Kapitel 6

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Kapitel 6

Die nächsten paar Tage verliefen relativ ruhig. Élothin schlief viel, während Eowyn sie und Enaithar oft besuchen kam. Auch König Théoden kam zwei oder dreimal vorbei, um zu sehen, wie es ihnen ging. Eowyns Bruder hingegen liess sich nicht mehr bei ihnen blicken. Ardwyn kümmerte sich weiterhin liebevoll um sie und drückte sogar ein Auge zu, als Eowyn einen von den Hundewelpen mitbrachte, damit auch Enaithar einen streicheln konnte. Dieser war allerdings fast nicht anwesend, er driftete oft ab und wachte erst Stunden später wieder auf, ohne zu wissen, was passiert war. Es beunruhigte Élothin, aber Ardwyn versicherte ihr, dass das normal sei, bei einer solchen Verletzung, und dass sie froh sein könne, dass er noch am Leben sei.

Élothin gewöhnte sich langsam daran, an einem neuen Ort zu wohnen, doch die Erinnerung an ihre Mutter schmerzte sie immer noch sehr. In der Nacht hatte sie oft Alpträume, in denen sie immer wieder erleben musste, wie ihre Mutter von Orks geköpft wurde und sich danach an sie wandten, um auch sie zu töten. Jedes Mal wachte sie schweissgebadet und keuchend auf, kurz nachdem ein blutbeschmiertes Schwert auf sie niedergesaust war.

Eines Abends bat Eowyn Élothin darum, zum Abendessen in der grossen Halle zu kommen. Da es Élothin körperlich eigentlich gut ging, liess Ardwyn dies zu und so sass Élothin wenig später neben Eowyn an einem langen Tisch, an dem natürlich auch der König und seine engsten Vertrauten sassen.

Als alle Platz genommen hatten, wurde das Essen serviert und König Théoden sprach ein paar Worte, nach welchen sie alle zu essen begannen. Élothin ass wenig und nur sehr langsam, denn ihr war unwohl zumute, umgeben von lauter fremden Menschen, die ständig zu ihr herüber sahen. Éomer sass ihnen gegenüber und sprach kein Wort, was Élothins Wohlbefinden nicht wirklich steigerte.

Während dem Essen stellte Eowyn Élothin der Reihe nach alle Anwesenden vor, doch Élothin war froh, nach dem Essen endlich wieder gehen zu können.

Eowyn begleitete sie bis in ihr Zimmer, wo sie ihr eine gute Nacht wünschte und dann ebenfalls in ihre Gemächer zurückkehrte.

***

In dieser Nacht konnte Élothin wieder einmal keinen Schlaf finden, und so stieg sie aus dem Bett und schlich hinaus auf den Gang. Leise tapste sie durch die dunklen Korridore bis einer Seitentür, durch die sie hinaus ins Freie gelangte, wo sie sich auf einen Vorsprung setzte und die Beine baumeln liess. Ihre Wunde war gut verheilt, so dass die Schmerzen schon fast nicht mehr zu spüren waren. Sie sah zum sternefunkelnden Himmel hinauf und begann, die Sterne zu zählen, um ihren Geist müde zu machen.

Da ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr.

„Du solltest schlafen."

Erschrocken drehte sich Élothin um, sie hatte nicht damit gerechnet, dass jemand kommen würde.

Schon gar nicht Eowyns grosser Bruder. Ihr Körper versteifte sich, und schnell stand sie auf.

Éomer löste sich aus dem Schatten der Mauer und trat einen Schritt auf Élothin zu.

Er war so gross und stark, dass er ihr immer noch ein wenig Angst machte. Élothin hatte ihn erst wenige Male gesehen hatte und immer wirkte er ernst und verschlossen. Élothin war sich sicher, dass sich hinter dieser Fassade noch mehr versteckte.

„Und? Willst du nicht schlafen gehen?", brach Éomer das Schweigen, als Élothin nicht reagierte. Élothin nickte ertappt und sah unsicher auf ihre Hände hinunter.

„Kannst du nicht schlafen?", fragte Éomer, als er Élothins Unsicherheit bemerkte.

„Nein", murmelte Élothin.

„Trotzdem solltest du nicht mitten in der Nacht hier draussen sein", sagte Éomer.

Élothin nickte wieder und versuchte es mit einem schüchternen Lächeln, bevor sie an ihm vorbei in das Königshaus verschwand. Éomer sah ihr kurz hinterher, dann setzte er sich auf den Vorsprung und blickte zu dem hellen Mond hinauf. Auch er konnte nicht schlafen und hatte beschlossen, ein wenig nach draussen zu gehen.

Don't go where I can't followWo Geschichten leben. Entdecke jetzt