Ran oder Kaito?

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Später am Abend, es war bereits düster vor dem Wohnzimmerfenster, saßen Shinichi und Kaito dicht aneinander gekuschelt auf dem Sofa. In der Ecke brannte eine sparsame Funzel und erhellte den weitläufigen Raum ein wenig. Mit einem Glas Wein in der rechten Hand und mit der Linken damit beschäftigt, Shinichi besänftigend über den Kopf zu streichen, saß Kaito auf den gemütlichen Polstern und ließ in Gedanken das Geschehen Revue passieren.
Der Detektiv hatte sich ihm gegenüber geöffnet. Es bestand ein gewisses Vertrauen zwischen ihnen. Das war ein gutes Zeichen, schließlich war Kaito genauso wie die anderen ein Fremder für Shinichi gewesen.
Ein erleichtertes Seufzen errang sich seiner Kehle, nachdem er einen Schluck Wein zu sich genommen hatte.
Fragend blickte Shinichi zu ihm hoch. Der Junge mit den himmelblauen Augen hatte seinen Kopf auf Kaitos Knie gebettet und sich dann längst auf dem Sofa ausgestreckt. Seine eindringlichen Augen verlangten eindeutig nach einer Erklärung. Ratlos zuckte der Dieb mit den Schultern. Außerdem wollte er die beruhigende Stille nicht stören. Worte schienen heute Abend unangebracht.
Ebenso mit den Schultern zuckend und ein verschmitztes Lächeln hinzufügend kuschelte sich Shinichi wieder an seinen Freund. Er atmete leise und zufrieden aus.
Kaito grinste heimlich in sich hinein, als er diese friedliche Gestalt erblickte.
"Diese Ran scheint mich wirklich zu lieben", sagte der Detektiv in einem nüchternen Tonfall. Er warf die Worte einfach so in den Raum. Ihnen folgte ein lang anhaltendes Schweigen.
Nun war es der Meisterdieb, der dringend eine Erklärung verlangte und Shinichi ernst ansah. Lächelnd sah jener zurück, seine himmelblauen Augen hatten einen unschuldigen Ausdruck angenommen. Abermals seufzte Kaito laut auf.
Er musste es sich einfach eingestehen, Ran war seine erste Liebe. Sie war ein wichtiger Teil seines Lebens gewesen, für lange Zeit. Kaito konnte nicht einfach so verlangen, dass er sie vergaß. Vielleicht hatte Shinichi noch nie mit jemandem über seine Beziehung und die Trennung reden können.
"Erinnerst du dich wieder an sie?", erkundigte sich Kaito leise. Die friedliche Atmosphäre schien nur durch eine geringe Lautstärke erhalten zu bleiben.
Kaum merklich nickte der Detektiv. "Aber es ist alles so undeutlich und verschwommen, wie durch Nebel verdeckt", antwortete Shinichi in demselben Tonfall. Sein Blick schweifte hinüber zu der Ecklampe und blieb an dem Lichtkegel hängen. Nach einigen Minuten sah er wieder fragend den Jungen mit den eisblauen Irden an. Ihm begegnete ein merkwürdiger Blick.
"Und an mich erinnerst du dich nicht? An unsere gemeinsame Zeit?" Ärger und Wut schwang in seiner Stimme mit, jedoch erhob er sie nicht. Shinichi überlegte einen kurzen Moment, dann schüttelte er etwas den Kopf.
Daraufhin biss sich Kaito Kuroba nervös auf die Unterlippe. Er wandte den Blick von Shinichi ab, leerte sein Weinglas in einem Zug und stellte es mit einem lauten Klirren auf dem Couchtisch ab.
Eilig richtete sich Shinichi auf und sah Kaito besorgt von der Seite an. Jener spürte den dringlichen Blick auf sich ruhen, doch das machte ihn noch aufgebrachter. Seine Augen spien Gift, als er sich zu seinem Freund umwandte. Ohne weiter darüber nachzudenken packte er Shinichi am Hemdkragen und funkelte ihn bösartig an. Dann drückte er ihn ruckartig wieder zurück aufs Sofa, seine Hände umklammerten noch immer krampfhaft den Hemdkragen.
"Wieso?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Wieso erinnerst du dich nicht?" In seinen Augen glitzerten Tränen. Ein ersticktes Schluchzen entkam seiner Kehle. Als Shinichi ihn immer noch mit denselben, unschuldigen Augen ansah, mit diesem schiefen Blick, den er so sehr an ihm liebte, riss bei Kaito der Geduldsfaden.
Er schrie ihn an: "Was hat diese verdammte Ran mit dir gemacht, dass du verflixt noch mal nicht mehr von ihr loskommst? Was ist es? Warum liebst du diese verlogene Zicke und mich nicht?"
Einen Augenblick später war es Kaito zu spät bewusst, dass er zu weit gegangen war. Innerhalb einer Sekunde hatte sich das Blatt gewendet und nun lag der Meisterdieb mit verschränkten Armen auf dem Sofa, ein wutentbrannter Schülerdetektiv kniete über ihm. "Wag es ja nicht ...! Du ...!" Kaito grinste belustigt. "Ich was, hm? Bitte, beleidige mich doch! Aber mich kannst du nicht noch mehr beleidigen, tut mir Leid für dich!" Seine Augen blitzten wütend bei diesen Worten. Er konnte sehen, dass Shinichi zögerte. Was auch immer ihn daran hinderte ihn zu beleidigen, Kaito war es gleichgültig. Er war wütend auf Shinichi und das sollte dieser nun spüren.
"Sag doch einfach, dass du mich nicht liebst! Dann bin ich sofort hier raus und für immer aus deinem Leben verschwunden!"
Wie sagt man so schön? Die Strafe folgt auf dem Fuße. Kaito konnte gar nicht so schnell reagieren, wie ihn der Faustschlag traf. Er spürte nur ein heftiges Pochen auf der Wange.
Shinichi hatte ihn geschlagen. Diese Erkenntnis traf ihn fast genauso blitzartig wie der Schlag zuvor. Nur heftiger.
Jedoch stemmte ihn Shinichi ruckartig hoch, packte ihm an Kragen und sagte verbissen, mit Tränen in den Augen: "Hau doch ab, wenn du willst! Ich will dich hier nicht sehen!"
Ehe er sich versehen hatte, stand Kaito draußen in der Kälte der Nacht, ohne ein weiteres Wort und ohne eine wärmende Jacke.
Sauer auf sich selbst und seine Dummheit, kickte er lustlos einen Kieselstein auf der Straße von sich weg und machte sich bibbernd, die Arme eng an den Körper gepresst, auf den Weg zu seinem Apartment.

Himmelblau und EisblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt