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Bevor ich noch was sagen konnte lief die Fremde zur Kasse. Ich stellte mich hinten an und bezahlte meine restlichen Sachen. Vorm Laden wartete sie auf mich. Innerlich stellte ich mir vor wie sie mir eine Rede halten würde über Diebstahl und verbaute Zukunft und das ganze. „Ich habe meine erste Schachtel auch geklaut, ging aber schief. Der Ladenbesitzer stand direkt hinter mir. Ich musste acht Wochen lang Regale auffüllen", lachte sie. Perplex starrte ich sie an.

„Aber merke dir eins: Davon gehen die Lungen kaputt und man stinkt... Aber in deinem Alter hat mich das auch nicht interessiert." Erst jetzt bemerkte ich dass ich nur wie eine blöde grinste und kein Wort sagte. Ich räusperte mich kurz. „Danke." Ich setzte mein freundlichstes Lächeln auf.

„Deine Klamotten sind ja ganz schmutzig..." Stellte die Frau fest. Während sie mich musterte, machte ich das gleiche. Sie hatte braun-graues Haar, das bis zu ihren Schultern reichte. Über ihrer bräunlichen Haut trug sie einen Grauen Pulli und eine dunkle Jeans. Dazu braune flache Stiefeletten. Ich schätzte sie Mitte 60. „Ja, ich bin hingeflogen", erklärte ich. Lüge. Naja, eigentlich kam es vom Boden der Terrasse.

„Müsstest du nicht in der Schule sein?", fragte sie schließlich skeptisch. Wieder bekam ich kein Wort heraus. Es gäbe so vieles was ich hätte sagen können... Nach einigen Sekunden schüttelte die Frau lachend den Kopf. „Ich bin Margret", stellte sie sich vor, ohne auf meine Antwort zu warten. „Ich bin Lucy", stellte ich mich ebenfalls vor. „Lucy... Du hast heute Nacht wohl nicht in einem Bett geschlafen?" Ich schüttelte den Kopf. Auf einmal knurrte mein Magen. „Ist das dein Frühstück?" Margret zeigte auf die Tüte in meiner Hand. „Ja," antwortete ich knapp.

„Komm mit, wir besorgen dir etwas Richtiges." Sie lief los und ich wusste nicht warum, aber meine Beine folgten ihr. „Erzähl mal, du hast eine lange Nacht hinter dir. Und da steckt kein Junge dahinter", stellte sie fest. „Ich..." Fing ich an brach aber ab. „Du kannst mir vertrauen. Ich denke wir haben eine ähnliche Geschichte", sagte Margret. Was meinte sie damit? Wir kannten uns seit weniger als 5 Minuten. Aber etwas an ihr wirkte so vertraut, als kannte ich sie. Auch kam mir ihr Gesicht bekannt vor, aber ich konnte es nicht zu ordnen. Bei einem Café stoppte sie plätzlich. Ohne weiter Worte betrat sie das moderne Gebäude und setzte sich. Stumm tat ich es ihr gleich. Die Bedienung kam und Margret bestellte zweimal ein Rühreifrühstück.

„Also Herzchen, wie bekomme ich dich entschlüsselt?" Auf eine Art und Weise erinnerte sie mich an Jana.„Ich hab im Freibad auf dem Boden geschlafen...", gestand ich leise. „Warum das denn?", sie zog ihre aufgemalten Augenbrauen hoch. Wieder rief etwas in mir ihr nicht zu sagen. Sie war eine Fremde. Doch der größere Teil in mir sagte: Erzähl es ihr. „Ich bin von Zuhause abgehauen." Ich hatte wirklich mit jeder Reaktion gerechnet, aber nicht mit dieser. Margret lächelte.

„Das gleiche habe ich vor 45 Jahren auch gemacht." Schnell schaute ich sie mit aufgerissenen Augen an. „Ja, meine Eltern wollten mich ins Internat schicken." Sie zuckte mit den Schultern, als ob es ihr gleichgültig war. Ob sie log, konnte ich nicht wissen, aber in diesem Moment war es mir egal. „Meine wollten mich in eine Therapie schicken." Sie kniff die Augen zusammen.

„Bist du etwa eine Verrückte?" Ich hörte aus ihrer Stimme heraus, dass sie amüsiert war. Ein müdes Lachen entwich meinem Mund. „Laut meinen Eltern ja. Sie wollten mich gegen meinen Willen in Therapie schicken." Die Kellnerin kam und brachte uns das Essen, weshalb wir kurz innehielten. „Ich sage dir eins: Wenn du im klug genug warst weg zu rennen, bist du nicht verrückt." Es heiterte mich tatsächlich auf. „Seit wann bist du denn weg?", fragte Margret. „Seit gestern Abend."

Sie riss ihre blauen Augen auf. „Dann iss auf!", befahl sie und schob sich selbst ein Stück Rührei in den Mund. „Bist du schon 18?" Ich schüttelte den Kopf. Noch zwei Tage. „Hast du einen Abschiedsbrief hinterlassen?" Ich nickte, unfähig was zu sagen. „Dann haben sie die Polizei schon gerufen, nehme ich an." Sie trank in einem Satz die Tasse Tee leer. „Komm", sagte sie.

„Was? Wohin?" Fragte ich verwirrt. „Du kommst mit zu mir, wenn du möchtest?" Sie war immer noch eine Fremde. Meine Eltern hatten mir beigebracht nicht bei Fremden ins Auto zu steigen. Aber was wussten die schon? Ohne meinen Verstand zu aktivieren stand ich auf und folgte Margret, die noch bezahlte. Wir liefen zu einem silbernen VW Golf und stiegen ein. „Wie ist Ihr ganzer Name wenn ich fragen darf?" Meine Stimme klang ungewohnt schüchtern. Aber etwas unangenehm war mir die Situation schon. „Margret Collins. Und deiner?", fragte sie zurück.

Mir gefror das Blut in den Adern. War sie mit Jana verwandt? „Lucy Hamilton." Margret schaute mich an. „Du warst doch eine von Janas Freundinnen?" Fragte sie, worauf ich nickte. „Sind Sie mit ihr verwandt?" Sie blickte wieder auf die Straße. „Ja, ich bin ihre Tante." Ab diesem Moment, war sie keine Fremde mehr. Dass sie von Jana in der Gegenwart sprach, gefiel mir.

„Wir fahren zum Schwimmbad und holen deine Sachen", lächelte sie. „Woher-" Sie unterbrach mich. "Kein normaler Mensch würde ohne eine Tasche oder so abhauen. Ich hatte einen Koffer", lachte sie erneut. Gesagt - Getan.  Ich holte meine Tasche und wir fuhren zu ihr nach Hause. Das Haus kam mir bekannt vor denn Jana hatte hier einmal Blumen gießen müssen, weil ihre Tante im Urlaub war. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Margaret noch nicht. Wir stiegen aus und sie schloss die Tür auf. Es war wirklich schön hier. Hell, Blumen, Modern und passend zu ihr.

„Du kannst duschen gehen wenn du möchtest. Im Obergeschoss die zweite Tür links." Sie lächelte mich an. Wie konnte mir die Ähnlichkeit zu Jana nur entgehen? „Ich gehe später, wenn's passt?" Margret schüttelte den Kopf. „Herzchen du muffelst!", lachte sie los. Ich musste auch schmunzeln. Es gab nichts besseres, wie wenn jemanden sagt was Sache war.

Das Badezimmer war wie der Rest des Hauses modern und hell. Ich duschte mich und zog anschließend frische Klamotten an. Unten stand Margret in der Küche und schnippelt Obst zusammen. „Wie geht es jetzt weiter?", fragte ich leise. „Werden Sie die Polizei rufen?" Plötzlich fing sie noch lauter an zu lachen. „Nein! Natürlich nicht. Du kannst so lange hier bleiben wie du willst. Schule wird überbewertet. Und dann bin ich endlich nicht mehr so alleine in dem großen Haus."

Ich bedankte mich aufrichtig. Mein ganzes Geld, legte ich auf den Küchentisch. Als Margret das sah schüttelte sie denn Kopf. „Du bist mein Gast. Und außerdem ich habe so viel Geld, das ich gar nicht weiß wo hin damit. Rentner zu sein, ist einfach genial." Wiederspruch wurde nicht geduldet.

Jetzt wo ich sie da stehen sah, wurde mir bewusst, dsss sie es nicht wusste... Keiner von Janas Familie wusste es. Sollte ich ihr erzählen dass Jana sich nicht umgebracht hatte? Sie ist ihre Tante... - Derek! Ich durfte Derek nicht aus den Augen verlieren. Warum war er im Krankenhaus? Wollte er Kathi ein Ende setzten?

Aber als ich kam, kam er raus? Und Kathi hatte ihn nicht gesehen. „Du siehst besorgt aus?", riss mich Margret aus meinen Gedanken. Langsam setzte ich mich und fing an tief ein und aus zu atmen. Sie hatte ein Recht es zu wissen. Klar, viele andere hatten es auch, aber ihr konnte ich vertrauen. Ich begann zu reden...

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