Enttäuscht wirft sie den Pappbecher ihres Kaffes in den Eimer neben dem Schreibtisch. Zum sechsten Mal tritt sie nun vor die große, weiße Tafel, welche nur spärlich mit Fakten und Fotos behangen ist. Das Bild einer junge Frau mit dunklen Haaren und grünen Augen stellt den zentralen Punkt des Gefüges aus den wenigen Anhaltspunkten dar, die sie seit Mittwoch Morgen gesammelt hat. Ihr Name, Elena Frattini, steht in schwarzen Druckbuchstaben darüber. Varga, die Rechtsmedizinerin konnte den Todeszeitpunkt durch Messen der Lebertemperatur auf zwischen 23 und 2 Uhr eingrenzen. Doch das half ihr nicht weiter. Wie kam diese Frau zu dem dem verzerrten Schriftzug, der ihren nackten Rücken verunstaltet. "Grazie" ritzte man ihr in die Haut. Nicht sehr tief aber auch nicht zögerlich. Ihr Mörder musste sich sicher gewesen sein, bei dem was er tat.
"Was willst du mir nur damit sagen, du herzloses Dreckschwein?"
"Normalerweise sagt man 'Grazie', wenn man sich für etwas bedankt oder seh ich das falsch?"
Ruckartig wirbelt sie herum und stößt beinahe an einen Jungen, der anscheinend schon eine Weile direkt hinter hier stand. Sie war zu überrascht um auch nur ein Wort heraus zu bringen. Er war groß, größer als sie selbst. Mindestens 1.85, schlank und die schwarze Hornbrille verlieh seinem Gesicht etwas jugendliches. Das passte so gar nicht zu dem dunklen Drei-Tage-Bart um seine rosafarbenen Lippen und das markante Kinn.
Er grinst, schüchtern und jungenhaft. Ein süßer Kerl dachte sie.
"Wie lange stehen Sie schon hinter mir?!"
Sein Lächeln verschwindet schneller, als sie es gewünscht hätte.
"Ich... Äh naja. Vielleicht seit einer halben Minute...?"
Warum hatte sie ihn nicht bemerkt? Wie konnte er eine halbe Minute unbemerkt hinter ihr stehen und ihr über die Schulter gucken?
Und warum denkt er, sie wüsste nicht , was 'Grazie' heißt? !"Und wer sind Sie? Was machen Sie hier?" Warum musste sie sich jetzt mit diesem Kerl rumplagen?
"Eins nach dem anderen Frau" er las ihr Schild auf dem Schreibtisch, "Calussi."
Ja das war sie. Chiara Calussi. 24 Jahre alt und eine waschechte Italienerin mit dunklen Locken und grünen Augen. Mit 19 hat sie die Schule verlassen und ging in eine 4-jährige Ausbildung zur Poliziotta. Nun arbeitete sie seit einem Jahr in der Hauptdienststelle von Palermo und schlug sich mit großen und größeren Verbrechen herum. So etwas hatte sie jedoch noch nie erlebt.
Nein sowas hatte sie wirklich noch nicht erlebt. Sie wusste nicht einmal, was genau jetzt gemeint war... Der Fall? Oder der gutaussehende junge Mann vor ihr. Dieser riss sie wieder aus ihren Gedanken.
"Francesco Rossi." "Wie bitte?" Er grinst.
"So heiße ich. Aber für Sie bin ich gerne Francesco."