Prolog

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Ich laufe unauffällig an den Klassenzimmern vorbei und hoffe, lebend am anderen Ende des Flurs anzukommen. Denn in diesem Flur ist Yusufs Klasse. Der Junge, der eigentlich nichts zu melden haben sollte. Wir sind alle in der siebten Klasse! Was hat da ein Kerl wie er zu sagen?! Warum hört verdammt nochmal jeder auf ihn?! Er ist 14! Ja, für die siebte ein bisschen zu alt, aber er musste an seiner alten Schule wiederholen. Klar, er strengt sich auch nicht an! Das einzige was sich anstrengt, ist seine Lendengegend, wenn er ein Mädchen aus der 10. Klasse sieht. Ich meine, the fu*k?! Einen so dummen und bescheuerten Jungen, der nur mobben kann und dessen  Synapsen dies auch als die einzige Aktivität sehen, wofür sie wirklich anfangen Impulse weiter zu leiten, habe ich noch nie gesehen! Dann noch auf dem Gymnasium! Sonst hat er abgestorbene, außer Betrieb gesetzte Zellen im Kopf! Und mehr nicht! Ich leugne nicht, dass er hübsch ist, aber egal wie hübsch er ist, das bessert nichts am Charakter! Wenn ich könnte würde ich ihm das alles auch sagen, aber egal wie groß meine Klappe in meinem Kopf ist, in der Realität sieht es definitiv anders aus. Zu Hause bin ich anders! Das gebe ich zu! Ich bin die normale Nila Anwari! Und zu Hause werde ich geliebt, aber in der Schule bin ich eher die Unauffällige, die immer im Nichts verschwindet, wenn Yusuf und die Neunten kommen. Meine Mutter meint immer: " Sher e khana, roba e birun." Das heißt so viel wie: "Der Löwe vom Haus und der Fuchs draußen." Das sagt sie immer zu meinem großen Bruder. Das soll so viel heißen, dass man zu Hause der Boss ist und draußen der Untergeordnete. Und ganz ehrlich, ich identifiziere mich mehr mit diesem Spruch als mein Bruder sich. Wenn man sich jetzt fragt, warum ich mich mobben lasse, wenn ich einen großen Bruder habe der, haltet euch fest, 22 ist. Nun ja... der studiert gerade in Schottland und arbeitet nebenbei bei Google. Er hat sein eigenes Büro und so. Mein Bruder war auch immer schon der Beliebtere von uns beiden. Auf Familienfeiern wollten sie immer meinen Bruder sehen. "Wo ist denn der liebe Arash? Noch nicht da? Schade!" Keinen juckt es, ob ich da bin oder nicht. Nur meine Oma und meine Eltern. Meine Oma und ich haben eine gute Bindung zu einander. Sie ist die Beste und ich glaube, ich könnte nicht leben, ohne ihre guten Tipps und Ratschläge.

Als ich gerade zum Spind wollte, der wie gesagt am Ende des Flurs stand, fielen mir meine Bücher aus den Armen. Scheiße, schnell aufsammeln und zum Spind, bevor die dich hören. Ich habe meine Bücher auch ausgerechnet vor seinem Klassenraum fallen lassen. Sie haben eine Zehn Minuten Pause und an dem Geschrei hört man, dass wohl noch kein Lehrer da ist. "Ey Leute ich glaube die kleine Streberin ist wieder da!" ruft einer von Yusufs Freunden, oder nennen wir ihn eher einen seiner Anhängsel. Okay, Planänderung. Kein Spind, einfach schnell weg von hier! Ich will gerade mit den Büchern im Arm los, als ich von hinten an meiner Kapuze gepackt werde. Klar, sehr freundlich. "Wen haben wir denn da?" fragt Yusuf. Ich sehe ängstlich auf den Boden, dabei mache ich keine Anstalten mich umzudrehen und ihn anzusehen. Bitte lass es für heute schnell vorbei gehen.

"Na, du kleine Streber-Schlampe? Schon ein paar Nerds gefickt?!" fragt Mert. Der beste Freund von Yusuf. Ich drehe mich nicht um! "Dreh dich um du kleine Hure!" sagt Mert streng. Na ganz toll... Ich sehe immer noch auf den Boden, als ich mich umgedreht habe. "Na, bereit unsere Hausaufgaben zu machen?" fragt Yusuf. Er grinst mich an. "Nein..." flüstere ich. Ich reiße geschockt meine Auge auf. Also ich konnte bei so einer Frage meine Widerworte nicht stecken lassen, aber wenn die mich als Streber-Schlampe bezeichnen, bin ich still?! Und dann widerspreche ich einfach noch Yusuf! Wie lebensmüde bin ich eigentlich?! Bin ich schon in so ein fortgeschrittenes Depressionsstadium gekommen?! Ich bin einfach nur dumm... 

"Was hast du gesagt?!" fragt Mert wütend. Ich sehe ängstlich auf und in die Gesichter meiner eventuellen Mörder. Alle haben eine wütende Miene aufgesetzt, alle außer Yusuf. "Jungs, lasst mich allein mit der Kleinen..." Can über mir zuckt leicht zusammen. Er ist der einzige von ihnen, der mich irgendwie nicht komplett zerstört sehen will. Er hat mich mal getröstet, mich aber gezwungen niemandem was zu sagen. Alle Jungs die versammelt um uns herum standen, verschwanden langsam in Richtung Klassenzimmer. Ich schlucke und es schmerzte sogar, weil ich trotz eines trockenen Halses so krampfhaft versuche meine Speichelbildung voranzutreiben. Denn ganz ehrlich, mein Mund ist trocken. Mehr als das. Er fühlt sich an wie eine Wüste. Keine Oase in Sicht.

"Y-Yusuf..." setze ich an. "Sei ruhig!" Er spuckt diese Worte förmlich. "Du bist eine Missgeburt, deine Eltern tun mir leid, dass sie so ein hässliches und dummes Kind zur Welt gebracht haben!" Jetzt reichte es mir! Meine Eltern bringt niemand ins Spiel! 

"Wer bist du, dass du sowas sagst?!", frage ich wütend. Dieser Junge will Streit, kann er haben! Meine Eltern sind Tabu! Über meine Eltern redet keiner! "Ich renne doch auch nicht rum und erzähle, dass deine Eltern eine Missgeburt auf die Welt gebracht haben!" sage ich wütend. 

"Ja, weil du sonst nicht mehr hier stehen würdest!" sagt er drohend und strafft seine Schultern. Für 14 ziemlich breite Schultern... und wenn man denkt, ich fange an zu schwärmen, während er mich bedroht, dann vergesst es! "Ach und was kannst du bitte tun?!" frage ich. "Einiges!" sagt er ernst. "Aha und was?!" er kommt näher und wieder bekomme ich Angst. Okay, das mit dem Klappe-Aufreißen, war wohl keine gute Idee. "Ich könnte dafür Sorgen, dass du deine Klappe hältst!" sagt er und steht nun ganze 5cm von mir entfernt. Okay, Angst ist zurück und Mut hat sich wieder verabschiedet. Warum kommt mein Mut nicht öfter? Ein eigentlich ziemlich netter Geselle! Aber nein, wieder mal kommt die Angst.

"Ich würde dir raten jetzt zu verschwinden und nicht mehr wieder zu kommen!" sagt er ernst und ich nicke hastig. Wieder einmal habe ich meinen Schwanz eingezogen...Ich bin doch erbärmlich! "Du bist eine Schande!" spuckt er. "Was ist dein fucking Problem?! Ich habe dir doch nie was getan!", frage ich verzweifelt. "Oh die Kleine wird laut!" sagt er amüsiert, aber immer noch ziemlich gehässig. "Du bist die einzige Schande!" entflieht es mir. Er sieht mich wütend an. "Was?!" fragt er plötzlich wütend. Es sah so aus, als ob er gleich auf mich los will, doch plötzlich klingelt die Schulglocke und ich sehe erleichtert zur Holztür, die aufschwang und seine Lehrerin offenbarte, die auf uns zu kam. "Yusuf?" fragt die und spricht das S weich aus, was mir ein Grinsen entlockt, weil es gar nicht zu ihm passt. Doch ich bin ziemlich verrückt in so einer Situation zu lachen... "Kommst du jetzt bitte in den Klassenraum?" fragt sie und ich lächle sie dankbar an, welches sie nur verwirrt erwidert. Von den Lehrern weiß keiner, was Yusuf macht. Keiner weiß, dass er und die Anderen Idioten aus seiner Klasse mit den Problemfällen aus der Neunten und Zehnten abhängen. Als die Beiden im Klassenraum verschwanden, rannte ich los. Unbewusst kamen mir die Tränen und ich konnte nicht anders als zu schluchzen. Dieser Junge tut mir innerlich weh. Seelisch werde ich dank ihm noch kaputt sein, bevor ich in der 12. ankomme.

Zu Hause angekommen, schließe ich die Tür auf und betrete den Hausflur. "Bin wieder da!" rufe ich und hoffe, dass man meine Tränen nicht mehr sieht. Ich gehe ins Wohnzimmer, nachdem ich meine Schuhe ausgezogen habe und gucke wo meine Eltern sind. Doch als ich das Haus betrete, ist nichts mehr da. Da ist einfach nichts...Alles, die Einrichtung und der sonstige Kram ist weg. Unsere ganzen Möbel... "Mama?! rufe ich sofort panisch. Keine Antwort. Scheiße! "Papa?!" rufe ich wieder. "Nila?" ertönt plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe zu meinen Eltern. "Wo sind unsere ganzen Sachen?!" frage ich außer mir. "Nila...wir ziehen um..." sagt mein Vater. "Was heißt, wir ziehen um?" frage ich. "Wir ziehen von hier weg..." sagt meine Mutter wieder und ich sehe sie erstaunt an. "Und warum so plötzlich?" frage ich überrascht. " Weil wir befördert wurden, und ehrlich gesagt, steht das schon seit drei Monaten fest, wir wollten bloß nicht, dass du früh anfängst zu trauern und deine Freunde vermisst. Kurze Abschiede, sind immer die Schmerzlosesten." antwortet mein Vater auf meine Frage. Eigentlich sollte ich wütend sein, wie sie sagten, sollte ich anfangen meine Freunde zu vermissen. Doch wenn ich ehrlich bin, mag ich nichts an meiner Schule, Freunde habe ich auch nicht genug um ihnen hinterher zu trauern und ich sehe alles als Neustart, also können wir von mir aus gerne gehen! Sofort wenn es geht! "Dann lasst uns mal gehen!" sage ich lächelnd. "Aber..." setzt mein Vater an. "Nein, alles super, ist alles bereit?" Frage ich lächelnd. "Ja, ist es", sagt meine Mutter glücklich. Ich renne schonmal vor und höre, wie meine Mutter noch sagt : "Wie einfach das war...". Tja Mama, ich hoffe das neue Leben wird auch einfach...

HIS~Nila&YusufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt