Verliebt?

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Als Kaito am nächsten Morgen von den Sonnenstrahlen im Gesicht gekitzelt und geweckt wurde, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Es lag nicht an seinen Schmerzen oder an der Erkältung, dass ihm beim Anblick Shinichis ein kalter Schauer über den Rücken lief. Shinichi saß mit gekreuzten Beinen am Tisch und las stumm seine Zeitung. Neben ihm dampfte eine Tasse Kaffee. Kaito nuschelte einen Gruß und setzte sich ebenfalls mit einer Tasse neben ihn. Shinichi sah ihn über den Rand seiner Zeitung an. "Fühlst du dich besser?" Besorgnis schwang in seiner Stimme mit, doch auch eine gewisse Distanz und Kühle. Kaito nickte stumm.
Shinichi lächelte. "Das ist schön." Kaito sah ihn erstaunt an. Das Lächeln war aufmunternd und aufrichtig. Sein schlechtes Gefühl war verflogen. Kaito lächelte in sich hinein, trank seinen Kaffee und dachte schweigend über das nach, was zwischen ihnen beiden geschehen war. Eine Fügung des Schicksals?
Später am Tag saßen die beiden in Shinichis Garten. Die Sonne schien kräftig und eine leichte Brise wehte in den Ahornbäumen. Shinichi saß mit dem Rücken an einem dieser und las ein Buch. Er lernte für die Abschlussprüfung.
Kaito saß auf der anderen Seite des Stammes und döste. Als er aufwachte, zitterte sein ganzer Körper.
Shinichi drehte sich unvermittelt zu ihm um und musterte sein Gesicht. Kaitos Augen sprangen hin und her und die Pupillen hatten sich vor Angst geweitet.
"Kaito?", flüsterte Shinichi. Kaito hatte plötzlich aufgeschrien und er schien verstört zu sein. Kaito schien aber nichts wahrzunehmen, mit seinen angsterfüllten Augen starrte er ins Leere. Er hörte nichts und fühlte nichts als Kälte.
Unerwartet breitete sich jedoch Wärme in seinem Körper aus. Er blinzelte und merkte, dass Shinichi ihn umarmte. Sein Griff war fest und bestimmt und dennoch voll Sanftheit. Wie alles an ihm hat auch das seine zwei Seiten, dachte Kaito und lächelte wieder. Shinichi atmete erleichtert aus, als er Kaitos Lächeln bemerkte.
"Was war los? Hast du schlecht geträumt?", fragte er. Kaito zögerte. Zuerst wusste er auch nicht, was geschehen war, doch langsam kehrte seine Erinnerung zurück.
"Ja. Von meinem Vater." "Was hat dich so erschreckt?" "Ich habe gesehen wie er ermordet wurde." Shinichi sog unmerklich Luft ein. Er wagte es nicht, noch mehr zu fragen. Kaito schüttelte den Kopf. "Ich weiß schon seit zwei Jahren, dass er ermordet wurde. Deshalb versuche ich seine Mörder zu finden." Er schien kurz über etwas nachzudenken. "Doch seit einiger Zeit verfolgt es mich in meinen Träumen. Ich sehe ihn immer wieder. Mein Vater wird immer wieder vor meinen Augen ermordet."
Kaito erzählte das so sachlich, als würde er über einen Fremden sprechen, doch er spürte die Tränen hinter seinen Augen aufkommen. Schließlich gab er diesem Gefühl nach und die Tränen flossen. Shinichis Umarmung wurde fester und er schmiegte Kaitos Wange an seine Schulter. Er versuchte beruhigend auf ihn einzureden, doch Kaito gab ihm wie als Antwort einen Kuss. Shinichi war perplex, doch er wusste, was Kaito jetzt brauchte. Er stemmte sich hoch und trug Kaito wie ein kleines Kind im Arm zum Haus.

Kaito kuschelte sich näher an Shinichis warmen Körper. Er küsste ihn flüchtig auf seinen Nacken. Der Detektiv hatte ihm den Rücken zugedreht. Shinichi drehte sich erstaunt zu ihm um. "Wie geht es deiner Schulter jetzt?" "Besser", sagte Kid träge und gähnte. Shinichi zog die Decke enger um sich. Sie war warm.  Unbewusst drehte er sich weg und hörte sich sagen: "Gut. Dann kannst du ja jetzt gehen, Kid." Seine Stimme klang kalt.
Zuerst geschah gar nichts, dann stand Kaito auf, zog sich an und verschwand wortlos zur Tür hinaus.
Shinichi seufzte. Es ist besser so, dachte er. Lieber jetzt, als wenn es zu spät ist und sich einer von uns verliebt. "Ich liebe dich, Shinichi". Nein, das kann doch gar nicht sein! Shinichi richtete sich abrupt auf und lauschte auf Geräusche. Kid schien tatsächlich verschwunden zu sein. Shinichi seufze abermals und ließ sich wieder in sein Bett sinken. Er streckte seine verspannten Glieder. Ich kann das nicht, dachte er. Ich kann nicht mit Kid zusammen sein. Er starrte auf den Stuhl, der immer noch im Zimmer stand und auf dem er tage- und nächtelang über Kaito gewacht hatte. "Verdammt", fluchte er leise und sprang auf. Er braucht mich. Wie konnte ich nur so blöd sein!?

Shinichi ließ sich erschöpft in sein Bett fallen. Er atmete schwer ein und aus. Er hatte die ganze Gegend  bis in die Nacht hinein nach Kaito abgesucht, dabei aber vergessen, dass Kid ein Meister der Täuschung und Verkleidung war. Er konnte ihn gar nicht finden. Shinichi wälzte sich zur Seite und schmiegte sich an sein Kopfkissen. Der Duft des Meisterdiebs haftete noch immer daran. Shinichi sog den Duft gierig ein und kuschelte sich noch mehr an den sanften Stoff. Das riecht so gut, dachte Shinichi.
Er zog die Decke heran und verkroch sich darunter. Er ließ seine Gedanken schweifen und plötzlich richtete er sich auf und dachte nach.
Vermisste er etwa Kaito Kid?
Seinen größten Rivalen? Einen Dieb?
Shinichi gähnte herzhaft und beschloss, diese quälende Frage beiseite zu schieben und zu schlafen. Doch in seinem Hinterkopf hämmert noch dringlicher und heftiger die Frage: Liebe ich ihn?

Himmelblau und EisblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt