Prolog

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 Die 74. Hungerspiele waren die Katastrophe.
Und zwar deshalb, weil es Tote gab.
Das ist ja an sich genau das, was die Leute im Kapitol wollen. Allerdings gibt es da ein kleines Problem.
Es waren 24 Tote.
24 Tote und 24 Tribute.
Was bedeutet, dass es keinen Sieger gab.

Und das ist ein riesengroßes Problem.
Die letzten, so spannenden Hungerspiele wurden von ein paar Kapitolbewohner als Massenmord verschrien. Also haben sie angefangen zu demonstrieren.
Als ob der angezettelte Tod von 23 Jugendlichen in den vorherigen Spielen nicht auch Massenmord wäre!
Die Spielmacher wurden öffentlich hingerichtet und die Demonstranten wurden beruhigt, aber das waren ja auch Leute, die noch nicht einmal genau wussten, wie man richtig demonstriert. Na ja, natürlich weiß niemand mehr, wie man demonstriert. Die Dunklen Tage sind schon mehr als 75 Jahre her und so abschreckend, dass niemand versuchen würde, Widerstand zu leisten. Als Erinnerung daran gibt es die Hungerspiele.

Dabei wären wir wieder bei den Hungerspielen. Es ist schrecklich, dass sich alles nur um die Hungerspiele dreht. Das Glück der Familien hängt davon ab - wie auch die Trauer der Familienangehörigen, dessen Kinder zu den Spielen gehen müssen - und für das Kapitol ist es das absolute Jahreshighlight.
Was die 74. Hungerspiele nur so halb waren.
Dass es keinen Sieger gibt, liegt daran, dass die letzten zwei Tribute Selbstmord begangen haben.
Sie kamen aus meinem Distrikt (12) und waren ineinander verliebt. Eigentlich wurden die Regeln extra deswegen geändert. Zwei Tribute aus dem gleichen Distrikt konnten gemeinsam gewinnen, aber als sie beide als letztes übrig geblieben waren, haben sie durch eine Durchsage erfahren, dass die Regeländerung widerrufen wurden.
Die Tribute hießen Katniss und Peeta.
Ich kannte sie.
Katniss habe ich oft auf dem Hob gesehen, wenn sie geschossenes Wild gegen andere Sachen wie Mehl und Salz getauscht hat. Mein Dad hat manchmal eines ihrer Kaninchen mitgebracht, aber Fleisch können wir uns sowieso nur ganz selten leisten
Peeta kenne ich aus einem anderen Grund.
Bis vor den Spielen, in denen Peeta gehen musste, war ich mit seinem Cousin zusammen. Sam hat ihn vergöttert. Bei Besuchen in der Bäckerei und während den Mittagspausen in der Schule habe auch ich Peeta ins Herz geschlossen. Er war ein großartiger Mensch. Jeder mochte ihn automatisch, das war einfach seine Art. Jeder war von seinem Tod bestürzt.
Ihr Tod war schlimm anzusehen. Nicht dass er blutig gewesen wäre. Katniss hatte noch ein paar giftigen Beeren namens Nachtriegel in der Tasche und dann haben sie beide den Kameras die Beeren gezeigt und haben sie sich auf "Drei!" in den Mund geworfen. Ich weiß noch genau wie ich auf Platz stand, alle Leute in Feierlaune, weil gleich zwei unserer Tribute als Sieger hervorgehen würden und wie dann alle wie gelähmt zugeschaut haben, wie sie ihre Beeren zerkaut haben. Das Nächste hätte ich am liebsten nicht gesehen.
Peeta und Katniss sind einfach zusammengebrochen und haben sich überhaupt nicht mehr bewegt. Wie auch, sie waren ja tot.
Niemand hat etwas gesagt.
Niemand konnte es glauben.
Bis ein Hovercraft nicht weit weg von den Leichen unserer Tribute gelandet ist und etliche Ärzte herausgestürmt sind. In dem Moment haben die Leute angefangen zu schreien, zu weinen zusammenzusacken, einander zu trösten und sonst was zu tun.
Ich stand einfach nur da und hatte einen Gedanken im Kopf: "Die glauben doch nicht wirklich, dass Katniss und Peeta überlebt haben könnten."
Dann erfasste mich eine Woge der Trauer, die davor von Ungläubigkeit ferngehalten worden war, und ich lief weg, einfach weg.
Das Letzte was aus den Lautsprechern drang, bevor der Bildschirm schwarz wurde, haben meine Freunde und mein Dad erzählt, war die Stimme von Claudius Templesmith.
"Und das - meine Damen und Herren - waren die 74. Hungerspiele!"
Niemand hat es gesagt, aber alle haben sich ganz sicher gedacht, was für ein aufgeblasener Idiot Claudius Templesmith doch war.
Ohne Sieger hätte es auch eigentlich keinen „Tour der Sieger" gegeben, aber da hatte das Kapitol auch wieder eine Idee. Sie haben ein paar Leute, die aus den Distrikten kamen, eingeladen, um von den Spielen zu erzählen. Was sie gefühlt haben und andere Sachen. 
Es war sonnenklar, dass diese Menschen, die lächelnd die tolle Arena gelobt haben, nicht aus unseren Verhältnissen kommen konnten. Allerdings kursiert das Gerücht, dass sie bezahlt worden wären. Jeder Bürger der Distrikte hätte alles dafür getan, genug Geld zu haben, um keinen Hunger leiden zu müssen. Ich weiß nicht, ob ich es getan hätte. Allein die Vorstellung, auf einer Bühne zu stehen und den Tod meiner Tribute herunterzuspielen, ist unerträglich.
Aber für Geld ...
Die „Tour der Distrikte" war ein Werkzeug in der Hand des Kapitols. Diejenigen, die sich bestechen ließen und ihre eigene Meinung hinter einer Wand aus Lügen versteckten, waren die Bauteile des Werkzeugs. Und wir, die Menschen, die sich von den Lügen beruhigen ließen, wir waren die Schrauben und Muttern, an denen das Kapitol drehte. Wir konnten nicht anders.
Normalerweise sind die Spielmacher die Hände des Kapitols, die mit dem Hammer Hungerspiele, die Nägel so in die Wand hauen, wie sie wollen.
Wie man es auch dreht und wendet, immer sind wir die, die verlieren.
Das sind wir schon immer gewesen. Die Angst davor, alles zu verlieren oder zu sterben, bringt uns dazu, uns dem Willen der Regierung zu beugen. 
Und nun, als nächste Demonstration ihrer Macht, wird das dritte Jubeljubiläum kommen.
Was für ein passender Zeitpunkt.

The Hunger Games - Das dritte Jubeljubiläum *On Hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt