Kapitel 4.

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Calab hatte uns die Nummern unserer Klassenräume rausgesucht. Nach langen Suchen und mich-durch-die-Menge-zwängen hatte ich endlich den Raum 631 gefunden. Diese Schule war riesig. Viel größer als meine alte Schule. Ich lehnte mich davor an eine Wand und sah zu, wie immer mehr Schülerinnen und Schüler auftauchten. Einige Mädchen tuschelten und schauten zu mir. Sie alle trugen die gleichen Sachen.

"Hey", hörte ich es neben mir und ich war mir sicher, dass das Mädchen das nur zu Ihrer Freundin sagte. Weiter ließ ich meine Augen über meine neue Klasse gleiten.
"Ich rede mit dir, Mädchen", hörte ich das gleiche Mädchen wieder sagen, diesmal ungeduldiger. Ich drehte mich um und sah, dass sie mich anstarrte.
"Mit... mir?", fragte ich unsicher.
"Bist du neu auf der Schule?", fragte sie. Ich nickte und drehte mich wieder weg. Ich wollte nicht mit ihr reden. Mit niemandem. Viel zu groß war die Angst vor falschen Freunden.

"Warte... Dann bist du Graysons Stiefschwester, richtig?", ein anderes Mädchen krisch.
"Unsere Eltern haben nicht geheiratet, ok?!", stellte ich genervt klar.
"Bitch...", hörte ich sie noch murmeln, dann drehte sie sich wieder weg von mir. Jetzt, wo sie mich nicht mehr anschaute, nutzte ich die Chance und musterte sie. Ihre Haare waren künstlich blond und sie trug die weiße Bluse offen. Außerdem hatte sie zusätzlich zu der Uniform noch jede Menge Schmuck an ihren Handgelenken und eine dicke, goldene Kette am Hals. Sie alle sahen aus, wie verwöhnte Mädchen von reichen Elternhäusern.

"Guten Morgen", hörte eine Lehrerin barsch sagen, die sich den Weg durch die Menge gar nicht erst bahnen musste. Alle machten freiwillig Platz. Als sie die Tür aufschließen wollte, fiel ihr Blick auf mich.
"Miss Mckenzie, richtig?", fragte sie während sie die Tür öffnete und die Menge in den Klassenraum hineinstürmte. Ich nickte und betrat als letzte den Klassenraum.

"Ruhe", rief die Lehrerin mit einer so energischen Stimme, dass ich zusammenzuckte. Die Schüler fanden sich schnell auf ihren Plätzen ein.
"Das ist Skylar Mckenzie. Nehmt sie gut bei euch auf und zeigt ihr die Kurse.", damit wies sie auf einen freien Platz neben einem Mädchen, das ich vorher noch nicht gesehen hatte.

Nach zahlreichen Versuchen, mit mir ein Gespräch anzufangen und zahlreichen Ermahnungen der Lehrerin, gab sie es schließlich auf. Ich blockte jedes Mal ab, denn ich fühlte mich unwohl hier. Das, was sie hier im Unterricht machten, hatten wir in Deutschland schon längst gemacht. Alle schauten mich an, wenn wir ein Arbeitsblatt bekamen und ich nach fünf Minuten schon fertig war und aus dem großen Fenster neben der Tafel schaute.

Ich überstand den Schultag mit Mühe, doch ich mochte die Schule nicht. Die Schuluniform war so ungewohnt. Die Mädchen hier schminkten sich mehr als nur dezent und alles war das genaue Gegenteil von mir.

Nachdem die Schule vorbei war, stürmten riesige Massen an Schülern aus dem einen Eisengatter. Die Sonne strahlte heiß vom Himmel und es war grundsätzlich sehr warm für April. Ich lehnte mich an eine Mauer vor der Schule und wartete auf Kyla.

Nach einer Weile kam ein Mädchen, das ungefähr im Alter von Kyla war, auf mich zu.
"Worauf wartest du?", fragte sie neugierig.
"Auf meine Schwester.", erwiderte ich und versuchte, so verschlossen wie möglich zu wirken.
"Kyla?", fragte sie und ich schaute sie erstaunt an. Sahen Kyla und ich uns so ähnlich oder woher wusste sie, dass wir Geschwister waren?
"Die ist schon lange weg...", meinte das Mädchen nur schulterzuckend und ging weiter. Na toll. Jetzt konnte ich ganz alleine nach Hause gehen.

Ich hatte Glück, dass ich mir den Weg so gut eingeprägt hatte. Nur einmal bog ich in die falsche Straße. Als ich dann endlich die lange Einfahrt, die heute dank der vielen Bäume komplett im Schatten lag, entlang gehen konnte, atmete ich erleichtert auf. Ich zog den Haustürschlüssel, den Calab mir am Morgen gegeben hatte heraus und schloss so leise wie möglich die Tür auf. Mit der Hoffnung, nicht bemerkt zu werden, schlich ich durch den Korridor.

"Hast du keinen Hunger, Schatz?", fragte mich meine Mutter plötzlich, als ich schon die Treppe erreicht hatte. Ertappt drehte ich mich zu ihr um und schüttelte hastig den Kopf. Sie sah viel glücklicher aus als sonst. So glücklich, wie sie noch nie ausgesehen hatte. Das lag wohlmöglich am vergangen Tod meines Vaters. Er war noch vor meiner Geburt gestorben, weshalb ich ihn nie kennenlernen konnte. So hatte es mir meine Mutter erzählt. Susan hatte sich ihre blonden Haare zu einem Dutt hochgesteckt und ihre markanten Wangenknochen kamen zum Vorschein. Würde ich jemals eine so temperamentvolle Frau sein?
"Komm einfach in die Küche, wenn du doch was Essen willst", meinte sie und lächelte. Fast unmerklich schüttelte ich den Kopf und lief nach oben.

Als ich mein Zimmer betrat, schloss ich die Tür direkt hinter mir und schmiss mich aufs Bett. Ich vergrub meinen Kopf im Kissen und Tränen rollten meine Wangen hinunter. Ich wollte hier nicht leben. Irgendwann beschloss ich, meine Schuluniform gegen gemütliche Sachen zu tauschen. Ich lief also in den begehbaren Kleiderschrank. Die Kartons mit den Klamotten standen noch am gleichen Platz wie gestern. Ich öffnete einen und sortierte den Inhalt in die dafür vorgesehenen Fächer ein. Aus dem zweiten Karton suchte ich mir erst eine Jogginhose und einen Kaputzenpulli raus, dann räumte ich auch die restliche Kleidung ein.

Aus meinem Koffer nahm ich mein iPad und beschloss, mit Jasper zu skypen. Er nahm sofort ab und seine Miene erhellte sich, als er mich sah. "Skylar!", rief er fröhlich und ich wünschte, ich könnte bei ihm sein. Ich erzählte von dem riesigen Haus und dem Garten. Und vor allem davon, dass wir nun mit dem Freund meiner Mutter zusammen lebten. Grayson erwähnte ich nicht. Mit dem iPad in der Hand lief ich aus dem Zimmer und rannte gradewegs in Grayson hinein. Mein iPad landete auf dem Boden und ich starrte ihn an, unfähig etwas zu sagen. Er hatte sich auch eine Jogginhose und ein weites T-shirt angezogen. Eine unangenehme Stille entstand.

"Sky?", kam es aus dem iPad. "Noch da?"
"Wer ist das?", fragte Grayson mit hochgezogener Augenbraue und wenn es mich nicht täuschte, grinste er leicht, fast unmerklich.
"Das geht dich nichts an", sagte ich schnell und schnappte mir das iPad, mit dem ich mich dann auf den Weg zur Küche machte. Ich spürte Graysons Blicke in meinem Rücken, was mich unangenehm rot werden ließ, doch ich drehte mich nicht um.

Verrückt nach dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt