Kapitel 3

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  Mürrisch schaute ich mich in dem Wald um. Überall waren Bäume, aber nirgends konnte ich irgendeine Beere entdecken. Es war doch wirklich zum Haare raufen!
Meine Schritte beschleunigten sich ein wenig und ich wäre beinahe hingefallen, aber konnte mich dann doch noch rechtzeitig fangen.
Ich wollte doch nur wenigstens ein paar der Beeren finden und mit nach Hause bringen. Ich wollte einmal etwas richtig machen.
Mein Kleid war am Saum schon ganz kaputt, da ich mich eben durch ein paar fiese Gebüsche hatte kämpfen müssen, aber ich hatte ja zum Glück noch zu Hause eins und außerdem hatte Mutter mir versprochen, dass ich noch ein neues bekommen würde, wenn wir in unserer neuen Heimat angekommen wären.
Ich ging weiter. Keine Ahnung wie tief ich mittlerweile schon in dem Wald drinnen war, aber es war immer noch sehr hell draußen, weshalb ich mal davon ausging, dass ich es heil und vor der Dunkelheit wieder nach Hause schaffen würde.
Ein Baum fiel in mein Blickfeld und ich stoppte mitten im Gang. Er sah merkwürdig aus. Der Baum war zwar fest im Boden, das konnte ich sehen, aber er war so weit nach vorne gebeugt, dass es so aussah, als wäre er müde und wolle nur noch schlafen. Vielleicht war es ja auch so.
Mein Ziel fest vor den Augen, ging ich auf den Baum zu. Eine kleine Pause könnte ich mir doch gönnen, denn immerhin war ich jetzt schon eine ganze Weile im Wald herumgeirrt.
Mit meinem Fuß strich ich ein bisschen das Laub aus dem Weg und ließ mich dann auf dem Boden nieder. Den Korb stellte ich neben mich.
Von hier aus konnte ich sogar wieder den Himmel sehen, da die anderen Bäume seltsamerweise alle etwas von dem merkwürdigen Baum Abstand zu nehmen schienen. Wer weiß, vielleicht war er wirklich etwas Besonderes? Ein Zauberbaum womöglich?
Mit einem leisem Klatsch landete meine Handfläche an meiner Stirn. Was hatte ich nur immer für absurde Gedanken?
»Was macht eine junge Dame wie du hier draußen?«, fragte auf einmal eine Stimme aus dem Nichts, die mich zusammen zucken ließ. Reflexartig nahm ich mir den nächstbesten Stock, stand auf und hielt ihn stets vor mich.
»Wer ist da?«, fragte ich geradeheraus und drehte mich einmal im Kreis, aber konnte niemanden entdecken.
»Hier oben«, kam die Antwort und mein Blick schoss den Baum hinauf. Dort auf dem Baum saß doch tatsächlich ein Junge, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich, und schaute mit einem Grinsen auf dem Gesicht zu mir herunter. War er etwa schon die ganze Zeit dort oben?!
»Wer bist du?« Ich stolperte ein paar Schritte nach hinten und beobachtete ihn dabei, wie er mit Leichtigkeit von dem Baum sprang und ein paar Schritte vor mit zum Stehen kam.
»Diese Frage könnte ich dir auch stellen. Ich habe dich hier noch nie gesehen«, antwortete er und statt einem Grinsen zierte sein Gesicht nun ein kleines, mildes Lächeln.
»Ich denke, dass dich das nichts angeht, denn ich kenne dich nicht.« Mutter hatte immer gesagt, dass wir nicht mit Fremden sprechen sollten, wenn wir alleine unterwegs waren und dabei wäre es egal, ob diese freundlich aussahen oder nicht. Wobei dieser Junge sah nicht einmal freundlich aus. Gut sah er auf jeden Fall aus, aber mehr auch nicht.
»Dann wirst du wohl auch nicht erfahren wer ich bin«, grinste der Junge und warf einen Blick in meinen leeren Korb. »Was hattest du vor? Pilze oder Beeren sammeln?«
Ungläubig schüttelte ich mit meinem Kopf. »Das geht dich doch nichts an!«
»Ich tippe ja auf Beeren, denn die wachsen hier mehr«, sagte er, was mich nur noch ein weiteres Mal den Kopf schütteln ließ. »Dafür das die hier angeblich mehr wachsen, als Pilze, bin ich denen aber häufiger begegnet, als den Beeren.«
Jetzt war er es, der den Kopf schüttelte. »Du suchst an den falschen Stellen.«
Ich ging auf ihn zu, nahm mir den Korb und blickte ihm dann auffordernd entgegen. »Dann zeig mir doch die richtigen Stellen, wenn du es augenscheinlich so viel besser weißt« Meine Mundwinkel zogen sich zu einem kleinen Grinsen in die Höhe, was ihn nur noch mehr zum Grinsen brachte. Ihn schien diese Situation wohl reichlich zu amüsieren. Und das auch noch auf meine Kosten!
»Aber du kennst mich doch nicht, denn schließlich willst du mir auch nicht deinen Namen nennen«, erwiderte er und legte seinen Kopf schief. Unschlüssig blieb ich stehen. Jetzt hatte er mich.
»Schon, aber du sollst mir ja auch nur die Stelle mit den Beeren zeigen. Meinen Namen wirst du trotz allem nicht erfahren«, antwortete ich nachdem ich verzweifelt nach einer Antwort gesucht hatte.
»Vielleicht ist das aber auch ein Hinterhalt von mir und ich locke dich in eine Höhle, wo niemand deine Schreie hören kann.«
»Dieses Risiko werde ich wohl eingehen müssen, oder nicht?« Spitzbübisch lächelte er mich an und ging dann los ohne auf mich zu warten.
Verdutzt schaute ich ihm hinterher, bis er sich nach einem Stück wieder umdrehte und mir zurief, ob ich nicht endlich kommen wollen würde.
Wortwörtlich nahm ich meine Füße in die Hand und versuchte zu ihm aufzuholen.


Mystic Falls - Sommer 2012 - Gegenwart

Keuchend wachte ich auf und blickte in komplette Dunkelheit. Diesen Traum, diese Erinnerung hatte ich schon lange nicht mehr an die Oberfläche gelassen. Ich hatte sie tief in meinem Inneren vergraben mit all den anderen Erinnerungen. Und jetzt war sie wieder da.
Irgendwie musste sie sich zurück gekämpft haben, was wohl daran lag, dass wir gestern genau an besagtem Baum gewesen waren. Ich wusste doch von Anfang an, dass ich nicht hier her zurück kommen sollte. Diese Stadt war verflucht und niemand der hier lebte konnte für immer glücklich werden. Hier konnte niemand Glück finden. So etwas schien es hier noch nie gegeben zu haben und würde es wohl auch nie geben.
Etwas regte sich neben mir und riss mich so wieder zurück in die Gegenwart. Ach, ich war ja nicht alleine hier.
Harry drehte sich auf die andere Seite, sodass ich genau in sein schlafendes Gesicht blicken konnte.
Er sah gut aus, keine Frage, aber zwischen uns ist nie mehr gelaufen. Wir passten wohl einfach nicht zusammen, aber als bester Freund war er mir sowieso viel lieber.
Sein braunes Haar hing ihm leicht verschwitzt auf der Stirn, heute war es aber auch recht warm, und ich hatte das Bedürfnis sie ihm weg zu streichen.
Diesen Gedanken verwarf ich jedoch wieder und schlängelte mich vorsichtig aus der Decke, um Harry auch ja nicht zu wecken. Er sollte ruhig noch etwas Schlaf bekommen.
Schnell schlüpfte ich in die nächstbeste Jeans, zog mir meine Schuhe an und warf mir dann noch eine Strickjacke über. Frische Luft würde mir jetzt sicher gut tun. Außerdem musste ich meinen Kopf frei bekommen.
Die Straßen waren nun wirklich wie leer gefegt und nur ein paar Laternen spendeten ihr Licht. Bei Nacht kam einem Mystic Falls noch gespenstischer, als wie am Tag vor.
Ich ging eine Weile stillschweigend umher, betrachtete die Häuser und setzte mich letztendlich auf eine Bank. Es war fast so, als stände diese genau in der Mitte der kleinen Stadt, denn von hier aus konnte ich alles ganz gut sehen. Unser Hotel, den Grill und einige Häuser.
Ein kleiner Wind kam auf, wehte mir die Haare ins Gesicht, die ich sogleich wieder wegstrich und erst dann schien ich zu bemerken, dass im Grill noch Licht brannte.
Hatten die etwa immer noch auf? Wie viel Uhr hatten wir eben noch einmal gehabt? 03:00 Uhr?
Schulterzuckend setzte ich mich schließlich wieder auf und machte mich auf den Weg zu dem Gebäude. Vielleicht würde ich ja noch etwas zu trinken bekommen.

Im Grill war nicht viel los. Nur der ein oder andere saß an der Bar, unterhielt sich mit dem Barkeeper und trank pausenlos Alkohol.
Ich betrachtete die Menschen eigentlich immer gerne aus der Ferne, denn jeder hatte andere Angewohnheiten, andere Macken, die ich durchaus sehr interessant fand. Es erinnerte mich daran, dass ich kein komplettes Monster war, wie ich zu Anfang an angenommen hatte.
Meine Füße trugen mich zu einem Tisch der relativ in der Ecke stand und an dem ich die Bar sehr gut im Auge hatte. Das Licht schien hier kaputt zu sein, denn viel kam hier nicht an. Die Hände faltete ich geduldig auf dem Holztisch, während ich darauf wartete, dass irgendeine Bedienung zu mir kam, sodass ich meine Bestellung aufgeben konnte.
»Was kann ich dir bringen?«, fragte ein Junge, der mindestens so alt sein konnte wie ich - von meinem Aussehen her - und lächelte mich freundlich an.
Man hatte also meine Wünsche erhört. Das war doch einmal angenehm freundlich von dem lieben Gott oder wem auch immer.
»Ich hätte gerne einen Kakao mit Sahne«, sagte ich ebenfalls freundlich. Der Junge, laut Namensschild hieß er Matt, schlenderte wieder davon und brachte mir schon kurz darauf meinen Kakao.
»Danke«, lächelte ich, als er ihn vor mir auf den Tisch stellte. Ich hätte erwartet, dass er wieder zurück an die Bar gehen würde, aber zu meiner Verwunderung blieb er an meinem Tisch stehen. »Ist irgendetwas?«, fragte ich deshalb nach, wobei ich, wie das Mädchen gestern im Supermarkt, eine Augenbraue in die Höhe zog.
»Du bist neu hier, oder?« Er deutete auf den Stuhl mir gegenüber und ich nickte. »Ich bin nicht hierher gezogen, wenn du das meinst. Ein Freund und ich machen hier nur Urlaub.«
Er nickte. »Wie kommt es das ihr ausgerechnet hier euren Urlaub verbringt? So schön ist unsere Stadt schließlich nun auch wieder nicht.«
Da hatte er recht. Schön war diese Stadt auf jeden Fall nicht. New York war eine schöne Stadt, aber die konnte man letztendlich auch nicht mit Mystic Falls vergleichen.
»Sagen wir einfach, dass es eine spontane Idee war und wir hier eh schon in der Nähe waren«, lächelte ich und trank einen großen Schluck von dem lauwarmen Getränk. »Dann seid ihr sozusagen auf der Durchreise?«, fragte Matt weiter, aber diesmal bekam er nur ein Nicken meinerseits als Antwort.
Wir schwiegen. Für den Anfang schien Matt wirklich nett zu sein, aber eine Freundschaft würde daraus ganz sicher nicht werden.
Er erhob sich. »Komm doch Morgen mal mit deinem Freund vorbei«, sagte er und putzte sich seine Hände an seiner Hose ab.
»Das werden wir sicher«, antwortete ich und schenkte ihm ein kleines Lächeln, was Matt freundlicherweise erwiderte. Er hob die Hand zum Abschied und ging dann wieder zurück zu den anderen verbliebenen Gästen.
Schnell trank ich noch meinen Kakao leer, legte einen Schein auf den Tisch und machte mich dann zurück auf den Weg in das Hotel.
Die Sonne würde bald aufgehen und ich und Harry hatten heute noch viel vor.  

Terrible Love {Kol Mikaelson} (ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt