Kapitel 10

2.9K 89 25
                                    

Wir waren zwar erst um kurz vor fünf Uhr morgens zu Hause gewesen und trotzdem stand ich um neun Uhr wieder auf. In LA hatte ich überhaupt keine Zeit gehabt, um joggen zu gehen, deshalb wollte ich das jetzt unbedingt nachholen. Nachdem ich mich dann umgezogen hatte und auf dem Weg nach draußen war, kam ich an der Küche vorbei, wo Henry auf einem Barhocker saß und in einen Apfel biss. „ Hey, kommst du mit Laufen?" „ Ja, wie viel Zeit hab ich um mich fertig zu machen?" Ich warf einen Blick auf die große Uhr, die in unserer Küche hing und entschied:„ In fünf Minuten wieder hier unten, das schaffst du locker." Er nickte kurz und verschwand dann nach oben. Als wir beide am Strand lang liefen, meinte er zu mir:„ Euer Haus ist echt der Hammer! So riesig und dann auch noch mit einem Privatstrand! Ich bin ja mal gespannt, wie es bei meiner Mutter sein wird." Ihn bedrückte diese Sache anscheinend ganz schön. Wir hatten uns für Morgen mit ihr verabredet und wollten uns direkt nach der Schule mit ihr im Starbucks treffen. Emily und James könnten in der Zeit dann etwas zu zweit unternehmen und es ein bisschen genießen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

„ Sag mal, gehst du hier eigentlich auch surfen?", riss Henry mich aus meinen Gedanken. „ Ja, theoretisch schon, aber bis jetzt hatte ich meistens keine Zeit und Sam würde eh nicht mit mir surfen gehen, aber ich will auch Emily und James nicht dauernd in den Ohren liegen." „ Hast du denn ein eigenes Surfbrett?" „ Ja genauso wie Sam, dabei fällt mir ein, hab ich dir schon erzählt, dass sie nur noch Samantha genannt werden will?" „ Nope, das ist neu für mich, aber warum? Sie hat Samantha doch gehasst!" Ich wusste keine Antwort und zuckte daher einfach mit den Schultern.

Nach zehn Kilometern kamen wir wieder zu Hause an. Verschwitzt aber glücklich sprang ich unter die Dusche. Wortwörtlich und dabei wäre ich fast ausgerutscht. Ich war halt ungeschickt, es lag einfach in meiner Natur. Trotzdem forderte ich mein Schicksal immer wieder heraus. Ich meine, was sollte ich schon erwarten, wenn ich in die Dusche sprang.

Den Rest des Tages verbrachten wir eher ruhig. Emily und James waren heute mal nicht bei uns, was eigentlich schon an ein Weltwunder grenzte, da wir so gut wie jeden Tag zusammen verbrachten. Auf jeden Fall saßen wir auf der Hollywoodschaukel im Garten und während Henry sich die Kurse, die auf unserer Schule angeboten wurden anschaute und die restlichen Unterlagen ausfüllte, lag ich mit dem Kopf auf seinen Oberschenkeln und las ein Buch, an dem ich seit vier Wochen kämpfte. Daran stellte ich fest, dass ich eventuell ein bisschen wenig Zeit hatte, aber weder mit Basketball noch mit Cheerleader oder Tanzen wollte ich aufhören, deshalb musste ich mich einfach darauf einstellen, etwas weniger zu lesen. Es war ja jetzt auch kein Weltuntergang. „ Fertig!", riefen Henry und ich gleichzeitig und lachten, wobei ich von der Hollywoodschaukel fiel, was mich aber nicht daran hinderte, noch mehr zu lachen. „ Soso, du hast dich also für das Footballteam angemeldet. Respekt.", kam von mir, als ich seinen Zettel durchlas, nachdem ich mich wieder auf die Schaukel gequetscht hatte.

Ich schlug meine Augen auf und schlagartig kam mir alles entgegen, was mir heute bevor stand. Auch wenn ich überhaupt keine Lust auf Schule hatte, schlug ich meine Beine über die Bettkante und bewegte mich, mit schlürfenden Schritten, Richtung Badezimmer. Als ich in den Spiegel sah, erschreckte ich mich ausnahmsweise mal nicht. Klar, ich sah verschlafen aus, aber trotzdem nicht so schlimm wie sonst manchmal. Nach dem Duschen war ich dann richtig wach und suchte aus meinem Schrank eine einfache blaue Jeans und ein weißes Top raus, das waren übrigens meine Lieblingsklamotten, zog mich schnell um, warf eine schwarze Lederjacke über und ging dann runter in die Küche um zu frühstücken. Meine Mum stand gerade unten an der Theke und machte unser Frühstück. Ich ließ mich neben meine Schwester auf einen Barhocker fallen und wenig später kamen auch Ryan und Henry.

„ Euer Dad ist schon bei der Arbeit, aber dafür kommt er heute Abend früh nach Hause. Ich soll euch einen schönen Schultag von ihm wünschen." Sie setzte sich auch an die Theke und frühstückte mit uns zusammen. Als es an der Tür klingelte sprang ich auf und öffnete schnell. Emily und James kamen rein, wir begrüßten uns schnell, dann holten Henry und ich unsere Sachen, er hatte einfach seinen Rucksack genommen, den er in LA mithatte, zusätzlich einen Collegeblock und einen Kuli. Zum Abschied drückte ich meiner Mum einen Kuss auf die Wange. Nebenbei erinnerte ich sie dann daran, dass wir uns heute Machmittag mit Henry's Mutter treffen wollten und sie sich nicht wundern sollte, falls wir später kommen sollten. Man konnte Henry anmerken, dass er ein wenig aufgeregt war, als wir auf den Stühlen vor dem Büro des Direktors warten. Doch es war nicht nötig gewesen. Das Gespräch verlief ganz entspannt und rechtzeitig zur ersten Stunde, die wir übrigens zusammen hatten, saßen wir im Biosaal. Ach ja, Biologie gehörte schon zu einem meiner Lieblingsfächer.

Der Tag verging schnell, zu schnell für meine Verhältnisse. Neben zwei Kommentaren, die Christopher sich einfallen ließ, gab es nichts Besonderes. Komisch war nur, dass Chris' Kommentar so schlecht gewesen war, dass ich hätte lachen können. Warum auch immer, aber er schien lange nicht mehr so gute Sprüche zu haben, wie am Anfang.

„ Lass uns doch bitte einfach nach Hause gehen, ich will da nicht hin.", Henry war aufgeregt und ich konnte verstehen, dass er Angst hatte. Er kannte seine Mutter so gut wie gar nicht und sollte vielleicht bald bei ihr wohnen. „ Henry es ist zu spät, wir sind so gut wie am Café", versuchte ich ihm gut zu zureden. Ich hoffte, dass er sich noch ein wenig beruhigen würde.

Jetzt saßen wir beide an einem Tisch im hinteren Teil von Starbucks und warteten auf seine Mutter. Sie kam auf uns zu und in diesem Moment hatte ich keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte. Nach einem kurzen "Hallo" schloss sie uns beide in den Arm und wir setzten uns hin. Zuerst mussten wir warm werden und unterhielten uns über alles Mögliche. Jessica war total nett und wirklich offen. Ich merkte, wie Henry sich freute, dass seine Mutter eine so tolle Frau war und gönnte es ihm vollkommen. „ Naja, auf jeden Fall habe ich mit meinem Mann und Sophia, so hieß ihre ältere Tochter, geredet und beide haben nichts dagegen, wenn du bei uns einziehen würdest. Es ist natürlich okay, wenn dir das zu unangenehm ist, aber ich würde mich wirklich freuen." Henry schien nicht lange überlegen zu müssen. „ Falls es wirklich okay für euch ist und ihr genug Platz habt, würde ich wirklich gerne bei euch wohnen." Jessica war, glaube ich, ziemlich erleichtert und schlug vor, dass wir ja jetzt zu ihr fahren und uns alles ansehen könnten. Dabei würden wir gleichzeitig bei uns zu Hause vorbeifahren und kurz Henry's Sachen holen. Ungeschickt wie ich war, stieß ich dabei fast einen Stuhl um. Zum Glück fing Henry, der hinter mir lief, den Stuhl ab, bevor er auf den Boden knallen konnte. „ Na, du bist ja immer noch so ungeschickt", lachte er und zog mich damit auf. Dann legte er seinen Arm um meine Schulter und so liefen wir bis zu Jessicas Auto.

Also standen wir wenig später vor ihrer Haustür. „ Ich muss euch warnen, Sophia ist vierzehn und im Moment sehr anstrengend und dann gibt es da ja noch Leni, sie ist gerade zwei geworden und zahnt, deshalb beißt sie in alles was sie findet rein. Es geht hier manchmal zu, wie im Irrenhaus, darauf kannst du dich schon mal einstellen Henry. Ich zeige euch als erstes dein Zimmer, dann könnt ihr runter ins Wohnzimmer kommen." Sie schloss die Tür auf und ich staunte nicht schlecht, das Haus war ungefähr so groß wie unseres und wirklich ziemlich modern eingerichtet. Total schön. Henry bekam ein riesiges Zimmer, das auch schon komplett eingerichtet war. Wir räumten kurz seine Sachen ein, die er schon hatte und er rief seinen Vater an, um ihm zu sagen wo er die Sachen hinschicken sollte und man merkte, dass Henry seinen Vater nicht wirklich mochte, zumindest nicht mehr. Und dass obwohl sie eigentlich mal eine traumhafte Vater-Sohn-Beziehung gehabt hatten.

Wir gingen dann wieder runter und ließen uns im Wohnzimmer auf die riesige Couch fallen, auf der sicher fünfzehn Leute sitzen könnten, aber die Couch war trotzdem schön, denn wenn man abends als Familie Fernsehen guckte, war auf jeden Fall genug Platz für alle. Jessica kam kurze Zeit später von oben runter und hatte ein kleines Mädchen auf dem Arm. Sie sah total süß aus, hatte kleine hellbraune Löckchen auf dem Kopf und ein rosa T-Shirt mit einer Mini Jogginghose an. Zu süß. Ich ging davon aus, dass dieses Mädchen Leni war und meine Vermutung bestätigte sich, als Henry's Mutter sie uns dann vorstellte. Leni tapste auf ihren zwei kleinen Füßen über den Teppich der vor dem Sofa lag und streckte dann die Arme nach Henry aus, der sie kurz danach hochhob. Eins musste man ihm lassen, er konnte echt gut mit kleinen Kindern umgehen und es sah mega süß aus, als sie dann auf Henry's Schoß saß. Den beiden war schon eine gewisse Ähnlichkeit anzusehen, auch wenn sie unterschiedliche Väter hatten.

Wenig später wurde die Eingangstür aufgeschlossen und fast direkt wieder zugestoßen. „ Mama, du glaubst gar nicht...", das war dann vermutlich Sophia, die nicht gerade glücklich schien. Als sie ins Wohnzimmer kam, stoppte sie abrupt ihren Satz. „ Oh, äh... hallo." Sie lächelte und beide an und schmiss ihre Tasche in eine Ecke neben der Treppe. Dann schmiss sie sich aufs Sofa. „ Und du bist also, mein Halbbruder, Henry oder?" Man konnte jetzt schon erkennen, dass sie viel redete. „ Also ich bin Sophia und um ehrlich zu sein, habe ich mir schon immer einen großen Bruder gewünscht. So einen der mich beschützt und so." Ich lachte und sagte dann:„ Also wenn Henry eins kann, dann beschützen. Er hat einen richtigen Beschützerinstinkt." Und es war wirklich so. „ Mum, wohnt er denn jetzt bei uns?" Jessica nickte, was Sophia noch mehr zu freuen schien. Dann unterhielten wir uns und spielten ein bisschen mit Leni.

Um kurz vor sechs war ich dann bei mir zu Hause, ohne Henry, der wohl richtig Glück mit seiner neuen Familie hatte und er hatte es verdient, denn er war einer der besten Menschen die ich kannte.

New York Love StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt