Kapitel 4

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  Mystic Falls - Sommer 2012 - Gegenwart

»Und du warst weshalb so spät in der Nacht noch draußen?«, fragte Harry zum gefühlten hundertsten Mal.
»Ich brauchte frische Luft und außerdem war es nicht so spät«, antwortete ich und zuckte mit meinen Schultern. Wie sich herausgestellt hatte, war mein lieber Freund wohl doch nicht ganz so tief und fest am Schlafen gewesen, wie ich es bisher angenommen hatte.
Ich wusste noch, dass er im 18. Jahrhundert seine Phasen gehabt hatte, in denen er überhaupt nie zum Schlafen gekommen war, aber Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich das eigentlich wieder gelegt und er war förmlich zu einem waschechten Murmeltier geworden!
Aber wir haben ja alle mal unseren leichten Schlaf, wo wir einfach alles mitbekommen... Vielleicht lag es aber auch einfach an dieser Matratze, denn die war so hart, dass ich schon nach der ersten Nacht mich über Muskelkater beklagen konnte.
»Irgendwie glaube ich dir das nicht so ganz.« Natürlich tat er das nicht. Er war mein bester Freund und nebenbei war ich eine nicht allzu gute Lügnerin. Abkaufen taten die Meisten mir zwar meine Lügen auf jeden Fall, aber die, die mich wirklich schon länger kannten, damit meine ich natürlich keine fünf oder zehn Jahre, die wissen sofort, wenn ich auch nur Lüge, um zu sagen, dass ich wirklich keinen Appetit mehr habe.
Ich zuckte mit meinen Schultern. »Das sagst du jedes Mal«, erwiderte ich und warf ihm einen Blick von der Seite zu. Harry erwiderte diesen. »Stimmt, aber würdest du weniger lügen...« - »Ich lüge nicht!«
Er seufzte. »Wie auch immer. Was hältst du davon, wenn wir uns dort drüben hinsetzen?«, fragte er mich und zeigte auf die Bank auf der ich auch letzte Nacht meine Ruhe gefunden hatte.
»Wenn du uns auch ein Eis kaufst?«, stellte ich die Gegenfrage, wobei endlich mein allbekanntes Grinsen zurück auf mein Gesicht gekehrt war.
»Schokolade?« Er kannte mich zu gut. »Schokolade!«
Während Harry sich also auf den Weg zu dem heranfahrenden Eismann machte, beeilte ich mich, um zu der braunen und nicht gerade allzu schönen Bank zu gelangen.
Wie auch beim letzten Mal hatte ich alles sehr gut im Blick und da wir diesmal auch Tag statt Nacht hatten, waren auch viel mehr Menschen auf den Straßen Mystic Falls unterwegs.
Niemand schien mich zu beachten und das, obwohl wir hier in einer Kleinstadt waren, wo doch eigentlich jeder jeden kennen müsste.
So ein neues Gesicht, auch, wenn es nur zu Besuch in ihrer langweiligen Stadt war, sollte doch recht schnell auffallen und die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Womöglich beschäftigte sie einfach irgendetwas anderes, etwas Wichtigeres. Zumindest schienen viele dieser Teenie Mädchen sich besonders auf etwas zu freuen. Eine nächste Party? Oder ein neuer Junge an ihrer Schule, der, der totale Badboy war und den sie unbedingt, wie natürlich in allen Büchern sowie Filmen, zähmen wollten, um die perfekte Liebesgeschichte zu haben? Es wäre das perfekte Klischee.
Das war alles so absurd. Aber hatte ich nicht schon früher so gedacht? So verrückt und wahnsinnig, dass mich meine verstorbenen Eltern für manch eine meiner glorreichen Ideen heutzutage zum Psychologen schicken würden? Bei der Sache war ich mich wirklich sicher. Vielleicht sollte ich also froh sein, dass es eben früher noch nicht diese ganzen Psychodocs gegeben hatte.
»Habe ich dich wieder bei deinen tiefgründigen Gedankengängen gestört oder willst du mir endlich das Eis aus der Hand nehmen?«, erklang Harrys Stimme neben mir, die mich so in die Realität zurück beförderte, dass ich ihn anschaute, als käme er von einem anderen Planten.
In seinen Händen hielt er zwei Eiswaffeln mit jeweils einer Kugel Eis. Schokolade und Erdbeere, wobei das Eis mit der Schokoladenkugel schon fast drohte die Waffel hinabzurinnen.
Schnell nahm ich ihm das Eis aus der Hand, ignorierte seinen von vorhin abgegebenen Kommentar, und machte mich daran genüsslich mein Eis zu lecken.
Mein Blick ging wieder einmal seine Runde und prägte sich jeden einzelnen Menschen ein, der mir auch nur im entferntesten interessant vorkam, wobei das leider viele waren, und letztendlich fand ich sogar eine Person die wirklich äußerst interessant war, wenn nicht sogar mehr als das.
Das Mädchen aus dem Supermarkt.
Ich folgte ihren eiligen Schritten, die sie zu dem Grill trugen, beobachtete sie, wie sie flink darin verschwand, um sich wahrscheinlich mit jemandem dort zu treffen.
Zu gerne würde ich mehr über sie wissen. Wie hieß sie? Wie alt war sie? All diese normalen Fragen, die man sich immer fragte, wenn man sich kennen lernte.
»Ich war gestern Nacht unter anderem im Grill«, erzählte ich meinem besten Freund, ohne den Blick von der Eingangstüre, des Grills abzuwenden.
»Ahja?«, murmelte er und knabberte an seiner Eiswaffel.
»Ich wurde eingeladen mit dir heute wieder zu kommen.« Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit, denn er wandte sich mit leuchtenden Augen zu mir um. Leuchtend vor Neugier.
»Von wem?«, fragte er, woraufhin ich ihm von Matt und unserem relativ kurzem Gespräch erzählte und direkt einmal nachfragte, ob wir diesen nicht jetzt im Grill besuchen könnten. Den wahren Grund dahinter musste Harry ja nicht unbedingt wissen. Vorerst.
Ich weiß natürlich, dass er mein bester Freund ist und ich mit ihm über alles reden kann, aber meine Vergangenheit geht nur mich etwas an und das akzeptierte er sogar weitestgehend sehr gut.
»Dann mal los«, sagte er, reichte mir seine Hand und zog mich zum Gehen hoch.

Ein weiteres Mal hatte meine Mutter mich in den Wald geschickt, damit ich ihr wieder diese himmlischen Beeren bringen konnte, die mir beim letzten Mal der Junge von dem Baum gezeigt hatte. Er hatte sein Wort gehalten und mich natürlich nicht entführt oder gar umgebracht. Nein, er war sogar kurz danach recht schnell wieder verschwunden und hatte mich alleine auf der kleinen Stelle voller leckerer Beeren gelassen.
Ich kämpfte mich durch das Gestrüpp, lächelte, als ich die Vögel singen hörte und verstärkte den Griff um meinen Korb, den ich erst gestern fertiggestellt hatte und welcher nun voller Beeren war. Fast bis zum Rand voll! Mutter würde sich so sehr freuen und ich dürfte mit einstimmen.
»Was für eine Überraschung, dass ich dich auch noch einmal hier antreffe!«, rief eine Stimme hinter mir, weshalb ich mich lächelnd umdrehte und den braunhaarigen Jungen auf mich zu laufen sah. Seine Haare schienen etwas länger geworden zu sein, dabei war es doch erst ein paar Tage her, dass wir uns das erste Mal getroffen hatten.
»Ich hoffe doch, dass es eine angenehme Überraschung ist«, sagte ich, als er bei mir angekommen war und setzte mich wieder in Bewegung. Er würde mir schon folgen.
»Eine sehr angenehme«, erwiderte er. »Wie ich sehe, hast du den Platz mit den Beeren wieder gefunden?«
Ich nickte. »Natürlich habe ich das. Danke übrigens.« Ein paar Haarsträhnen fielen mir in mein Gesicht, sodass ich sie zaghaft, aber dennoch flink wieder hinter meinem Ohr platzierte und dann lächelnd zu ihm empor sah.
Erst jetzt schien ich richtig zu bemerken, dass er wie so fast alle, viel größer war als ich. Wobei, was hieß hier größer? Er war sicher normal groß für einen Mann, aber ich war einfach nur klein.
Meine Schwester zog mich immer damit auf, dass ich zu wenig Gemüse von Mutter gegessen hätte, als wir kleiner gewesen waren, aber daran kann das doch wohl nicht liegen. Mutter ist ja auch nicht die Größte!
Der Junge, dessen Name ich immer noch nicht kannte, winkte ab. »So hübschen Mädchen wie dir, muss ich doch einfach helfen«, grinste er und entblößte seine doch ganz sauberen Zähne.
Meine Wangen färbten sich leicht rot, was ich gut zu verbergen schien, denn meine Ohren erreichte kein Kommentar seinerseits.
So gingen wir also schweigend durch den Wald, bis wir schließlich wieder bei der kleinen Hütte meiner Familie angekommen waren.
»Wohnst du hier?«, fragte er, als ich den Korb auf dem Boden abstellte. Na, was dachte er denn? Ein weiteres Nicken meinerseits.
»Wohnst du auch hier in der Gegend?« Ich wusste nicht genau, ob Mutter und Vater Zuhause waren, aber da ich davon ausging und nicht unbedingt mit Männerbesuch heimkommen wollte, und dann auch noch aus dem Wald, nahm ich den Korb wieder in meine Hand und setzte den ersten Schritt hinein.
»Wir sehen uns sicher noch einmal«, sagte ich und erst, als ich drinnen in der Küche stand und meiner Mutter freudig den Korb überreichte, fiel mir ein, dass ich ihm gar keine Zeit zum Antworten gegeben hatte.
Ich Dussel!


Im Grill war einiges los, aber was hätte ich auch anderes erwarten sollen. Ich suchte nach dem Mädchen, hoffte sogar, dass ich sie irgendwo mit Matt sehen würde, denn dann hätte ich einen Vorwand sie in ein Gespräch zu verwickeln.
Matt fand ich sogar schnell, aber dieser war leider damit beschäftigt, anderen Gästen ihre bestellten Sachen zu bringen und von dem braunhaarigen Mädchen war da nichts zu sehen.
Jedoch entdeckte ich sie dann schließlich doch. Sie saß mit einem Mädchen, sicher auch in ihrem Alter, an einem der Tische und unterhielt sich angeregt mit ihr.
»Lass uns nach dort hinten gehen. Ich glaube, Matt ist gerade etwas beschäftigt«, meinte ich und nahm Harrys Hand in meine und zog diesen dann zu einem der Tische, die mehr in der Ecke standen, aber trotz allem noch so nah an dem der zwei Mädchen, sodass ich ein wenig lauschen konnte.
Wozu hatte ich schließlich dieses Super Gehör? Das hat nicht einmal Superman!
»Ich dachte, du hast Damon und Stefan gesagt, du willst nicht hingehen?«, fragte die Blonde und gleichzeitig Gesprächspartnerin des Supermarkt Mädchens. Musste ich mir jetzt etwa den üblichen Teenie Kram anhören? Wen sollte ich nehmen? Den blonden oder doch den braunhaarigen? Wer kann wohl besser küssen?
»Habe ich auch..«, setzte das Mädchen aus dem Supermarkt an, aber da schob sich auch schon Matt vor unseren Tisch, sodass ich keinen Blick mehr auf die zwei hatte.
»Da bist du ja wieder«, sagte Matt mit einem lächeln auf dem Gesicht. Ich lächelte zurück. »Da bin ich wieder.«
Harry neben mir räusperte sich, was Matts Blick zu diesem schweifen ließ. »Könnten wir bitte bestellen?«
Matt nickte, nahm seinen Block in die Hand und sah uns wartend an.
»Einen Kaffee«, teilte Harry ihm mit und als Matt dies aufgeschrieben hatte, wanderten die Blicke wieder zu meiner Wenigkeit, aber ich schüttelte nur kurz mit meinem Kopf. »Ich nehme nichts.«
Matt nickte und sah dann wieder Harry an. »Den Kaffee schwarz?«, fragte er und Harry bejahte.
Er kritzelte noch etwas auf seinem Block herum und verschwand dann zu den nächsten Gästen, aber versprach uns, dass er gleich mehr Zeit hätte und wir uns unterhalten könnten.
»Bei der Sache, dass er nett ist, hast du ja ausnahmsweise nicht gelogen«, grinste mein bester Freund, woraufhin ich nur meine Augen verdrehte und zu einer Antwort ansetzte, aber genau in dem Moment stoppte, als das Gespräch an dem Nachbartisch gerade wirklich interessant wurde.
»Vorsicht Caroline. Sie wirkt so nett und auf einmal hast du einen Dolch im Rücken.« Die Gestalt, die sich nun an den Tisch der Mädchen gestellt hatte war niemand anderes als Rebekah Mikaelson.
Müsste ich atmen, um zu überleben, dann wäre ich wohl jetzt komplett blau angelaufen, denn in diesem Augenblick hätte ich nicht einmal ans Atmen gedacht.
Meine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich und während ich die drei musterte, kniff ich wütend meine Augen zusammen.
Ich rutschte ein wenig den Stuhl herunter, sodass mich auch ja niemand sehen würde und wünschte mir umso mehr, dass ich niemals hierher gekommen wäre.
»Was machst du hier? Deine Mom hat euch verboten, den Leuten hier etwas anzutun«, sagte jetzt das braunhaarige Mädchen und mir fiel auf, dass ich ihren Namen immer noch nicht herausbekommen hatte. Immerhin kannte ich jetzt den Namen der blonden.
Aber was meinte sie mit euch? Ich schluckte.
»Jetzt spiel dich nicht so auf, Elena. Nicht alles muss sich um dich drehen.« Der Ton in Rebekahs Stimme ließ mich sofort erkennen, dass sie das Mädchen, Elena, wirklich nicht ausstehen konnte.
Der Grund? Er war mir egal. Wenn ich mich zurück erinnerte, dann hatte Bekah in den letzten Jahrhunderten kaum Freunde gehabt, aber an Liebhabern hatte es natürlich nie gemangelt.
Bei ihr brauchte man keinen weltbewegenden Grund, damit sie einen nicht mochte.
Kritisch beobachtete ich sie, wie sie auf Matt zu ging und ihm irgendeine Karte gab. Eine Einladung? Zu ihrem Geburtstag sicher nicht, denn ich war mir nicht einmal sicher, ob sie noch wusste, wie alt sie genau war.
»Warum starrst du die ganze Zeit nach dort hinten?« Harry hatte ich ja vollkommen vergessen. »Nichts Wichtiges«, lächelte ich und wandte meinen Blick wieder zu ihm, da der Urvampir das Lokal gerade verlassen hatte.
Harry schien etwas antworten zu wollen, aber beließ es dann wohl doch bei meiner knappen Antwort.
Außerdem trat dann auch schon Matt wieder an unseren Tisch. »Hier dein Kaffee«, sagte er und stellte Harry eine Tasse vor die Nase.
»Sag mal Matt, was hast du da eben bekommen? Diese Karte.« Ich deutete auf seine Hosentasche, wo ein Stück des weißen Papiers herausschaute.
Matt zuckte mit seinen Schultern. »Die Mikaelsons veranstalten einen Ball, weil sie jetzt alle wieder hierher gezogen sind«, antwortete er kurz und knapp und ich bemerkte schnell, dass er über dieses Thema lieber nicht reden wollte. »So eine Familienvereinigung.«
»Einen Ball? Hört sich interessant an«, meldete sich Harry zu Wort und stellte die Tasse wieder auf den Tisch. »Meinst du, wir können auch kommen?«
»Sicher. Die halbe Stadt wird anwesend sein, weshalb es wohl kaum auffällt, wenn ihr auch kommt.« Diese Idee war gar nicht gut. Ganz und gar nicht.
»Wir wohnen hier nicht, Harry, weshalb wir da auch nicht hingehen sollten.«, zischte ich ihm zu, aber sein vor freudiges Grinsen wollte einfach nicht verschwinden.
»Sei keine Spielverderberin. Du hast Matt doch gehört! Das wird Spaß machen und ist um einiges besser, als die ganze Zeit durch die Stadt zu irren oder im Hotelzimmer zu hocken.«
Frustriert ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken, während die beiden Jungen sich über den anstehenden Ball unterhielten, wobei Harry eher derjenige war, der redete.
Ich bräuchte wohl ein Ballkleid und eine Menge Alkohol.  

Terrible Love {Kol Mikaelson} (ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt