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In dieser Nacht bekam ich kein Auge zu. Sollte ich mir Liams Worte zu Herz nehmen? Nein, klar es war hart, aber Jana hatte sich umgebracht. Aber komisch war das ganze schon. Wie wenn ein Sonnenschein sich in Regen umwandeln möchte... Meine Mutter fragte zum X-ten Mal ob ich wirklich bereit war in die Schule zu gehen, aber ich brauchte Ablenkung.

„Melissa hat vorhin angerufen und gefragt, ob du als Erinnerung vielleicht etwas aus Janas Zimmer haben möchtest." Ich ließ das Nutella Brot fallen, und schaute verwirrt zu meiner Mutter. Sie hatte wie ich lange braune Haare und ein schmales Gesicht. Wenn ich ein paar Graue Haare hätte und etwas größer wäre, würden wir locker als Zwillinge durchgehen.

„Räumen sie ihr Zimmer aus?", fragte ich leise. Ja, sie vermissten sie, aber alles weg zu bringen, was an Jana erinnerte, war wie sie aus ihrem Leben zu löschen! „Nein, nein... Sie dachte nur du möchtest etwas zur Erinnerung." Was dachte ich mir den? Melissa und Jonas würden Jana niemals aus ihrem Leben löschen wollen. „Okay... Ja ich geh nach der Schule zu ihr", antwortete ich knapp.

Mir verging der Hunger, weshalb ich mich verabschiedete und los lief. Eigentlich hatte ich eine Busfahrkarte, aber da ich so früh dran war, beschloss ich zu laufen. Bald würde ich 18 werden, dann konnte ich mit dem Auto fahren. Es war immer noch eisigkalt und immer wieder kamen ein paar Tropfen vom Himmel. So als ob die Stadt Jana vermissen würde. Jegliche Farben waren wie weg gewischt.

„Hey, Lucy!", rief plötzlich eine Stimme hinter mir. Anne - ein Mädchen aus meiner Klasse - stand hinter mir. Manchmal dachte ich sie war die Sonne höchst persönlich. Wie so oft trug sie ein Kleid mit einer Pinken Jacke drüber. Selbst wenn es minus grade hatte, trug Anne keine Hosen oder Gefütterte Winterstiefel. Wie Kathi war sie ein kleiner Modefreak. „Hey", begrüßte ich sie. „Erster Tag, was?", fragte sie mitfühlend. „Ja... Aber ich möchte eigentlich nicht darüber sprechen", stellte ich sofort klar.

Mir war bewusst dass mich heute vielleicht noch andere auf Jana ansprechen würden, doch ich würde ablocken. Es waren meine Gedanken, und meine Erinnerungen an sie, die mich trauern ließen. „Klar... Und kommst du zur Party?" Ihr Lächeln wurde größer. Sie sprach von der >Goodbye Winter< Party, die unsere Schule jedes Jahr veranstaltete. Wie immer würde ein großes Lagerfeuer stattfinden, mit anschließender Rede von Mrs. Jordan - unserer Direktorin. Obwohl Alkohol und Rauchen verboten war, kam ich bis jetzt jedes Jahr betrunken nach Hause.

Aber ich konnte nicht auf eine Party gehen. Nicht jetzt. Ich musste zuerst mal mit allem zurechtkommen. „Mal schauen", gab ich knapp zurück. Anne hätte mich überreden wollen, weswegen ich kein klares >Nein< sagte. Den Rest des Weges unterhielten wir uns nur über Lehrer und den alltäglichen Mist.

Wir betraten den Schulhof und sofort lagen die Blicke auf mir. Die meisten Schüler kannten Jana nicht. Sie kannten nur ihre Geschichte aus der Zeitung. In mir sahen sie nur eine Quelle mehr über das Mädchen das sich umbrachte herauszufinden. Als ich Kathi alleine in der Ecke stehen sah, lief ich mit schnellen Schritten auf sie zu. Anne schaute mir nach, wusste aber dass wir alleine sein wollten. „Morgen...", gähnte Kathi mich an.

Sie wirkte neben sich, aber die Beerdigung gestern schien dran keine Schuld zutragen. „Hey, alles klar?", fragte ich sofort. Ihre Beine schwankten von Hinten nach vorne. Ihre Augen waren rot und ihr Atmen stank nach Alkohol. „Hast du getrunken?", zischte ich sofort. „Nur ein kleines bisschen...", lachte sie los und verandchaulichte mit ihrem Finger eine Menge.

Alle schauten ruckartig zu uns. Ich hatte keine andere Wahl, als sie vor einem Jugendamtsaufsehen oder Schulverweis zu beschützen. Mit Kathi im Schlepptau verließ ich das Schulgelände, setzte sie auf einer Bank ab und rief ihre Mutter an. „Spinnst du?", fuhr sie mich wütend an. „Ich brauche keinen Babysitter!" Als sie von der Bank aufstehen wollte, plumpste sie sofort wieder hin.

„Die Trauer so zu verarbeiten, macht kein Sinn!", versuchte ich ihr klar zu machen. Kathis Kopf wurde noch Roter vor Wut und plötzlich schrie sie: „Warum Trauern wir eigentlich? Sie hat sich umgebracht! Sie wollte diesen Misst hier nicht mehr? Sie wollte weg! Sie hat uns alleine gelassen! Also warum Trauern wir um sie, verdammt?!"

Hätte sie so etwas auch gesagt wenn sie nüchtern wäre? Minuten des Schweigens folgten. Sie hatte einen Absturz, doch ich könnte ihr gerade nicht helfen. Genau dies brach mein Herz.

Minuten vergingen wortlos. Sie meinte es nicht so, da war ich mir sicher. Gerade als ich ein Gespräch anfangen wollte, fuhr der Wagen ihrer Mutter vor. Sie bedankte sich und setzte Kathi sofort ins Auto. Es war Corina einfach peinlich, ihre betrunkene Tochter am frühen Morgen aus der Schule abholen zu müssen. Als ich zurück lief, war der Hof schon leer. Verdammt!

Der Unterricht hatte schon seit 10 Minuten begonnen. Ich stürmte durch die leeren Gänge, zu unserem Klassenzimmer. Vorsichtig klopfte ich an und wartete bis ich ein „Herein" Hörte. Schüchtern trat ich ein. Meine Klassenkameraden blickten mich mit großen Augen an. Mr. Armstrong stand an der Tafel und schrieb etwas auf Französisch an. „Es tut mir leid, ich bin zu spät", entschuldigte ich mich. „Schon in Ordnung."

Was? Das war alles? Normalerweise würde das Nachsitzen geben. Positiv überrascht setzte ich mich neben Anne. Eigentlich saß ich neben Kathi, aber alleine sitzen wollte ich auch nicht. Und Jamie, der eigentlich hier saß, war krank. Auf einmal stach mir etwas ins Auge. An Janas Platz waren Rosen, Teddys und Karten aufgestellt worden. In meinem Hals bildete sich ein Kloß als ich das Wort auf der Karte las. Warum?

Ja, diese Frage stellte sich wohl jeder. Und keiner hatte eine Antwort. Ich schrieb den Text von der Tafel ab und versuchte Mr. Armstrong so gut es ging zu folgen, als plötzlich eine Durchsage durch die Lautsprecher tönte. „Lucy Hamilton und Kathi Sanders bitte ins Sekretariat." Ohne weiteres erhob ich mich. Es ging bestimmt um Jana. Die Türe hinter mir fiel ins Schloss und das Getuschel ging los.

Im Sekretariat bat man mich ins das Büro von der Direktorin zu gehen. Nach einigen Minuten, kam dann auch schon Mrs. Jordan rein. Sie sah mich mitfühlend an. „Wo ist Kathi? Ich habe sie heute Morgen noch gesehen", fragte sie verwirrt. „Ja, ähm der ging es nicht so gut..." Naja, ihre beste Freundin hatte sich umgebracht. Daraufhin hat sie beschlossen Wodka als Aufmunterer zu benutzen. Ich blieb dann doch bei meiner Ersten Aussage. „Also es geht um Jana... Wir dachten es wäre eine schöne Idee ihr zu gedenken. Aber wir wollten wissen was ihr dazu sagt. Ihre Mutter wäre einverstanden, sagte aber dass ihr vielleicht auch mitreden wollt."

Man merkte wie unangenehm das Thema für sie war. „Das ist ihre Entscheidung", antwortete ich. Über so etwas machte ich mir keine Gedanken, es würde sie schließlich nicht zurückbringen. „Dann werden wir eine kleine Diashow auf der Party demnächst zeigen", verkündete Mrs. Jordans. Warum Trauern wir eigentlich? Sie hat sich umgebracht! Sie wollte diesen Misst hier nicht mehr! Kathis Worte gingen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sofort setzte mein Atem aus. Liam!
Seine Worte, das Jana sich nicht umgebracht hatte... Das Treffen im Musiksaal.

Das Gespräch mit der Direktorin war anscheinend beendet, so lief ich schnell zurück in die Klasse. Alle wunderten sich, warum ich schon wieder da war, doch dies war mir egal, ich wollte keine blöden Fragen beantworten. Die nächsten Zwei Stunden gingen schnell rum und ich rannte förmlich in den Musiksaal als es zur großen Pause klingelte.

Etwas in mir wollte Liam glauben, aber ein anderer Teil sagte er sei verrückt. Langsam drückte ich den Griff runter und betrat den mit Instrumenten gefüllten Raum. Mit einem Ruck wurde mir schlecht. Sofort schrie ich auf. Ein Stuhl lag umgekippt auf dem Boden. Darüber hing Liam mit einem Seil um den Hals gebunden...

Little SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt