Tea, blood an kiss

1.5K 58 9
                                    

Nach diesem Gefühl der Freude, dass Kaito noch ein paar Tage lang begleitete, träumte er plötzlich wieder von seinem Vater und die Freude wich der Depression. Er schlief schlecht oder gar nicht, er fühlte sich häufig übel und außerdem machte ihm erneut Shinichi Sorgen. Jener hatte wieder Schwierigkeiten sich an alles zu erinnern, verbrachte aber viel Zeit mit dem Professor und Ai, sodass sich Kaito erholen konnte. An einem Abend war Kaito sogar wieder einmal alleine im großen Haus Shinichi Kudos.
Die drei waren auf einem kurzen Wochenendausflug in die Berge, wo Shinichi einmal in seiner Kindheit gewesen war und sie würden heute Abend wiederkommen. Der ganze Tag war verregnet und in der Nacht zog sogar ein schwerer Sturm auf. Kaito konnte sowieso nicht einschlafen, stand auf und sah aus den zwei großen Rundbogenfenstern, die er so sehr liebte, hinaus in die stürmische Nacht. Der Himmel war über und über von Wolken verdeckt und hatte sich lila schwarz verfärbt. Der Wind heulte unaufhörlich und der Regen trommelte gegen das Glas. Kaito hielt seinen Albinoumhang, seinen Zylinder und das Monokel in der Hand. Er fühlte sich so einsam, dass er glaubte durch Kaito Kid, der immer selbstbewusster als er gewesen war, Mut zu sammeln und Trost finden zu können. Er wandte sich von den Fenstern ab und lief in die Küche. Er wusste nicht wieso, aber das war schon immer, egal wo, sein liebster Raum gewesen. Das hatte irgendetwas mit seiner Kindheit zu tun. Kaito verwandelte sich in den Meisterdieb Kaito Kid und legte sich auf die Küchenzeile, die breit genug für ihn war. Kaito fror, er zog den Umhang enger um sich, zog die Beine und Arme an und lag fast wie eine Kugel zusammengerollt auf der Anrichte. Nach einer Weile gewöhnte er sich an diese Lage und er wurde bald wieder von seinen Träumen heimgesucht.
Kaito Kid, groß und stattlich und mit Schnurrbart, kam langsam auf Kaito zu. Der Mann hielt sich die verwundete Brust, aus einer Wunde tropfte bei jedem Schritt Blut auf den Boden. Das Tropfen klang so laut wie ein Gewehrschuss in Kaitos Ohren. Mit zunehmender Nähe sah er, dass die Augen des Mannes leer waren, der Mund war halb geöffnet, die Gesichtsmuskeln im Schmerzensschrei verzerrt und mit dem Tod ewiglich in dem Gesicht eingefroren. Kaito Kid, sein Vater, kam immer näher und flüsterte dabei den Namen seines Sohnes. Kaito wurde von einer plötzlichen Furcht übermannt, er konnte sich nicht bewegen und er wollte nur noch weg von seinem Vater. Das Flüstern wurde immer lauter und schließlich, kurz bevor Kaito Kid seinen Sohn berühren konnte, wurde es ein Schrei.
Kaito war wach. Sein Bewusstsein realisierte nur langsam, dass dieser Schrei seiner Kehle entsprungen war. Seine Augen suchten hektisch das Dunkel ab. Ein Flüstern ließ Kaito zusammenzucken. Um ein Haar wäre er vor Schreck von der Anrichte gefallen. "Wer da?", sagte er, seine Stimme war schwach und kaum mehr als ein Wispern, seine Atmung ging flach und schnell.
"Ich bin es, Shinichi. Kaito, was machst du hier in der Küche?" Shinichi berührte Kaito sachte am Arm. Kaito atmete tief durch und merkte, wie sich sein Puls normalisierte. Außerdem war da die gleiche Wärme wie beim ersten Mal, als Kaito aus so einem Traum aufgewacht war. "Ich wollte auf dich warten. Ich mag Küchen, irgendwie. Mir war kalt, also habe ich mich zusammengerollt." Shinichi schien einen Augenblick lang nachzudenken. "Jetzt lass uns aber schlafen gehen. Hast du wieder schlecht geträumt?" "Ja", sagte Kaito leise und sprang von der Anrichte runter. "Es war wieder mein Vater, aber diesmal sah er viel schlimmer aus und -" Kaito unterbrach sich. "Du erinnerst dich?", fragte er ungläubig. "Ja. Als du vorhin geschrien hast, habe ich mich daran erinnert. Es kam wie aus dem Nichts. Aber ich erinnere mich leider noch nicht an alles."
Kaito schwieg, suchte Shinichis Arm, hielt sich daran fest und gemeinsam liefen sie im Dunkeln zum Schlafzimmer.

"Warum bin ich hier?"
"Was meinst du?", flüsterte Kaito schläfrig. Er kuschelte sich näher an Shinichis warmen Körper. Begierig sog er den vertrauten Duft ein. "Warum bin ich mit dir zusammen?", fragte Shinichi tonlos. Kaito war schlagartig wieder wach. Er schlug die Augen auf und suchte die Augen seines Freundes. Aber die himmelblauen Irden blickten ausdruckslos zurück. Was ist auf einmal los? "Heißt das, du bist nicht gerne mit mir zusammen?", fragte Kaito scharf. Die Erinnerung an ihren vorherigen Streit überkam ihn wie ein kalter Regenschauer. Er spürte Angst. Shinichi schwieg lange, aber der Magier im Mondlicht wurde ungeduldig und spürte, wie Übelkeit und Wut ihn überkamen.
"Ich frage mich, warum ich nicht mehr mit Ran zusammen bin, wenn ich sie doch so sehr gemocht habe." Kaito unterdrückte mit Mühe den Brechreiz, er richtete sich auf und schaltete die Nachttischlampe an. Beide mussten blinzeln.
Er sah Shinichi lange an, beobachtete das so plötzlich gefühllose Gesicht und seufzte schließlich tief. "Ich weiß es nicht", flüsterte er schwach. Shinichi sah ihn an. "Du hast nicht mit mir darüber geredet. Und ihr habt euch immer über Kleinigkeiten gestritten." Kaito drückte seinen Mund mit den Händen zu, um den aufkommenden Mageninhalt zurückzuhalten. Shinichi setzte sich auf und sah besorgt drein.
"Kaito ...", flüsterte er. Kaito zuckte zusammen, sein Magen verkrampfe sich schmerzhaft. Vor Schmerzen stiegen ihm Tränen in die Augen und er krümmte sich.
"Shinichi ... verlass ... mich ... nicht ... bitte!", brachte er mühevoll hervor und brach zusammen. Der Detektiv stieß einen heißeren, unterdrückten Schrei aus, zerrte den der Bewusstlosigkeit nahen Kaito aus dem Bett und brachte ihn ins Badezimmer, wo er sich erbrach. Während Kaito über dem Badewannenrand hing und sich fast pausenlos erbrach und nach Luft schnappte, tätschelte ihm Shinichi hilflos den Rücken und murmelte wie in einem Gebet: "Ich werde dich nie verlassen. Ich werde dich nie verlassen. Ich werde dich nie verlassen."

Himmelblau und EisblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt