Kapitel 10 - Bri

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Bri

So müssen sich alle Tribute fühlen und gefühlt haben, so wie ich mich gerade fühle.

Alle Tribute müssen diesen ekelhaften Geschmack im trockenen Mund haben, alle müssen hoffen, sie hätten sich verhört. Das war nicht mein Name, ich habe mich bloß verhört oder habe Halluzinationen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet ich gezogen ist ganz, ganz niedrig. Aber es muss jedes Mal jemand gezogen werden und immer wird derjenige denken, dass seine Chancen doch eigentlich gut standen. Obwohl alle Tribute verschiedene Charakterzüge haben, sind sie in diesem Moment alle gleich. Uns geht allen das Gleiche durch den Kopf.

Einen triffts immer. Und dieser Eine kannst auch du sein.

Ich bemerke meine Tränen erst, als ich meine Hände auf das Gesicht drücke, um die Wahrheit von mir fernzuhalten.

Brianna, der weibliche Tribut aus Distrikt 12 bei den 75. Hungerspielen von Panem. Das hört sich völlig, völlig falsch an.

So muss Prim sich auch schon zweimal gefühlt haben. Als würdest du für dein Leben, dass du durchaus tadellos geführt hast, bestraft, indem du in die Arena geschickt wirst. Ungerechtigkeit.

Jeder Bewohner von Distrikt 12 und womöglich das ganze Kapitol schaut mich an. Manche Gesichter sind erleichtert, dass sie verschont geblieben sind, manche wirken leblos und leer, manche sind voller Mitleid, manche sind nicht so taktlos ihre Erleichterung so deutlich zu zeigen und kneifen ihre Augen zusammen, manche stoßen ihre Nachbarn an und kommentieren meine Tränen und meinen Gesichtsausdruck oder was es sonst noch anzumerken gibt. Alle Emotionen sind vertreten.

Da wird mir klar, dass die Spiele genau jetzt anfangen.

Genau in diesem Moment.

Wann sie für wen enden, liegt ganz in den Händen der Tribute und der Spielmacher.

Ich bin in den Spielen. Ich bin so gut wie tot.

Es besteht keine Hoffnung, dass ich die 10 Lose nehmen darf.

Ich werde wahrscheinlich sterben. Gegen die Karrieretribute aus 1, 2 und 4 komme ich mit meinem Messer nie an. Ich werde sterben.

Dieser Gedanke ist das grausamste und angsteinflößenste, was ich je gedacht habe. Ich weiß, dass meine Tage gezählt sind.

Meine Zeit schrumpft immer schneller zusammen. Bald ist nichts mehr davon übrig. Die Sekunden vergehen, dass wusste ich schon immer, aber ich wusste nie, was es wirklich bedeutet. Dass das Leben an einem vorbeizieht und du es nicht festhalten kannst, sondern einfach nur versuchen kannst, dass Beste daraus zu machen und es zu genießen.

Ein Schrei bahnt sich den Weg meine Speiseröhre hoch und verlässt als erstickter Ton meinen Mund.

Ich hole tief Luft, das erste Mal, dass ich es wirklich ganz bewusst tue.

Ich darf nicht aufhören zu atmen.

Wenn ich nicht aufhöre zu atmen, kann ich die Spiele gewinnen. Es ist ein naiver Gedanke, meine Gegner werden mich dazu zwingen, aufzuhören, aber für den Augenblick gibt es mir ein schwaches, eingebildetes Gefühl von Sicherheit.

Und auf einmal weiß ich genau, was ich machen werde.

Und ich weiß, dass es das einzige ist, was ich noch machen kann.

Ich werde mich nicht geschlagen geben.

Also mache ich gute Miene zum bösen Spiel.

Bevor ich einen Schritt mache, wische ich mir einmal übers Gesicht. Über mein Aussehen kann ich mir keine Gedanken machen, auch wenn keine Tränen mehr zu sehen sind, werden rote Flecken auf Wangen und Hals zurückbleiben.

The Hunger Games - Das dritte Jubeljubiläum *On Hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt