte laut vor sich hin, sein Herz schneller als zuvor, als er ihr Anwesen von Weiten erblickte. Drei Jahre lang hatte er sie nicht gesehen und überlegte nun, ob er ihr Haus besuchen könnte – verkleidet natürlich.
„Captain?"
„J-Ja?" brüllte Stellan fast als er sich erschrocken umdrehte. Der Bootsmann vor ihm gab ihm einen fragwürdigen Blick, „Ist alles in Ordnung? Ihr Gesicht ist ganz rot."
Der Captain fasste sich gestresst an seine Wangen, die sehr warm waren. „Ehm, ja, alles in Ordnung", antwortete er ihm bevor der Bootsmann ihm Bescheid gab, dass sie die nahegelegene Bucht nutzen könnten. Der blonde Captain nickte nur, bevor er den Befehl gab, den Anker fallen zu lassen. Dabei ließ er nicht seinen Blick von dem traumhaften und mit Rosen geschmückten Anwesen, was ihm so viel Freude und gleichzeitig so viel Herzschmerz zufügte. Er fragte sich, warum sie noch immer so viel Kontrolle über ihn hatte, obwohl sie ihm nie gestanden hatte, dass sie seine Gefühle teilte. Wahrscheinlich war sie schon lange verheiratet; immerhin war sie nun zweiundzwanzig Jahre alt. Fünf Jahre nachdem er sie kennen und lieben gelernt hatte.
„Du musst sie wirklich vergessen", flüsterte Stellan sich zu und bemerkte erst Sekunden später, dass sie an der Bucht angekommen waren.
_________________________[A/N: Jetzt wisst ihr wo Mr Hainsworth ist, aber die genaueren Gründe und Schicksalsschläge werdet ihr später erfahren ;). Die Romantik in diesem Kapitel ist hoffentlich nicht zu übertrieben dargestellt :'D)
DU LIEST GERADE
Die Perle der See
Historical FictionDie Napoleonische Zeit hatte endlich ein Ende gefunden und die englischen Bewohner der Kleinstadt Highborough dachten sie würden endlich zur Ruhe kommen. Während die Tochter eines angesehenen Gentlemans sich mehr in ihrem Leben wünschte als nur die...