Chiara kniete neben der Leiche nieder.
"Völlig ausgeblutet. Selbst mit weniger Stichwunden hätte sie nicht überlebt."
"Also ein Overkill?!" Varga war heute morgen die zuständige Rechtsmedizinerin. Sie nickte.
"Der Täter muss nicht nur viel Kraft haben für diese Stiche, sondern auch unglaubliche Mengen an aufgestauten Aggressionen. Siehst du die kleinen Hämatome an der einen Seite der Stiche? Sie bedeuten, dass das Messer jedes Mal so weit hinein gestochen wurde, dass der breitere Schaft einen Bluterguss erzeugte."
"Ich wäre diesmal gern bei der Obduktion dabei." Nein Calussi, nicht wirklich gern. Auch die mollige Frau neben ihr warf ihr eine zweifelnden Blick zu, antwortete dann jedoch: "Ja klar, dann nehmen wir dich gleich im Wagen mit."
"Chiara!"
"Luisa? Was machst du denn hier?" normalerweise verließ Blondie ihren Schreibtisch eher ungern, wenn es darum ging, Tatorte zu besuchen. Man konnte ihr ansehen, dass sie sich unwohl fühlte.
"Chiara ich muss dir was wichtiges sagen, auch, wenn ich nicht weiß, wie. Aber es ist wirklich molto importante!"
Vargas Stimme hallte durch die Gasse: "Calussi!"
"Luisa das muss warten, es tut mir leid. Ich muss bei Varga mit fahren. Wir reden auf dem Revier darüber okey?"
"Va bene." Luisa sah unglücklich aus aber Chiara musste jetzt dringend los, sonst würde sie hier stehen gelassen.
"War sie auch eine Prostituierte?" Das Leichenschauhaus war nichts für Chiara. Das Licht war unnatürlich hell und es roch entweder nach nach Desinfektionsmittel oder nach Verwesung. Sie hatte großen Respekt für Rechtsmediziner, die ihren ganzen Tag in diesen Räumen arbeiteten, wo der Tod ständig präsent war. Varga stand ihr gegenüber auf der anderen Seite des Tisches auf dem der kalte nackte Körper ihres 3. Opfers lag.
"Das kann ich mit großer Sicherheit bestätigen. " antwortete sie. "Wahrscheinlich stand sie auch an der großen Via und wurde überrascht und in die Gasse gezerrt. Sie hat starke Male am linken Handgelenk. Also hat er ihren Arm gegriffen und fest gehalten."
"Konntest du Hinweise finden, dass sie sich gewehrt hat?" Varga schüttelte den Kopf. "Nein irgendetwas musste sie schon vorher außer Gefecht gesetzt haben. Siehst du den großen frischen Bluterguss auf ihrer linken Gesichtshälfte? Der Angreifer muss sie mit diesem Schlag schon außer Gefecht gesetzt haben. Außerdem hatte sie Blutgerinnsel in Nase und Rachen, die ihre Atmung erheblich eingeschränkt haben mussten.""Sie hatte keine Chance oder?" Chiara empfand irgendwie Mitgefühl für diese Prostituierte doch das war unbegründet und vollkommen unprofessionell. "Wirst du sie identifizieren können?" Die junge Polizistin hatte schon jetzt keine Lust auf ein Gespräch mit Angehörigen. Es brauchte immer so viel Empathie und Geduld, den Verwandten den Tod eines geliebten Menschen beizubringen.
"Ich werde sehen, wie viel ich mit Zahn- und Fingerabdrücken erreichen kann." Varga legte ihr Klemmbrett beiseite und sah Chiara mit ernstem Blick an. "Luisa klang vorhin sehr dringend. Warum bist du nicht oben und redest mit ihr?" sie wirkte vorwurfsvoll.
"Es ist sicher nicht so wichtig..." "Sie behauptete aber das Gegenteil." Nun setzte die kleine korpulente Frau ihre Brille ab. Chiaras Unbehagen nahm zu. "Sicher will sie mich wieder über Francesco ausquetschen. Seit er auf dem Revier war, nervt sie mich mit ihm."
"Und wer ist dieser Francesco? Woher kennst du ihn?"
"Ich würde sagen, er ist ein Freund. Eigentlich kenne ich ihn gar nicht."
"Das klingt aber noch sehr incerto."
"Ja, ich weiß aber ich will auch nicht weiter darüber reden." Chiara war langsam genervt von der Neugier ihrer Kollegen.
"Warum? Läuft was zwischen euch?"
"Jetzt fang du nicht auch noch an!" Calussi verließ die Rechtsmedizin. Jetzt würde sie sich wohl oder übel mit Luisa auseinandersetzen müssen.