Die Hauptstraße war voll. Jeden Tag mussten tausende von Autos über den Corso Catalfimi rauschen. Und jeden Abend stand sie dort und hätte zählen können.
Jeden Abend hoffte sie, dass wenigstens einer anhielt und ihr zuwinkte. Dass sie in ein Auto steigen würde, um eine oder zwei Stunden später wieder hier zu stehen. Mit etwas weniger Selbstachtung als vorher. Doch heute Nacht blieb sie Erfolglos. Kein Wagen hielt. Keine Limousine, kein Cabrio. Nichtmal ein Truck. Accidenti! Ohne Geld nach Hause zu gehen, war ein blödes Gefühl.
Ihre billige Uhr sagte ihr, dass es erst kurz nach 11 war, doch sie hatte einfach keine Lust mehr heute. Eigentlich hatte sie gar keine Lust darauf. Als lief sie langsam südlich die hell beleuchtete Straße entlang. Von hinten kam ein schnelles Auto und hupte laut, während es an ihr vorbei fuhr, doch auch das war sie gewöhnt. Solchen Menschen war nicht bewusst, dass sie versuchte zu überleben.
Plötzlich nahm sie Schritte hinter sich wahr. Schon ganz automatisch begann sie, ihre Hüften mehr zu schwingen und ihr langes braunes Haar wehte im kühlen Abendwind. Sie hörte ein Flüstern: "Lass die Scheiße du Nutte." Sie drehte sich ruckartig um. Eine harte Faust traf sie ins Gesicht. Sie schmeckte Blut. Ein zweiter Schlag in den Magen folgte und sie bekam kaum noch Luft. Sie hätte nicht einmal um Hilfe rufen können. Der Unbekannte zerrte sie in eine der zahlreichen Gassen an der Hauptstraße. Hier verblasste ihre Hoffnung auf Rettung gänzlich. Sein Griff um ihren Arm war kalt und fest.
Er schleuderte sie herum, so, dass sie ihm direkt ins Gesicht schaute. Trotz der tief runter gezogenen Kapuze sah sie eine hässliche lange Narbe an seinem Kinn. "Lass mich in Ruhe" hauchte sie. "Halt die Schnauze!" erwiderte er und drückte sie an die Backsteinwand eines Gebäudes. Blut tropfte aus ihrer Nase und sie musste husten. Was für eine Ironie, dass sie eben noch darüber nachdachte, wie sie durch ihren Job überlebte. Verdammt gefährlich war das Leben als Hure. Und das hatte sie nun davon.
Sie wurde bewusstlos, als er ihr das Messer zum ersten mal direkt in die Brust rammte.