"Chiara, beruhig dich jetzt bitte. Komm erstmal runter. Es ist alles in Ordnung."
Er griff ihren Kopf. "Sieh. Mich. An." Und das tat sie. Sie hatte ihn gar nicht wahrgenommen. Sie hatte versucht, sich aus seiner Umklammerung zu befreien und dem Monster im Verhörraum an die Kehle zu gehen.
"Er hat gesagt, er könnte nie eine Frau schlagen." sie kochte immer noch vor Wut.
"Chiara Calussi. Du holst jetzt erstmal tief Luft und reißt dich zusammen." Francescos Stimme klang ernst. Und besorgt. Doch das berührte sie kaum.
"Er hat mich geschlagen Francesco. Mehr als nur einmal." Das berührte ihn umso mehr. Er schloss die Augen und holte selbst tief Luft.
Bevor Chiara überhaupt realisierte, dass der Mann sie im Arm hielt, stand er auf und trug sie aus dem Revier. Als sie sich ein letztes Mal nach ihrem Ex umdrehte, sah sie nur Luisas verblüfften Blick. Dann grinste diese sehr schelmisch.
Als Chiara ihre Wohnungstür aufschloss, war Francesco immer noch bei ihr. Und sie wollte nicht, dass er geht. Trotzdem wusste sie auch nicht, was sie mit ihm machen sollte. Sie brauchte erstmal Zeit, um die Begegnung mit Marco zu verarbeiten. Francesco schob sie sanft in die Küche und drückte sie in einen Stuhl. Dann wandte er sich wieder zur Tür und sie brauchte nur ein erschrockenes "Nein!" hervor. Er sah sie an. Sein Mundwinkel zuckte nach oben. "Ich hatte vor, wieder zu kommen cara mia. Ich bin gleich wieder da." er ging hinaus und ließ die Haustür angelehnt. Sie ging ins Bad, um ihr Spiegelbild zu betrachten. Fast hätte sie sich selbst erschrocken. Sie war blass, und ihre Haare zerzaust. Sie sah aus, als hätte sie geweint. 'Oh mann', dachte sie. Warum musste Francesco sie immer in solch unattraktiven Momenten erwischen.
"Chiara?!" Francescos Stimme hallte in der Wohnung. Es war nur ein kleines Appartement aber sie hatte es so spärlich eingerichtete, dass es ihr immer leer und groß vorkam. Francesco hatte ihr bereits ein großes Glas Rotwein eingeschenkt, das er ihr hinhielt. Sie berührte seine warme Hand, als sie danach griff. Sie hatte schnell ihre Haare gebürstet und sich ein wenig Wasser ins Gesicht geschüttet, um wieder einigermaßen annehmbar auszusehen.
"Danke" sagte sie freundlich und setzte sich ins Wohnzimmer, wo Francesco sich neben ihr niederließ.
Irgendwann wagte er es, als erstes zu sprechen: "Würdest du mir von dem Mann auf dem Revier erzählen, wenn ich dich darum bitte?" er war sehr vorsichtig, als wäre er sich todsicher, dass er eine Absage bekommen würde.
Ich würde alles tun, worum du mich bittest. Chiara war froh, dass ihr dieser Gedanke nicht herausrutschte. "Ich war mit ihm zusammen. Ein paar Monate." Sie starrte auf ihre Hände, als hätte sie noch nie etwas derartig interessantes gesehen.
"Und er hat dich geschlagen."
"Ja. Oft. Weil er betrunken war. Oft." Sie schüttelte den Kopf. Ihre ganze Vergangenheit kam ihr so lächerlich vor gegenüber ihm. Gegenüber diesem Mann, der sie mit seinen grauen Augen anstarrte.
"Und du hast dich deswegen von ihm getrennt?"
"Ja... irgendwann hatte ich den Mut dazu den alten, gewohnten Umständen zu entfliehen. Es geht mir besser ohne ihn, denke ich."
"Das heißt, du vermisst ihn nicht." Chiara schüttelte wieder den Kopf. "Aber du denkst manchmal daran zurück..."
Sie konnte ihn nicht anlügen. Das wollte sie gar nicht.
"Ich werde ihn nie vergessen können, egal, wie sehr ich es versuche. Es gibt etwas, das mich für den Rest meines Lebens daran erinnern wird, was er mir angetan hat."
Francesco sah sie fragend an. Aber sie war bereit, ihm zu zeigen, was keiner wusste. Etwas, dass sie niemandem zeigen wollte. Aber mit Rossi war alles in ihr so anders.
Sie drehte ihm den Rücken zu, doch er sagte nichts.
Sie zog ihr schwarzes Oberteil aus, und hörte, wie er hinter ihr scharf Luft einzog.
Sie sammelte ihre dunklen Locken, um sie nach vorn über die Schulter zu legen.
Mit beiden Händen öffnete sie ihren BH und hielt diesen nur noch vor ihren Brüsten fest. Sie wartete auf eine Reaktion. Seine Reaktion auf das, was sie ihm offenbarte.
Es waren Narben. Kleine runde wulstige Narben. Etwa 40 Stück. Verteilt auf ihrem ganzen Rücken formten sie den Buchstaben "M".
Francesco brachte nur ein Flüstern heraus. "Das hat er dir angetan? Er hat dich mit Zigaretten gequält?" Chiara nickte wieder. Sie wollte den Verschluss wieder hinter ihrem Rücken zu machen, doch seine Hand hinderte sie daran. Sie berührte ihren eigenen Arm, und Chiara konnte spüren, dass sie beide zitterten.
Dieses Zittern war nicht gegen das, welches ihr seine Finger gaben, die vorsichtig über ihren Rücken strichen, und die Narben vorsichtig ertasteten. Die Härchen in ihrem Nacken sträubten sich. Doch es fühlte sich trotzdem nicht unangenehm an.
Als er einen Augenblick später ihren BH schloss, konnte sie immer noch seine weichen Finger spüren. Sie zog ihr Top wieder über und ging dann ins Schlafzimmer, um darüber hinaus in einen großen grauen Sweater zu schlüpfen. Sie versank bildlich in einem Gefühl von Geborgenheit. Sie ermahnte sich dazu, ein Lächeln aufzusetzen und bei dem Gedanken an dem Menschen, der erst vor einigen Tagen in ihr Leben getreten ist und nun in ihrem Wohnzimmer saß, viel ihr das Lächeln nicht mal so schwer.
Doch das Wohnzimmer war leer. Ihre Couch war verlassen, die Weingläser standen nicht mehr auf dem schwarzen Tisch.
Plötzlich hörte sie aus der Küche ein Klappern. Erleichtert tapste sie in den nächsten Raum. Erneut bereitete sich ihr la bella vista seines Rückens. Doch sie konnte nur daran denken, dass dieser mit großer Wahrscheinlichkeit makellos war im Gegensatz zu ihrem eigenen. Eigentlich würde ihr nun auch zustehen, seinen Körper zu begutachten, oder? Wenigstens den Rücken. Sie würde so gern...
Doch sein Lächeln, dass er ihr zuwarf, als er sie bemerkte, hellte ihre Laune wieder auf.
"Spaghetti?" fragt sie grinsend.
"Nein Signora" er musste ebenfalls grinsen, "heute gibt es traditionelle Polenta."
Das Leuchten in ihren Augen ersparte es ihm, zu fragen, ob sie das mochte.
"Aber ist das nicht wahnsinnig aufwendig?" sie war ganz aufgeregt, über seine Kochkünste.
"Per te farei qualsiasi cosa mia dolce." er gab ihr einen Kuss auf die Wange und mit einem Zwinkern drehte er sich wieder zum Herd.