Kapitel 6

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  Still nahm ich einen Schluck Wasser aus meinem Holzkrug und schaute über den Rand zu meiner Familie, die mit mir an dem kleinen Tisch saß und ebenfalls still ihre Suppe löffelte oder was auch immer Mutter da mal wieder zusammengebraut hatte.
Es kam nur selten vor, dass wir redeten, aber schlimm fand ich das jetzt nicht unbedingt. Wenn sie dann redeten, ging es meist doch eh nur darum, dass meine Schwester ja heute wieder so toll war und ich mir doch bitte mal eine Scheibe von ihr abschneiden sollte.
Beim ersten Mal, als Vater dies gesagt hatte, war in mir doch tatsächlich der Gedanke aufgekommen, dass er womöglich ein Kannibale war.
Verübeln konnte man mir diesen Gedanken aber nicht, denn als das passiert war, war ich doch gerade erst zehn Jahre jung gewesen. In dem Alter durfte man doch noch so irrsinnige Gedanken hegen, oder?
»Wann suchst du dir endlich einen Mann, meine Tochter?«, fragte Vater, was mich zum Seufzen brachte.
»Ich werde schon noch einen finden«, war meine knappe Antwort und ich hoffte inständig, dass wir es nun dabei belassen würden.
Pustekuchen.
»Schau dir deine Schwester an. Sie war schon verheiratet und erst heute Morgen hat sie mir mitgeteilt, dass sie schon jemand neues im Blick hat«, mischte sich Mutter ein und deutete auf den leeren Platz meiner Schwester, die schon mit dem Essen fertig war und sich nun um die Tiere kümmern wollte.
»Das freut mich für sie«, lächelte ich gezwungen und verdrehte innerlich meine Augen. Warum verstanden sie denn nicht, dass ich heiraten würde, wenn ich mich dazu bereit fühlte? Oder besser gesagt, wenn mir endlich der Richtige über den Weg laufen würde. Ja, dann würde ich heiraten und gerne ein, zwei Kinder bekommen, wie es sich für eine junge Frau in meinem Alter gehörte.
»Das sollte es auch. Sie ist schon so Reif und erwachsen und das, obwohl sie doch nur zwei Jahre älter ist, als du.« Mutter legte ihren Löffel, der ebenfalls aus dunklem Holz bestand, beiseite und sah mich nun aus strengen Augen an.
Früher hatte ich mir immer eingeredet, dass sie sich einfach um mich sorgte und wollte, dass ich einen Mann finde, damit ich eine gute Zukunft habe, denn je älter ich wurde, desto mehr sanken die Chancen, dass ich einen fand.
Aber im hier und jetzt war ich einfach nur noch der Überzeugung, dass sie mich loswerden wollte. Ein kleiner Funken in mir drinnen hoffte, aber mit jedem Mal wurde er ein klein bisschen kleiner, bis er wohl irgendwann ganz erloschen sein wird.
»Ich stimme deiner Mutter zu, Felia. Wir sind weiter gezogen und nun hier gelandet. Vielleicht findest du in der Umgebung einen netten jungen Mann, der sich bereit erklärt dich zu heiraten und in seiner Familie aufzunehmen«, sagte mein Vater, der nun ebenfalls den Löffel auf den Tisch ablegte, aber nicht, um mir strenge Blicke zu schenken, wie Mutter, sondern um sich neue Suppe einzuschenken.
Gut so, denn ich hasste es, wenn beide auf mich starrten, als könnte man durch mich durchsehen. Das war einfach ein grausames Gefühl.
»Ich werde mir Mühe geben«, erwiderte ich und versuchte einen festen Ton in meine Stimme zu bringen. Vielleicht wurde es langsam ja wirklich Zeit, dass ich mich etwas umsah, denn so schlecht schienen die Männer hier auf jeden Fall nicht auszusehen, wenn ich an den Jungen aus dem Wald zurückdachte.
In letzter Zeit ertappte ich mich wirklich viel zu oft dabei, wie ich an ihn dachte, wenn ich abends in meinem kleinen Bett lag und wie leider so oft nicht einschlafen konnte.
War das der Beginn einer Schwärmerei? War ich vielleicht sogar schon dabei mich in ihn zu verlieben?
Gott behüte! Ich hoffte es nicht, denn er kam mir doch eher wie jemand vor, auf den viele junge Frauen in meinem Alter standen. Mit so Männern wollte ich nun eigentlich wirklich nichts zu tun haben.
Ich wüsste nicht was ich mit solch einem anfangen sollte. Außerdem gab das doch meistens nur Probleme.
Ein Klopfen ertönte und ließ uns alle aufhorchen. Erwarteten wir etwa Besuch? Mutter und Vater hatten nichts dergleichen erwähnt, weshalb ich nicht davon ausging.
Besonders da beide auch sehr verwundert drein schauten und als ihre Blicke dann auch noch zu mir wanderten und meine Mutter mich skeptisch ansah, konnte ich doch nur mit dem Kopf schütteln und ihr so im Stillen mitteilen, dass ich sicher niemanden erwartete.
Vaters Blick drehte sich wieder gen Tür, aber er schien nicht den Verdacht zu hegen, wie Mutter, dass es womöglich für mich sein könnte. Eigentlich war das auch sehr unwahrscheinlich, denn Freunde hatte ich nie viele gehabt. Brauchte ich aber auch nicht. Ich war auch so glücklich.
Langsam erhob sich mein Vater und meine Mutter folgte ihm, weshalb ich es ihnen einfach nach tat.
Es war nicht so, dass ich überaus neugierig war, aber ich wollte natürlich auch wissen, wer sich denn dort vor unserem Häuschen herumtrieb.
Schwungvoll öffnete mein Vater die Holztüre und betrachtete die Gestalt, die sich vor ihm aufbaute.
Da ich selbst nichts sehen konnte, drängte ich mich zwischen meinen Eltern ein wenig hindurch und warf endlich auch einen Blick auf den Fremden. Wobei er mir so fremd dann ja doch nicht war.
Der Junge aus dem Wald? Woher wusste er wo ich wohne? Stimmt ja, er hatte mich bei unserem letzten Aufeinander treffen mit nach Hause gebracht!
»Guten Tag«, sagte er und schenkte uns allen ein freundliches Lächeln. »Dürfte ich ihre Tochter zu einem Spaziergang ausführen?« Sein Blick glitt zu mir und ich hätte schwören können, dass er mir zuzwinkerte.
»Und wer bitte sind Sie?«, fragte mein Vater und verschränkte seine Arme vor der Brust. Der Junge aus dem Wald legte eine leicht geschockte Miene auf, schüttelte mit dem Kopf und sah dann wieder lächelnd zu meinen Eltern, wobei seine Augen nur auf mir zu liegen schienen.
»Wie unhöflich von mir, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Kol«, antwortete er auf die Frage meines Vaters und streckte ihm seine Hand entgegen, die dieser jetzt sogar erfreut ergriff und schüttelte.
»Unsere Tochter hat uns gar nicht erzählt, dass sie schon jemanden kennen gelernt hat und dann auch noch einen so gutaussehenden jungen Mann wie Sie es sind Kol«, meldete sich meine Mutter wieder zu Wort und lächelte entzückt in Kols Richtung.
Oh, es schien, als hätte er sie mit den einzelnen Worten ganz für sich gewonnen. Wahrscheinlich sah meine Mutter schon die anstehende Hochzeit vor sich und die vielen Enkelkinder die in ihrem Hütte herumliefen.
Wenn ich ehrlich war, dann machte mir dieser Gedanke angst.
»Ach, hat sie das nicht? Das ist ja nicht gerade nett. Schließlich haben wir uns doch so gut verstanden«, sagte Kol und ich schien die einzige zu sein, die bemerkte, wie er versuchte sich ein Grinsen zu verkneifen. War sicher auch besser so.
»Ich habe es wohl vergessen.« Lächelnd blickte ich in die Runde und strich mir eine meiner braunen Haarsträhnen hinter die Ohren. Heute waren sie wirklich nicht zu bändigen, was mich wirklich sehr nervte.
Warum konnte ich nicht das Haar meiner Schwester haben? Wieder einmal ein Punkt, wo man bemerkte, dass sie wohl ganz einfach die besseren Gene abbekommen hatte.
Ich trat von den einen auf den anderen Fuß und wartete darauf, dass Kol etwas sagte. Irgendwie war mir diese Situation nicht ganz geheuer.
»Dir sei verziehen. Dürfte ich Ihre Tochter dann ausführen?« Der Junge, Verzeihung, ich meine natürlich Kol, streckte mir einen Arm entgegen und wartete auf die Antwort meiner Eltern, aber wohl besonders auf meine.
Unschlüssig blickte ich zu meinen Eltern. Meine Mutter strahlte mich freudig an und ich war mir sicher, dass es ihr egal war, dass sie Kol kaum kannte. Er war charmant und sah gut aus, was ihr völlig ausreichte.
Mein Vater war da zum Glück etwas anders. Er nickte nur leicht mit seinem Kopf und gab mir mit dieser Geste zu verstehen, dass ich mitgehen dürfte, aber trotz allem schaute er immer wieder kritisch zu dem Jungen, der nun halb hinter mir stand, da ich mich ein wenig vor ihn gestellt hatte, als ich mich zu meinen Eltern herumgedreht hatte. Mag sein, dass Vater ihn freundlich fand, aber er blieb der alte Skeptiker.
»Dann bis später«, lächelte ich, hakte mich bei Kol unter und ließ mich von ihm fort führen.

»Was hast du denn mit mir vor?«, fragte ich nach ein paar Minuten der Stille, als wir immer noch nicht gestoppt hatten.
»Ich dachte mir, dass wir zu unserem alten Bekannten gehen und dort ein kleines Picknick veranstalten«, erklärte er mir und warf mir von der Seite einen Blick zu.
»Wir haben einen gemeinsamen alten Bekannten?« Verwirrt zog ich eine Augenbraue in die Höhe. Kol nickte. »Natürlich haben wir das.«
Er hatte recht. Mit altem Bekannten meinte er wohl den Baum an dem wir uns das erste Mal getroffen hatten, denn genau dorthin entführte er mich.
Eigentlich hätte ich mir das ja gleich denken können, als er mich vor ein paar Minuten in Richtung Wald gezogen hatte.
»Und was wird das für ein Picknick?«, fragte ich weiter nach, aber er schenkte mir nur ein hinreißendes Lächeln. »Du stellst zu viele Fragen.«
Gut, dann würde ich eben nichts mehr sagen. Ich biss mir auf meine Lippe, sah mich weiter um und als wir dem Baum immer näher kamen, den man schon von Weitem erkennen konnte, blickte ich ein weiteres Mal zu Kol hinüber, aber dieser schenkte mir wieder keine Aufmerksamkeit.
Vor dem Baum lag ein altes Laken und darauf eine Schale mit vielen bunten gemischten Beeren.
»Du scheinst dir ja wirklich Gedanken gemacht zu haben«, lächelte ich und setzte mich hin, wobei ich ihn dabei beobachtete, wie er sich ebenfalls zu mir setzte.
»Ich hatte Langeweile«, sagte er und zuckte mit seinen Schultern. Mein Lächeln verflog allmählich. Ich war also doch nur ein Zeitvertreib, wie ich es angenommen hatte?
»Schön, dann gib mir doch bitte mal etwas von den Beeren.« Kol reichte mir die Schale und ich nahm mir eine handvoll heraus.
Ich nahm eine der Beeren in die Hand und drehte sie zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger, während ich die Sonnenstrahlen auf meiner Haut genoss.
»Die sind nicht vergiftet«, hörte ich den braunhaarigen sagen, weshalb ich meinen Blick von der Beere löste und sie mit einem mal in meinem Mund verschwinden ließ. Spitzbübisch lächelte ich ihn an. »Ich weiß.«
Schweigend aßen wir unsere Beeren, ließen die Sonne auf unsere Haut hinunter scheinen und schauten nur ab und zu einmal zu dem jeweils anderen, wobei Kol es nichts auszumachen schien, wenn ich genau in dem Augenblick zu ihm herüber schaute, wenn auch er mich ansah. Ich jedoch wandte dann immer schnell den Blick ab und versuchte einigermaßen nicht rot zu werden, denn das würde ihm nur zeigen, dass ich nicht gerade abgeneigt von diesem treffen war, weshalb auch immer er ausgerechnet mich dazu eingeladen hatte. Diese Frage könnte ich ihm durchaus später noch einmal stellen.
»Worüber haben du und deine Eltern eigentlich geredet?«, fragte er nach, was mich meinen Kopf ruckartig in seine Richtung drehen ließ.
»Hast du etwa gelauscht?« - »Das war nur ein Zufall.« Ich verdrehte meine Augen. Als ob. Aber schön, wenn er es wissen wollte. So konnte ich ihm wenigstens dumme Gedanken austreiben, wenn ich ihm verklickerte, dass ich mich bald vermählen müsste. Nur wen es treffen würde, das war noch eben nicht ganz klar.
»Wir haben nur darüber geredet, dass ich mich wohl bald mal vermählen sollte. Ich bin ja jetzt im heiratsfähigem Alter«, erzählte ich also die Kurzfassung und beobachtete seine Gesichtszüge, um festzustellen, wie er wohl darauf reagierte.
»Ist deine Familie etwa auch eine von der Sorte, die das so ernst nimmt? Schrecklich.« Ergeben nickte ich und murmelte ein leises »Leider.«
»Meine Schwester hat sich auch noch nicht vermählt und wird es in der nächsten Zeit wohl auch nicht tun«, meinte er und lehnte seinen Rücken an den Stamm des Baumes.
Er hatte also eine Schwester? Was ich heute alles über ihn erfuhr.
»Glück für sie.« Ich lehnte mich ebenfalls nach hinten, sodass sich unsere Arme leicht berührten, aber keinen von uns beiden schien dies etwas auszumachen.
Seine Haut war angenehm warm und die kleinen Härchen auf seinen Armen kitzelten leicht auf meiner Haut.
»Musst du nicht auch irgendwann vermählen?«, fragte ich nach einer kurzen Zeit der Stille nach, die sich in kürzester Zeit über uns gelegt hatte.
Kol zuckte mit seinen Schultern. »Irgendwann, ja. Im Moment bin ich aber noch frei und bis jetzt hat es noch kein Mädchen gegeben, was mich so verzaubert hat, wie du auf der Beeren suche«, teilte er mir ganz überzeugt mit, aber sein Zwinkern enttarnte ihn und gab mir zu verstehen, dass es durchaus schon sicher viele Mädchen vor mir gegeben hatte. Wie sich das überhaupt anhörte, als hätten wir etwas zusammen oder so. Grauenhaft.
»Also Kol... Ich kenne jetzt also endlich deinen Namen", startete ich den Versuch eines Themawechsels und zu meinem Glück ging mein Gesprächspartner darauf ein.
"Ganz genau. Deinen weiß ich aber noch immer nicht, meine Schöne." Und schon wieder brachte er mir einen leichten Rotschimmer auf die Wangen und das nur mit zwei kleinen Worten.
Schnell sah ich auf den Boden, wartete bis ich mich wieder sicher fühlte und hob dann wieder lächelnd meinen Kopf.
»Ich heiße Felia.«  

Terrible Love {Kol Mikaelson} (ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt