Kapitel 5

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  Mystic Falls - Sommer 2012 - Gegenwart

Die Sonne schien hinunter auf meine Haare, ließen sie ein wenig heller als sonst wirken und verbrannte mir fast meine Kopfhaut.
Es war ein heißer Tag, der heißeste seit wir hier angekommen waren, und ich musste von Laden zu Laden hetzen, um für heute Abend noch ein passendes Kleid zu finden.
Den Grill hatte ich schon längst hinter mir gelassen, als auch Caroline und Elena gegangen waren. Ja, ich kannte nun ihre Namen und innerlich freute ich mich wirklich darüber, denn so könnte ich in nächster Zeit mehr über Elena herausfinden. Dieses Mädchen kam mir nicht ganz klar vor, was nicht heißen soll, dass ich sie für psychisch krank hielt, nein, aber ich hatte da meine ganz eigenen Gründe.
Vielleicht täuschte ich mich auch. Meine Zeit auf dieser Erde war schon viel zu lange und eigentlich sollte ich doch schon längst irgendwo begraben liegen, von Würmern zerfressen und völlig in Vergessenheit geraten sein.
Aber trotz allem war ich immer noch hier.
Ich erinnerte mich noch an die ersten Jahrhunderte, die ich alleine und auch ein wenig hilflos herumgeirrt war. Als Vampir zu leben, war nie eine Option für mich gewesen, niemals. Alle meine Freunde waren gestorben, die ich in der ganzen Zeit hatte kennen lernen dürfen. Alle, aber letztendlich hatte ich dann ja Harry treffen dürfen.
Harrys Familie war sehr arm gewesen und eigentlich hieß er auch gar nicht Harry sondern Harold. Wir hatten ihn nur später so getauft, denn heutzutage wurde man manchmal doch ganz schön komisch angeguckt, wenn man sagte, dass man Harold hieß.
Also war es natürlich schnell klar gewesen, dass er einen neuen Namen brauchte und Harry war ja sozusagen sein Spitzname, was nur niemand wusste.
Damals war ich mit meinem treuen Pferd Milau durch die Wälder irgendwo in Deutschland geritten und war schließlich bei der kleinen Hütte von der Familie Lüppig stehen geblieben. Harry kommt aus Deutschland und bis heute finde ich seinen Nachnamen, den er auch schon gar nicht mehr erwähnt, recht komisch.
Auf jeden Fall durfte ich dort eine Weile nächtigen. Jeder war so herzlich zu mir und sie alle hatten mich wie ein Familienmitglied behandelt und das, obwohl sie mich nicht einmal kannten, was wohl auch besser so war, denn wer würde schon einen Vampir freiwillig in sein kleines Häuschen einladen? Richtig, niemand.
Ich wohnte sicher Wochen, wenn nicht sogar Monate bei diesen Menschen, aber kurz bevor ich wieder weiterziehen wollte, wurde Harry krank. Er erlitt sehr hohem Fieber, was einfach nicht mehr sinken wollte, egal was seine Mutter für ihn tat.
Damals konnte man nicht einfach zu einer Apotheke laufen, um sich etwas dagegen zu kaufen und erst recht nicht, wenn man so arm war, wie die Familie Lüppig. Harry würde sterben.
Seine Familie hatte schon still und heimlich abschied von ihm genommen, aber ich wusste, dass ich ihn heilen konnte, wenn er nur mein Blut trinken würde. Jedoch was wäre das für ein Risiko gewesen? Ich hätte mich selbst enttarnt, aber trotz allem bin ich dieses Risiko für ihn eingegangen, weil er doch in dieser kurzen Zeit mir sehr ans Herz gewachsen war.
Still und heimlich war ich also eines Nachts in seine kleine, wirklich kleine, Kammer geschlichen, hatte ihn geweckt und ihm nur die Wörter ›Alles wird wieder gut‹ zugeflüstert. Ich war schon so weit gewesen, dass aus meinem Handgelenk Blut tropfte und er hätte es nur noch trinken müssen, aber er sträubte sich. Er wehrte sich und verlangte eine Erklärung. Für kurze Zeit hatte er sogar gedacht, dass ich der Teufel in Person wäre, was ich später von ihm erfahren hatte.
Ich gab ihm schließlich eine Kurzfassung über mich und mein Wesen, erklärte ihm, dass ich ihn retten konnte, wenn er doch nur diesen kleinen Schluck Blut von mir trank. Harry willigte nach langen Minuten Überlegung ein, aber er hatte andere Pläne. Er wollte selbst zum Vampir werden, sich die Welt ansehen und alles hinter sich lassen, was es nur hinter sich zu lassen gab.
Am Anfang verstand ich ihn nicht wirklich. Er wollte seine liebe Familie einfach zurücklassen? Diese Familie, die ihm so viel Liebe und Zuneigung schenkte? Ich dachte, jetzt war er völlig übergeschnappt, aber es war sein voller ernst.

Das Kleid was ich nun anprobierte, war wirklich schön und umschmeichelte meine Figur wirklich sehr.
Hinten oben war es in einem braunen durchsichtigen Stoff gehalten, aber es hatte keine Ärmel. Vorne ging es schon in den dunkelblauen Stoff über und auf diesem war genauso wie hinten, ein Muster in einem dunklen Silber. Weiter nach unten blieb das Kleid in dem dunklen blau und fiel dann leicht zu Boden.
Es war wirklich nichts Besonderes, aber ich wollte ja auch nicht unbedingt auffallen und die Aufmerksamkeit mit einem aufwändigen Kleid auf mich ziehen. Das war ganz und gar nicht meine Absicht.
Schnell zog ich mich wieder um und lief dann mit dem Kleid in meinen Armen zur Kasse, um zu bezahlen. Mir blieb zwar noch ganz viel Zeit, aber die Luft in diesem Laden war so stickig, dass ich einfach nur noch hier raus wollte.
Ich hatte noch genug Zeit mir Gedanken darüber zu machen, was ich noch alles tun könnte damit man mich auch wirklich nicht erkennen würde, wenn mir dann doch einer der Urvampire über den Weg lief, was wohl an diesem Abend leider eine unvermeidbar war.
Scheiß Ball.
Ich musste etwas tun und ich hatte auch schon eine Idee.
Zielstrebig lief ich auf den Friseursalon zu, der genau gegenüber des Ladens lag aus dem ich gerade eben getreten war. Eine neue Haarfarbe müsste her und zwar flott!
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte eine etwas ältere Frau, als die Türklingel meine Anwesenheit ankündigte. Sie lächelte freundlich und winkte mich zu sich heran.
»Ich möchte gerne eine neue Haarfarbe haben. Einfach eine Veränderung«, teilte ich ihr mit, woraufhin sie mich zu einem der Stühle scheuchte und ich mich auf diesen setzte.
»Was haben Sie sich denn vorgestellt?« Sie nahm ein paar Strähnen meines dunklen Haares in die Hände und betrachtete diese genau, als wären sie von irgendeinem Wert. Vielleicht waren sie das ja auch, denn immerhin existierten sie schon sehr, sehr lange.
»Blond fände ich ganz nett«, sagte ich und beobachtete sie aus dem Spiegel, der vor mir hing.
Sie nickte, nahm ein Handtuch aus einem der Regale und bedeutete mir dann mich zu den Waschbecken zu begeben.
Die Veränderung konnte beginnen.

Überaus glücklich verließ ich den Salon. Meine Haare glänzten förmlich, als wären sie neu geboren und ich fühlte mich pudelwohl, was ja auch das wichtigste an der ganzen Sache war.
Ich wollte mir erst gar nicht das Gesicht von Harry ausmalen, wenn er mich mit blonden Haaren sah, aber so schlimm würde er es nicht finden, denn immerhin bevorzugte er Blondinen. Nicht, dass ich etwas von ihm wollte, aber es war einfach die Tatsache, dass er es auf keinen Fall schlimm finden würde, wenn nicht sogar besser als meine Naturhaarfarbe.
Ins Hotel wollte ich noch nicht, denn bis heute Abend der Ball beginnen würde, wäre es noch eine ganzes bisschen an Zeit und bevor ich im Hotel nach irgendeiner Beschäftigung suchte, wollte ich lieber noch etwas spazieren gehen. Mein Ziel? Das konnte man sich sicher denken.
Meine Beine hatten mich wie von selbst zu dem Wäldchen getragen, welches um Mystic Falls herumlag und ich wusste, dass sie mich auch zu meinem eigentlichen Ziel tragen würden.
Dort wo ich lang ging, war schon lange kein richtiger Weg mehr, weshalb ich mich manchmal durch das ganze Gestrüpp schon wortwörtlich kämpfen musste. Ich hatte Übung darin und mir wurde mal wieder schmerzlichst bewusst, was mir diese Übung für eine Bekanntschaft gebracht hatte.
Den Baum erkannte ich schon vom weiten und an seiner Haltung hatte sich nichts verändert. Ich fragte mich, ob sich überhaupt je etwas daran verändern würde oder warum er nicht längst gefällt wurde. Theoretisch müsste man ja denken, dass er bei dem kleinsten Windstoß einfach umfiel.
Dieser Baum war ein waschechter Kämpfer.
Ich legte die Tüte mit dem Kleid vorsichtig auf den Boden, da ich nicht wollte, dass dem Kleid irgendwie etwas passierte und ging dann langsam auf besagten Baum zu.
Meine Finger strichen über die alte Rinde und fuhren die Muster nach, die darin eingeritzt waren.
»Wir sind ja sowas wie alte Freunde, stimmts?«, lächelte ich und tätschelte ihn, so als wäre er wirklich eine reale Person, die ich nach langen Jahren wiedersah.
Die Sonne neigte sich immer tiefer und ich hörte kaum noch einen Vogel singen, was recht schade war, denn diese kleinen Melodien waren meinen Ohren immer sehr willkommen.
Hinter mir knackten Äste, raschelten die Blätter und auf einmal fühlte ich mich dann doch nicht mehr so sicher, wie ich es bis eben angenommen hatte.
Der Wald wirkte auf mich mit einem mal unheimlich und ich konnte das Gefühl nicht ablegen, dass ich mich beobachtet fühlte.
Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein, denn wer sollte so weit in den Wald hinausgehen? Nur verrückte würden das um diese Uhrzeit noch tun. Verrückte wie ich.
Mit einem großen Schritt war ich wieder bei der Tüte, schnappte mir diese und rannte los. Falls doch jemand dort auf mich lauerte, wollte ich schnell fort sein.
Einen letzten Blick auf den Baum riskierte ich nicht mehr.

Im Hotel war es ruhig. Harry schien irgendwo anders zu sein, aber wo er war, das war mir im Moment herzlich egal.
Ich bräuchte eh Ruhe, um mich für den blöden Ball fertig zu machen. Die Tüte mit dem Kleid warf ich auf das Bett und ging dann rasch ins Badezimmer, um unter die Dusche zu springen und noch einmal gründlich meine Zähne zu putzen.
So viel Zeit hatte ich dann ja doch noch.
Als ich damit fertig war, zog ich vorsichtig das Kleid aus der Tüte und faltete es auf dem nicht gerade großen Bett aus. Gut, es hatte keine Falten bekommen.
Ich lächelte leicht, nahm mir aus meinem Koffer frische Unterwäsche und zog mir diese an. Das Kleid würde ich ganz zum Schluss anziehen, denn zuerst wären jetzt die Haare dran.
Ich setzte mich auf einen der Stühle, die in dem Zimmer standen und fing an meine Brust langen Haare zu kämmen, die immer noch in dem wunderschönen Blond glänzten.
Mit dieser Idee hatte ich wirklich die richtige Entscheidung getroffen, da war ich mir nun ganz sicher.
Ganz ruhig und konzentriert, flocht ich meine Haare ein wenig an der linken Seite und band sie mir dann zu einer lockeren Hochsteckfriesur nach oben. Wie gesagt, ich wollte nichts Aufwändiges und so eine Frisur bekam ja sogar noch ich hin.
Als nächstes nahm ich mir ein wenig Concealer, Puder, Rouge, Lidschatten, Maskara und natürlich einen nicht zu auffälligen Lippenstift, was mein Makeup schließlich vollständig machte.
Ich betrachtete mich in dem Spiegel, sah mein Spiegelbild lächelnd an und schloss für kurze Zeit meine Augen.
Dieser Abend würde mein Untergang sein und das wurde mir mit jeder Minute immer mehr klar.
Seufzend erhob ich mich wieder von dem Stuhl und schlenderte zu dem Bett zurück, wo immer noch mein gekauftes Kleid auf dem Bett ausgebreitet lag.
Es war bereit getragen zu werden.
Ich nahm es in meine zarten Hände, hielt es vor mich und betrachtete es ein letztes Mal bevor ich schließlich hineinschlüpfte.
Alles würde gut werde.
»Wer ist denn diese gutaussehende Blondine in meinem Zimmer?«, fragte ein grinsender Harry, der gerade zur Türe herein kam.
Er trug schon einen Anzug, welcher ihm wirklich gut stand, und seine Haare hatte er leicht nach hinten gekämmt, was einfach nur gut aussah.
»Diese gutaussehende Blondine darf hoffentlich deine Begleitung für diesen überaus kitschigen Ball heute Abend sein?«, grinste ich zurück und hakte mich bei ihm unter, als er mir seinen Arm anbot.
»Aber natürlich darf sie das«, sagte er, öffnete die Tür und führte mich hinaus in die kühle Sommernacht.
Ab in die Höhle des Löwen.  

Terrible Love {Kol Mikaelson} (ON HOLD)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt