Kapitel 2 ~ Tote Eltern

113 5 1
                                    

Nichts. Nichts Bewegte sich. Auch ich nicht. Ich stand einfach reglos da, atmete nicht, weinte nicht, bewegte mich nicht. Jede Faser meines Körpers tat einfach nichts.

Ich wollte schreien. Ich wollte zu ihnen hingehen und weinen. Einfach allen Frust aus mir heraus lassen. Am meisten aber, sehnte ich mich nach dem Wunsch, dass das alles hier nur ein Albtraum war. Aber es war Realität. Pure, harte Realität. Ich war wie angeklebt und konnte mich nicht bewegen. Wie bei einer Todesstarre. Ich rang nach Luft und sank danach ganz langsam auf den Boden. Ich war wie in Trance, als würde es nur mich und meine Eltern, die reglos auf dem Boden lagen, gäbe. Als gäbe es keine Stimme und keinen Ton.

Ich fing an zu zittern und Tränen rannen mir wiederum an der Wange hinunter. Ein krächzender Schrei entglitt meiner Kehle. „Nein!", schrie ich. „Nein! Das darf nicht wahr sein!". Auf den Knien kroch ich zu meiner Mom. Meine Hand presste ich auf die grosse klaffende Wunde, die mittendrin in ihrer Brust war. Sie war noch ein wenig feucht und als ich die Hände hob, sah ich, dass noch restliches Blut daran klebte. Mom's lange, schwarze Haare lagen kraftlos am Boden. Tod. Das war das Stichwort dafür. Das Stichwort, welches genau ins Herz traf. Das Wort, das einen Stich im Herzen hinterliess. So sahen Mom und Dad aus. Genauso. Es sah nicht nur so aus, nein, es war auch so. Der Tod hatte sie geholt. Ein kaltes Wort. Eiskalt.

Langsam kroch ich zu Dad hinüber. Sein Gesicht war blass. Er war kalt. Wie der Tod. Seine Augen waren Starr nach oben gerichtet, als würde er ein Loch in die Decke bohren. Ich schluchzte und im gleichen Moment riss jemand die Tür auf und stürzte mit aufgerissenen Augen in die Wohnung hinein. Er war unsere Nachbarin, Katarina Seta.

Ich hörte einen quiekenden Aufschrei. Dann nichts. Plötzlich fasste jemand mich von hinten an der Schulter. Ich wollte mich nicht umdrehen. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sieht. Ich wollte einfach hier bei meinen toten Eltern sein. Einfach alleine mit den Seelen. Einfach meine Ruhe haben.

„Aisha", fing Katarina an.

„Nein.", entgegnete ich barsch und fing an zu weinen. Sie nahm mich in den Arm und unterdrückte ein schluchzen. „ Aisha, beruhige dich, alles wird gut". Ich wusste dass sie daran zweifelte, dass alles gut wird. Ich wusste es.

„Nein, nichts wird gut. Wie soll es, wenn ich alles verloren habe, was ich liebte, wie soll das gehen?". Sanft liess mich Katarina los und nahm ihr Handy hervor. Tastenlaute ertönten. Sie rief jemanden an. Als es klingelte lief sie von mir weg und flüsterte etwas. Ich verstand kein Wort. So sehr ich mich bemühte hörte ich nichts. Obwohl ich wusste, dass sie die Polizei anrief, wollte ich lauschen.

Kurze Zeit später fuhr ein Polizeiauto vor unserem Haus hin. Die kräftig gewachsenen Männer, dazwischen eine kleine aber kräftige Frau, betraten unsere Wohnung. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu und wandten sich mir zu. „ Liebes Fräulein, wir möchten sie bitten mit auf unser Revier mit zukommen.", sagte ein glatzköpfiger Mann mit gespielter zuckersüssen Stimme.

„Ich bin nicht blöd", erwiderte ich genauso zuckersüss. „ Ich weiss warum Ihr hier seid."

Der Glatzenmann räusperte sich und kam auf mich zu. Sofort packte er mich am Arm und wollte mich mit zerren. Aber ich weigerte mich. Andere Polizeibeamte kamen ihm zur Hilfe und brachten mich ins Auto.

Schweigend sass ich auf dem Rücksitz und schaute aus dem Fenster. Es erinnerte mich daran, als wir immer zusammen in die Ferien nach Italien gefahren sind. Wie die Landschaft an uns vorbeigezogen ist, wie wir die Musik immer aufgedreht hatten, wenn einen coolen Song im Radio kam, welchen wir alle liebten und lauthals mitsangen. Ja, dort konnte ich einfach ich selbst sein. Einfach abschalten und das Leben geniessen. Wenn ich bei meinen Eltern war, fühlte ich mich einfach wohl, aber jetzt, fühlte es sich fremd an. Alles.

Als wir dort waren, kullerten mir nicht mehr so viele Tränen herunter wie vor einigen Minuten. Ich lief mit roten Augen durch das Polizeirevier und alle Beamten schauten mich an. Ich senkte meinen Kopf, sodass meine Haare mein Gesicht verdeckte.

Im Präsidium war es grau und kalt. Die Lampe, die auf dem Tisch war schien mir direkt ins Gesicht. Zwingend sass ich auf dem Stuhl und wartete bis ein Kriminalpolizist mich bis auf die Knochen ausfragte. Nach einiger Zeit kam auch ein Mann, mit kurz geschnittenen, braunen Haaren herein. Sein Gesicht war rundlich und er war nicht gerade der dünnste.

„Gut'n Morg'n. Isch bin Nobert Grünhofer und bin von der Kriminalpolizei. Isch werde Sie im Moment ausfragen und wir müss'n genaue Angaben haben. Joa, isch hoffe du...'tschuldigung, Sie haben Verständnis damit. So fang'n wir mal an...", nuschelte er.

Total verwirrt schaute ich ihn an. Was für eine Sprache! Bevor ich mein Einverständnis abgegeben habe fing er wieder an zu sprechen: „Na dann, erklär'n Sie bitte mal alles von Anfang an?"

„Naja, ich bin aufgestanden und schaute in den Spiegel. Alles war still, nicht so wie immer. Meine... meine Eltern stritten sich immer. Ausser heute. Ich schaute überall nach, aber... aber ich fand nichts. So ging ich davon aus, dass sie schon Arbeiten waren. Aber dann traf mich die Erkenntnis voller Wucht. Und dann... dann sah ich sie. Am Boden. Reglos liegen. Eine grosse Wunde in der Brust. Es... es war schrecklich. Alle Kraft wurde aus mir gesaugt. Dann, nach einiger Zeit kam Katarina Seta und hatte hier angerufen.". Das war alles was ich zu sagen hatte. Ich knetete angespannt mein Finger und unterdrückte ein mir hysterisches Aufschluchzen. Der Knoten im meinem Hals bildete sich wieder und ich fing an zu weinen. Als es dieser Norbert sah, verschwand er so schnell wie möglich nach draussen. So ein Feigling!

Wenig später kam ein älterer aber gutaussehender Mann herein. Seine Haare waren schon grau aber dennoch sah er professionell aus. Mit einem Seufzen setzte er sich neben mich. Er schaute mich an, aber ich erwiderte seinen Blick nicht. Er machte mir Angst. Ich hatte so das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Er war so anders. So kalt. So eisig kalt wie der Tod. Ich spürte wie ich Gänse Haut bekam.

Plötzlich bekam ich das Gefühl, dass ich ihn anschauen musste. Meine Hände ballten sich zu Fäuste und ich fing an zu zittern. Aber nicht aus Angst. Nein, weil ich ihn nicht anschauen wollte. Ich kämpfte gegen ihn an, hatte aber keine Change. Ich sackte zusammen und mein Körper entspannte sich wieder. Seine Augen waren wunderschön. Waren sie so blau wie der Ozean? Oder wie der Himmel? Es kam mir so vor, als wäre es beides von denen. Aber irgendetwas war noch. Eis. Noch ein Tropfen Eis vermischte sich mit dem himmlischen blau.

Ich wollte wegschauen, konnte aber nicht. Ich war wie im Bann.

Ein für alle Mal stand er auf und ging ohne ein Wort hinaus. Wieder sackte ich zusammen. Als wäre alle Kraft aus mir gesogen worden. Augenblicklich wurde mir schwarz vor den Augen.

Piepsende Geräusche umgaben mich. Ich spürte wie jemand neben mir sass. Zwinkernd öffnete ich meine Augen. Ich sah Katarina. Sie strich mir über die Haare, wie es meine Mom immer getan hatte. Ich schüttelte sie weg und richtete mich auf. Sofort eilte eine Krankenschwester herbei und wollte mich wieder nach unten aufs Bett drücken. Ich wehrte mich und stand auf.

„ Ich will nach Hause!", sagte ich so selbstsicher es ging. Aber höchstwahrscheinlich klang ich wie ein kleines Mäuschen, welches auf der Suche nach Futter war.

„Kleine, das geht nicht. Du bist noch zu erschöpft.", sagte Katarina und kam auf mich zu.

„Egal ob einen Schritt mehr oder weniger ich kann heute Nacht so oder so nicht schlafen.", entgegnete ich ihr. Mit diesen Worten ging ich aus dem Zimmer und lief nach Hause.

Ich war nicht lange draussen, war schon wieder ein Polizeiwagen neben mir. Ich stieg widerwillig ein und fuhr nach Hause.

Es war alles abgesperrt und viele Leute waren da um den Tatort zu untersuchen. Unsicher ging ich herein. Ich fühlte mich nicht willkommen. Ich fühlte mich nicht wohl. Ich fühlte mich nicht wie zuhause.

Alle starrten mich an. Meine Eltern lagen nicht mehr dort. Sie waren weg.

Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. „Frau Meltan, ich habe hier etwas für sie.".

Heii, hier das zweite Kapitel der Überarbeitung. Ich hoffe es hat euch gefallen.

Königblaues Blut *wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt