Einsame Feinde

2.2K 105 13
                                    

Kaito hockte am großen Rundbogenfenster und starrte zur Nacht hinaus. Der Vollmond beschien sein tränenverschmiertes Gesicht. Er war nach Hause gegangen. Seine Mutter war erstaunt ihren Sohn so plötzlich wieder zusehen, nachdem er Monate lang nichts von sich hatte hören lassen.
Kaito saß an seinem Lieblingsfenster. Hier war er schon als Kind am liebsten gesessen und hatte auf die Heimkehr seines Vaters gewartet, denn von hier oben konnte er die große Eingangstür zu ihrem Anwesen wunderbar überblicken.
Kaito schluchzte leise. Es hat keinen Sinn, dachte er. Ich habe ihn wahrscheinlich durch meine direkte Art verstört und verängstigt. Ich kann das nicht mehr rückgängig machen. Er blickte in den Mond. Und wenn ich ihn um Verzeihung bitte? Kaitos Herz hämmerte. Das war eine Möglichkeit. Doch er unterbrach sich selbst wieder. Ich habe gar keinen Grund mich zu entschuldigen, dachte er verbittert. Er hat mich fortgeschickt. Kaito nickte stumm. Dann entfuhr wieder ein Schluchzer seiner Kehle. Und er hat mich zutiefst verletzt. Wenn es ihm nichts bedeutet hat, warum hat er dann den Anschein geweckt und Interesse an meinen Gefühlen gezeigt?  Kaito schluchzte laut, viel zu laut, und wischte die Tränen mit dem Hemdärmel weg. Ich war nur gut, weil er wissen wollte, wie es ist mit mir zu schlafen, dachte Kid entsetzt und vergrub schließlich den Kopf in seinen Armen und weinte.

"Hallo!?" Heijis Stimme schallte fröhlich aus dem Handy. Shinichi zog eine Grimasse. Er wollte eigentlich nicht mit Heiji darüber sprechen.
"Hi, Heiji. Ich bin's!" Sein Freund schrie erfreut auf.
"Na, Kudo, altes Haus! Wie geht's?"
"Naja, ich lebe noch." Er lachte freudlos auf.
"Obwohl ich vor Gram sterben sollte." Der Detektiv am anderen Ende horchte auf.
"Kudo? Was ist passiert?" Shinichi schluckte. Er musste sich beherrschen.
"Ach weißt du, das Übliche ..."
Heiji unterbrach ihn sofort. "Wieder einmal Streit mit Ran?"
Shinichi antwortete nicht. Heiji wusste nicht, dass er und Ran schon seit einem Jahr nicht mehr zusammen waren, ihre Sandkastenliebe hatte für eine ernstere Beziehung nicht ausgereicht.
Aber es ist besser so, dachte Shinichi und sagte: "Ja, wieder einmal. Kannst du mir bitte helfen?"
Er atmete schwer aus. Er war kurz davor, Tränen zu vergießen. "Ich ... ich weiß nicht was ich tun soll ... Ich habe sie ohne Vorwarnung weggeschickt."
Shinichis Stimme versagte. In Erinnerung an den letzten Tag flossen nun endlich die Tränen. Heiji hob das Handy von sich weg, als Shinichi lauthals schluchzte. Er war sprachlos.
"Das muss aber ein heftiger Streit gewesen sein", sagte er, als sich Shinichi wieder beruhigt zu haben schien.
"Ich, ach ... ich weiß nicht." Shinichis Knie gaben nach. Er rutschte langsam am Küchenschrank auf die kalten Fliesen hinunter. Doch er wurde noch immer von Schluchzern geschüttelt und saß nun mit angezogenen Beinen auf seinem Küchenboden. Das Handy in seiner Hand zitterte.
"Bitte ... hilf mir!" Heiji zuckte zusammen. Das war eindeutig etwas sehr Ernstes.
"Sag, Kudo, was ist genau passiert?"
Shinichi überlegte. Er hatte ihn ohne Vorwarnung einfach weggeschickt. Er war noch nicht einmal wütend geworden, wie es früher mit Ran gewesen war. Er hatte einfach nur gesagt, er solle gehen.
Das ist zu schön gelaufen, um wahr zu sein, dachte Shinichi und weinte wieder. "Kudo?"
"Ich habe sie ohne Vorwarnung weggeschickt", wiederholte er tonlos.
Heiji seufzte.
Wirklich?, fragte sich Shinichi plötzlich in Gedanken, ohne auf Heiji zu achten. Habe ich ihn wirklich spontan rausgeschmissen? Nein. Ich habe das doch schon vorher geplant. Ich hatte das doch die ganze Zeit im Kopf. Ich habe es mit Absicht gemacht! Es schüttelte ihn vor Trauer. Das macht es nur noch abscheulicher!
Der Detektiv verachtete sich für diesen Gedanken, der ihn schon seit einigen Tagen nicht mehr losgelassen hatte.
"Ich habe sie sehr tief dadurch verletzt", hörte er sich zu Heiji sagen. Aber es geht doch gar nicht anders! Wir können nicht zusammen sein!
"Heiji, ich kann nicht mit ihm zusammen sein!"
"Ihm?", fragte Heiji verwundert. "Über wen redest du?"
Shinichi stutzte. Er hatte sich verplappert.
"Nein, nein. Du hast dich verhört. Ich habe gesagt: Ich kann nicht mit ihr zusammen sein."
Er schniefte laut. "Nicht mehr", fügte er leise hinzu.
Heiji schnaubte. "Na gut. Liebst du sie?"
Shinichi schluckte. Seine Zunge formte ein "Ja", bevor er überhaupt einen weiteren Gedanken gefasst hatte.
"Dann geh zu ihr, sag ihr das ins Gesicht und entschuldige dich!"
Plötzlich musste Shinichi lachen. Bei Heiji klang das alles so einfach. Er und Kazuha waren schon seit zwei Jahren zusammen und kamen fast immer ohne Streit aus, aber bei ihm und Kaito war die Situation etwas anders. Ich muss ihn zuerst finden, dachte er.

Himmelblau und EisblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt