Kapitel 9.

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Angewidert verzog Grayson das Gesicht.
"Jetzt echt?", murrte er. "Warum kein Junge?"
"Weil Jungen blöd sind", Kyla lächelte.
"Danke...", jetzt war Grayson Laune entgültig im Eimer. "Schön für euch."
Er wollte gerade aufstehen, als sein Vater ihn ermahnte.
"Junger Mann", meinte er und seufzte. "Du wirst jetzt hier bleiben. Wir haben noch einiges mit euch zu besprechen..."

"Skylar und Kyla werden bald deine Großeltern kennenlernen, denn wir werden ein großes Fest veranstalten", verkündete Susan glücklich. Ihre und Calabs Hände fanden sich wieder.
"Lasst mich raten: Cosimo kommt auch?", fragte Grayson genervt.

Mir fiel auf, dass ich mich bis jetzt noch gar nicht zu der Situation geäußert hatten, aber das schien niemanden zu stören. Ich war wie immer allen egal, was mich zum seufzen brachte. Kyla, die rechts neben mir saß, schaute mich an. Sie formte etwas mit ihren Lippen und schien mich lautlos irgendetwas fragen zu wollen. Doch ich verstand nicht, was sie meinte.

"Grayson... So viel wie ich von Cosimo gehört habe, scheint er doch ganz nett zu sein", bemühte sich meine Mutter, ihn nicht noch mehr auf die Palme zu bringen.
"Susan...", liebevoll schaute Calab sie an. "Lass mich das mit ihm klären." Sie wollte gerade etwas erwidern, als sich Grayson auch schon wieder zu Wort meldete.
"Er ist ein Streber", meinte er und fügte noch ein: "Und ein Lackaffe. Hört euch erst mal diesen Namen an...", hinzu, was Calab aber überhörte.
Ich musste leicht grinsen. Grayson schien Cosimo irgendwie nicht leiden zu können. Vielleicht hatte er ihm als Kind ein Mädchen ausgespannt.

Bei dieser Vorstellung musste ich noch mehr grinsen, weshalb Grayson mich böse anschaute. "Grins nicht so dumm", fauchte er so leise, dass Calab ihn nicht hörte. Schnell biss ich mir auf die Unterlippe, um mir das Grinsen zu verkneifen.

"Daran solltest du dir mal ein Beispiel nehmen, Grayson", schimpfte Calab mit zorniger Miene.
"Vielleicht schaff' ich es ja noch", murmelte Grayson genervt und verdrehte die Augen. Ich wusste nicht was er damit meinte. Das Schuljahr hatte erst angefangen und Grayson war eine Stufe über mir.
"Nichts wirst du schaffen...", schimpfte sein Vater weiter. "Es ist immer noch meine Entscheidung. Wenn ich sage, dass du ab nächster Woche in die Klasse von Skylar gehen wirst, dann tust du, was ich dir sage."

Vor Schreck verschluckte ich mich an dem Glas Wasser, welches ich gerade zum trinken angesetzt hatte und bekam einen Hustreiz. Kyla schlug mir mehrmals auf den Rücken, bis ich mich wieder beruhigte.
"Nicht euer Ernst, oder?!", kam es nur aus mir hervor.
"Mein Schatz...", meinte meine Mutter liebevoll. "Er wird auf dich aufpassen und dir helfen, Freunde zu finden."
"Ich suche mir meine Freunde selber", rief ich empört. "Und wenn ich keine will, dann will ich keine."

Mit diesen Worten stand ich auf, stampfte aus der Küche und zog die Tür hinter mir zu.

Ich saß eine Weile in meinem Zimmer und wartete darauf, dass meine Mutter nach oben in mein Zimmer kam, um nach mir zu sehen. So, wie sie es früher immer getan hatte. Als nach einer haben Stunde immer noch niemand zu mir hoch kam, ging ich ins Bad und schaute mich im Spiegel an.

Eine Träne kullerte meine Wange hinunter, wobei auch etwas von der schwarzen Wimperntusche verschwamm. Ich zog die Klammern, mit denen ich am Morgen mühevoll meine Haare zu einem Dutt hochgesteckt hatte, aus meiner Frisur und löste das Duttkissen.

Ich tappte durch den leeren Korridor des Hauses, bis ich an der hintersten Tür ankam. Ich könnte jetzt umdrehen und zurück in mein Zimmer gehen, aber was sollte ich da schon machen? Mit Jasper chatten, oder ein Buch lesen. Das würde vermutlich beides nicht helfen, um meine Stimmung aufzubessern.
Also öffnete ich leise die Tür und fand dahinter eine Treppe nach oben vor.

Nachdem ich die Tür hinter mir wieder geschlossen hatte, ging ich langsam die Holztreppe nach oben.

Ich hatte eindeutig den Dachboden entdeckt. Alte, verstaubte Schränke und Sofas standen hier. Außerdem haufenweise Bücherschränke mit alten Schmökern an den Wänden. Hinter den ganzen Möbeln war ein Fenster mit zugezogenen Gardinen zu entdecken. Mit leichten Schritten lief ich hin und zog die alten, staubigen Vorhänge auf und öffnete das Fenster, um etwas frische Luft hinein zu lassen.

Man hatte von dieser Seite des Hauses Ausblick auf den ganzen Garten und den Wald dahinter. Was mich aber noch viel mehr beeindruckte war die alte, aber schöne Holzschaukel, die an der Diele befestigt war. Auf ihrem Brett lag ein Buch. Es schien noch nicht so alt zu sein, was mich vermuten ließ, dass es erst vor kurzem hier hin gelegt worden war.

Ich kletterte auf die Schaukel, über der noch ein Stück des Daches hervorragte, und legte das Buch auf meinen Schoß. Es sah aus wie ein Fotoalbum, weshalb ich es öffnete.

Das Bild auf der ersten Seite zeigte zweifellos Grayson, an seinem ersten Tag ihm Kindergarten. Er hielt eine winzige, blaue Tüte in der Hand, welche vermutlich ein kleines Geschenk für ihn war. Das nächste Bild zeigte Grayson und mich wie wir zusammen auf einem Teppich saßen und mit Wachsmalstiften malten.

Die nächsten Bilder handelten ungefähr von den nächsten zwei Jahren, dann hörten die Fotos plötzlich auf.

"Sind Sie nicht schön?", erklang eine Stimme von hinten. Ich erschrak und musste mich an den Seilen der Schaukel festhalten um nicht herunter zufallen. Dabei rutschte das Album gefährlich weit nach vorne.

Ich konnte zwar nicht erkennen, wer im Dunkeln des Raums neben mir stand, dafür hörte ich an seiner Stimme, dass es Calab war.

"Wie sind diese Fotos entstanden?", fragte ich ihn und schlug das Fotoalbum sanft zu.

"Lass es mich dir von Anfang an erzählen", meinte Calab und setzte sich neben mich auf die Fensterbank.

"Deine Mutter und ich kennen uns schon seit dem Tod unserer jeweiligen Expartner...", begann er. "Sie starben beide bei einem Unfall. Bei dem selben Unfall. Und beide wurden zur gleichen Zeit beerdigt. Ich war derjenige, der Susan am besten verstand, weil mir ja das gleiche widerfahren war, und sie auch am besten trösten konnte. So war das auch umgekehrt. Jedenfalls verliebten wir uns ineinander, obwohl wir beide Kinder hatten. Sie hatte dich und ich hatte Grayson. Außerdem war deine Mutter schwanger mit Kyla. Ihr seid zu uns gezogen und wir hatten eine schöne Zeit. Dann, als du 5 warst, musstet ihr nach Deutschland ziehen und wir fühlten uns beide zu jung für eine Fernbeziehung. Der Kontakt brach ab. Und als ich dann zufällig erfuhr, dass Susan mit ihren Kindern wieder mach London kommen würde, war ich natürlich der glücklichste Mensch der Welt. Schon Wochen vorher telefonierten wir und sie entschloss, wieder zu mir zu ziehen..."

"Uns hat sie nie etwas davon erzählt...", murmelte ich immer noch in Gedanken versunken. "Aber woher wusstest du, dass ich hier oben bin?"

"Ich habe das Knarren des Bodens gehört. Früher ging Grayson immer gerne hier hin und schaute sich diese Bilder an. Deshalb dachte ich, nach Jahren wäre er wieder hier oben..."

Ich musste diese ganzen Informationen erstmal verdauen. Grayson hatte die ganze Zeit genau gewusst, wer ich war...

Verrückt nach dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt