Kapitel 19

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„ Was willst du?"", ich versuchte, nicht allzu fies zu klingen, auch wenn es mir sichtlich schwer fiel. „ Reden." Ihre Antwort hätte kaum knapper sein können und es lag auch noch Schärfe darin. Ich zog meine Zimmertür zu und ließ mich erwartungsvoll auf meine Sitzfensterbank fallen. „ Los!", sagte ich. Meine Lust war allerdings sehr gering. „ Was?" Sam sah mich fragend an. „ Du wolltest reden, dann rede." Ich konnte nicht verstehen, was sie hier wollte und von daher hatte ich kaum Geduld. Vor allem weil ich mich ja noch für den Ball vorbereiten wollte. „ Es tut mir Leid.", sie flüsterte es ganz leise. „ Das fällt dir aber reichlich früh ein. Wie lange hast du jetzt nicht mit mir geredet? Mich komplett ignoriert? Du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben. Es war dir komplett egal, wie es mir geht." Mit jedem Wort wurde die Enttäuschung stärker.

„ Es tut mir leid Lexi. Wirklich. Ich weiß doch auch nicht was mit mir los war. Ich habe mich einfach toll gefühlt und es war mega schön von jedem beachtet und bewundert zu werden. Natürlich ist das gemein von mir gewesen, aber du hast mir wirklich gefehlt. Wir sind doch Schwestern. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich." Die ersten Tränen rollten Sam über die Wangen. Trotzdem war ich nicht wirklich überzeugt von ihrer Entschuldigung. „ Guck nicht so, Lexi. Es tut mir wirklich Leid und es war komplett bescheuert von mir, dich die ganze zu ignorieren. Ich habe keine Ahnung was mich da geritten hat. Wir hatten noch nie so lange einen Streit und es tut mir wirklich, wirklich weh nicht mehr mit dir reden zu können und so. Wir sind Zwillinge. Wir hätten uns nicht so streiten dürfen und ich weiß auch, dass ich eigentlich die ganze Schuld auf mich nehmen muss. Ich hätte auch nicht so lange mit der Entschuldigung warten sollen, aber es ist mir immer noch genau so wichtig, wie vorher, dass wir uns wieder verstehen. Ich verspreche dir, dass ich mich nie wieder so verhalten werde. Bitte, bitte, bitte verzeih mir." Inzwischen liefen die Tränen nur so in Strömen über ihre Wangen und auch ich weinte. „ Du sagst es, du hättest dich schon viel früher entschuldigen sollen. Kannst du dir überhaupt nur ansatzweise vorstellen, wie scheiße es mir die ganze Zeit ging, als du mich komplett ignoriert hast? In der Schule und hier zu Hause hat es dich kein bisschen gejuckt, wie es mir ging. Es war dir verdammt nochmal egal!", schluchzte ich vor mich hin. Ich konnte ihr einfach nicht in die Augen sehen. Es tat viel zu viel weh und ich war schon genug verletzt. Der Ball war mir in diesem Moment egal. Es zählte für mich jetzt nur dieses Gespräch.

„ Es war dumm von mir dich zu ignorieren. Ich wollte nur einmal nicht als Sam das Zwillingsmädchen gesehen werden. Als Sam, die etwas ältere Schwester von Alexis. Von Alexis, die dies kann und das macht und so toll ist. Natürlich bin ich stolz darauf eine so schlaue, intelligente und hübsche Schwester wie dich zu haben, aber es hat sich toll angefühlt, mal mit meinen ganz eigenen Freunden Zeit zu verbringen. Bis jetzt hatten wir fast immer die gleichen Freunde, aber diesmal war es anders und es hat mir irgendwie gefallen, mal auf mich selbst gestellt zu sein. Es war schön, mit ganz anderen Leuten in Kontakt zu kommen. Es war einfach schön, dass ich mal nicht schüchtern sein konnte, weil ich sonst keinen gehabt hätte. Ich bin hier viel mehr aus mir rausgekommen, als sonst. Und ja, ich weiß, dass ich dich nicht hätte vernachlässigen dürfen. Du hast Recht, das ist noch lange kein Grund um nichts mehr mit dir zu machen und dich zu ignorieren, aber ich habe mich dann so darein gesteigert und fast nur noch Zeit mit meinen Freunden verbracht. Da war dann auch irgendwie kein Platz mehr, um an dich zu denken, das mag sich echt mies anhören, aber es war ja nicht nur das. Ich hatte auch mega Angst vor deiner Reaktion. Ich wusste zwar, dass du eigentlich alles hinnimmst, was ich mache, aber in so einer Situation haben wir noch nie gesteckt, wir hatten eben noch nie unterschiedliche Freunde und ich wollte es dir einfach nicht erklären müssen. Ja, es war dumm von mir und ich kann auch verstehen, wenn du nie wieder etwas mit mir zu tun haben willst, aber bitte denk nochmal darüber nach. Bitte."

Meine Schwester schaute mich mit einem Blick an, den ich lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Es steckte Reue darin. „ Weißt du eigentlich, was du gerade von mir verlangst Sam? Ich habe keine Ahnung, wie lange wir schon nicht mehr miteinander reden, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es viel zu lang ist. Denk mal darüber nach! Du hättest mir einfach von Anfang an sagen sollen, dass du dich durch die Zwillingssache eingeengt fühlst und dass du lieber etwas mit eigenen Freunden machen würdest. Warum hätte ich denn sauer sein sollen? Ich habe zu keinem Zeitpunkt von dir erwartet, dass du dich an Emily, James Henry und mich anhängst. Schon mal darüber nachgedacht?"

„ Alexis?", flüsterte sie nach langem Schweigen. „ Was, Sam?" „ Verzeihst du mir?" Sie schaute mich an und ich hatte keine Ahnung, was ihr Blick bedeuten sollte. In meinem Kopf rang ich mit mir selbst. Sollte ich ihr verzeihen, oder lieber nicht? Das hier war keine Sache, bei der man Pro- und Contra-Argumente abwiegen und anhand von diesen dann entscheiden konnte. Das hier war etwas viel, viel Größeres. Sam hatte mir ihren Grund für diese Aktion genannt und ihre Gefühle offenbart. Sie hatte versucht, mir zu erklären, was sie dazu bewegt hatte, so zu handeln. Sie hatte versucht sich zu entschuldigen. Andererseits hatte sie sich mir gegenüber so verhalten, als würde sie mich nicht kennen. Und genau das hatte mich zutiefst verletzt. Jetzt ging alles von mir ab. Ich musste darüber entscheiden, ob ich Sam verzeihen würde oder ob ich es nicht tat.

„Komm her!", meine Stimme war leise und immer noch kratzig. Ich konnte die salzigen Tränen schmecken, die noch immer über meine Wangen flossen. Ich hatte einen Entschluss gefasst. Vergebung. Sie war meine Schwester und je mehr ich darüber nachdachte, desto stärker verstand ich, warum Sam das getan hatte. Wenn ich ihr jetzt nicht verzeihen würde, dann würde ich es wahrscheinlich mein ganzes Leben noch bereuen.

Sam fiel in meine Arme und wir hielten einander so fest, dass wir uns fast gegenseitig erdrückten. „ Ich habe dich so vermisst!", ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „ Ich hab dich lieb, Schwesterherz.", meine Antwort fiel einfach aus, aber dieser Satz konnte genug bewirken.

Ein Blick auf die Uhr riss uns dann auseinander. 17:30 Uhr. „ Und jetzt haben wir einen Ball zu rocken." Sam's Stimme war voller Enthusiasmus. Dieser Satz erinnerte mich total an meinen Traum.

Ich stand im Flur und betrachtete mich ein letztes Mal im Spiegel. 'Wann kommt er endlich?' erwartend sah ich meine Mum an. In diesem Moment klingelte es. Aufs Stichwort, wie hätte es anders sein sollen? Schnell lief ich die Treppen hoch, zurück zu meinem Zimmer, holte das Anstecksträußchen und band es mir um. Solange ich jetzt nicht die Treppe runterfallen würde, würde alles gut gehen, doch wahrscheinlich war ich wieder ungeschickt genug um zu stolpern. Sein Mund stand offen, als er mich sah und als ich den Treppenabsatz erreicht hatte, hob er mich hoch und küsste mich so, dass ein Gefühlschaos in mir ausbrach. 'Du bist wunderschön' flüsterte er in mein Ohr, bevor er mich wieder runter ließ. Aus der Küche kam jetzt mein Dad, sein Handy in der Hand. 'Diesen Moment müssen wir doch festhalten' Dad lächelte mich an, bevor er dann mehrmals nacheinander den Auslöser knipste. Nachdem meine Eltern mich noch einmal umarmt hatten, machten wir dann den letzten Schritt. Ich hörte noch, wie die Tür zu schlug, dann wären wir zu weit weg. 'Lex, ich will mein komplettes Leben mit dir verbringen. Ich hoffe, du weißt das. Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich. Am liebsten würde ich jede Sekunde nur mit dir verbringen. Das hier soll kein Heiratsantrag werden, auch wenn ich bereit wäre, dich hier und jetzt zu heiraten. Ich will einfach nur, dass du weißt, dass, was auch immer sich zwischen uns stellen mag, meine Liebe zu dir all das überbrücken wird und ich immer voll und ganz hinter dir stehen werde.' Ich küsste ihn und Hand in Hand gingen wir weiter. 'Und jetzt lass uns diesen Ball rocken' rief er, bevor wir dann durch die Tür eine komplett andere Welt betraten. Der Raum war atemberaubend geschmückt. Emily, die einen großen Teil dazu beigetragen hatte, hatte ganze Arbeit geleistet. Der Prom war phantastisch und ich teilte dieses Erlebnis mit den Personen, die ich liebte. Ich feierte hier gerade meinen Abschlussball. Dieser Abend hätte nicht perfekter sein können. Es war so surreal. Ich konnte nicht glauben, dass das hier gerade wirklich passierte.

„ Alexis, träum nicht vor dich hin, wir müssen uns fertig machen! Oh, apropos, da muss ich gleich noch ein Geständnis ablegen. Es könnte ganz eventuell sein, dass ich vielleicht dein Kleid genommen habe. Es war so schön und ich dachte, dass du eh nicht gehst." Ein entschuldigendes Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „ Aha, dahin ist also mein Kleid verschwunden. Aber keine Sorge ich habe eh ein neues gefunden, was mir viel besser gefällt. Und jetzt lass uns fertig machen. Dann hauen wir die anderen um."


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