Kapitel 5.

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Mit schnellen Schritten ging ich um die weiß angestrichene Treppe herum in die Küche. Glücklicherweise war niemand da und ich lief zu der großen Glasscheibe, die sich aufschieben ließ. Leichtfüßig schlüpfte ich durch einen kleinen Schlitz hindurch in den Garten.

Diesen Teil des Gartens konnte man von vorne gar nicht sehen. Es raubte mir den Atem. Er war wunderschön. Große, gepflegte Bäume erstreckten sich in die Höhe und der Rasen leuchtete saftig grün. Man konnte durch einen Holzbogen, der mit Rosen überwachsen war, durchgehen. Dahinter versteckte sich ein freier Platz, der ebenfalls mit bewachsenen Holzgattern für außen nicht sichtbar gemacht wurde. Die weißen Fliesen des Steinbodens taten sich in der Mitte des Platzes auf und ein riesiger Baum wuchs aus dem kleinen Stück Gras.

Verträumt starrte ich in die Höhe. Der Baum trug Früchte, wohlmöglich Äpfel. Am dicken Stamm stand eine Leiter. Ich kletterte ein Stück hinauf, was mit dem iPad in der Hand schwer war, und setzte mich auf einen stabilen Ast, der von der Baumkrone versteckt gehalten wurde.

"Wow.", erklang es aus meinem iPad. "Das ist wirklich euer Garten?"
Erst jetzt realisierte ich, dass Jasper ja auch noch da war. Ich nickte in die Kamera hinein.
"Er ist... wunderschön", brachte er es nur hervor.
"Und vorallem riesig", meinte ich und schnappte mir einen saftig roten Apfel, der neben mir an einem Ast hing. Herzhaft biss ich hinein.

"Habt ihr einen Pool?", fragte Jasper aufgeregt. Ich lächelte in mich hinein, denn er klang wie ein kleines Kind, dem man ein neues Spielzeug zeigte.
"Ich weiß nicht", sagte ich mit vollem Mund. "Einen Teich mit Seerosen gibt es auf jeden Fall..." Wieder biss ich in den knackigen Apfel und mein Blick glitt zu dem kleinen, mit Pflanzen bewachsenen Teich. Seerosen schwammen am Rande des dunkelblauen Wassers und auch andere Gewächse konnte ich entdecken.
"Warte mal ganz kurz", mit diesen Worten klemmte ich mir das iPad unter den Arm und kletterte von Ast zu Ast weiter nach oben.

Als ich das Ende der Baumkrone erreicht hatte, waren die Äste, auf denen ich stand schon ganz dünn und drohten einzubrechen. Die Sicht von hier oben war atemberaubend. Ich hielt das iPad so, dass Jasper auch etwas sehen konnte. Beete mit Rosen erstreckten sich in die Weite dieses Gartens. Geformte Büsche und Sträucher waren zu sehen. Nach einer Weile entdeckte ich einen Mann mit grüner Schürze und Gartenschere vor einem sehr unförmigen Busch stehen.

"Meinst du, wir haben einen Gärtner?", fragte ich Jasper.
"Na, wenn ihr eine Frau habt, die für euch kocht, dann werdet ihr auch einen Gärtner haben", meinte er schulterzuckend. Ich hörte das laute Geräusch eines Motors aus der Richtung des Hauses. Ein schwarzes Auto fuhr vor. Bei genauem hinsehen sah ich, dass Calab nach Hause gekommen war.

Nachdem ich mich von Jasper verabschiedet hatte, klemmte ich mir das iPad wieder unter den Arm und kletterte den Baum hinunter. Ich schlenderte noch ein wenig durch den riesigen Garten, als ich irgendwann sah, dass Calab sich mit dem Mann in der grünen Schürze unterhielt. Sie standen nicht weit von mir weg und ich konnte genau verstehen, was sie redeten. Der Gärtner, wie ich vermutete, erzählte von einer neuen Blumenart und wie gerne er eine bestimmte Sorte Rosen züchten würde.

"Hat man dir schon mal gesagt, dass lauschen unhöflich ist?", hörte ich plötzlich jemanden dicht hinter mir sagen. Vor Schreck ließ ich mein iPad fallen und es landete auf dem Boden. Genau vor Graysons Füßen. Wir schauten uns in die Augen und ich erinnerte mich an die Situation im Haus.
"Was machst du hier?", fragte ich stattdessen.
"Dich suchen. Und es ist immer noch der Garten meines Vaters.", Grayson hatte sich mit dem rechten Arm an einen weiteren Holzbogen gelehnt und sah mich forschend an.

Ich kniff die Augen leicht zusammen.
"Und warum suchst du mich?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.
"Weil du eben einfach weggegangen bist.", meinte er schulterzuckend. Dann bückte er sich, ohne den Blick von mir zu richten und hob mein iPad auf. Er wischte mit dem Handrücken über die Oberfläche, um ein paar Steine zu entfernen und hielt es mir wieder hin. Zögerlich griff ich danach.

Dann drehte er sich um und ging davon. Als er komplett hinter der Rosenhecke verschwunden war, drehte ich mich auch um und lief davon. Unterwegs begegnete ich Calab, der sich nun nicht mehr mit dem Gärtner unterhielt, sondern einfach im Weg rumstand und etwas auf seinem Handy tippte. Sein Blick fiel auf mich. War ich denn so laut gewesen?

"Ah, Hallo Skylar", begrüßte er mich mit einem Lächeln. "Gefällt dir mein Garten? Also unser Garten?"
Ich nickte lächelnd. Dann räusperte ich mich kurz. "Ähm... Calab?" Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf mich. "Wenn ich Geburtstag habe, kann ich dann einen Freund von mir nach London einladen?"
"Selbstverständlich kannst du das", sagte er sofort. "Es ist sicher noch jemand aus deiner alten Heimat, oder?"
Ich nickte hastig. "Um genau zu sein mein Exfreund..."
"Oh...", meinte er. "Und warum habt ihr euch getrennt?"
"Wegen der Distanz...", sagte ich traurig.
"Mein Beieid. Aber das hat mich ja eigentlich nichts anzugehen... Tut mir leid", kopfschüttelnd sah er auf den Boden.
"Ist schon okay, Calab", ich zwang mir ein Lächeln auf und ging an ihm vorbei. Ich war schon fast um die Ecke, als ich ihn meinen Namen sagen hörte.

"Ach ja, und Skylar?". Ich drehte mich um und sah ihn an. "Es wäre schön, wenn du irgendwann Dad zu mir sagen würdest... Aber zwing dich zu nichts." Ich schenkte ihm ein Lächeln. Und dieses Lächeln war ernstgemeint.

Mit dieser Geste verschwand ich zwischen den Bäumen.

Verrückt nach dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt