III

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Diesmal versuche ich das Telefonat mit May so kurz wie möglich zu halten, ich will meinen Freitag eigentlich nur noch alleine in meinem Bett verbringen. 

Nach ungefähr einer halben Stunde schaffe ich es, das Telefonat zu beenden. 

Ich lasse mich seufzend in mein Bett fallen und starre die Decke an. Heute ist wieder einer dieser Tage, an denen ich auf nichts und niemanden lust habe. 

Neben meinem Bett steht ein kleiner Schrank, auf dem ein Bild von mir und Colin steht. Es war eines der letzen Bilder, die wir zusammen gemacht haben. 

Auch, wenn es mir schwer fällt die Hoffnung beizubehalten glaube ich daran, dass er noch lebt. Ich bin mir sicher, dass ihm nichts passiert ist. 

Vielleicht kann ich aber auch einfach nicht loslassen, aber wer kann das schon?

Weil ich genau weiß, dass es nicht besser wird, wenn ich versuche meine schlechte Laune mit Schlaf zu dämpfen, beschließe ich, draußen ein paar Runden laufen zu gehen. 

Da es schon bald dunkel wird und der Wind kälter wird, streife ich mir noch einen Pullover über, bevor ich das Haus verlasse. 

Das Frühlingswetter ist angenehm zum laufen und die frische Priese hilft mir dabei, meinen Kopf frei zu kriegen. Das Laufen hat mir das letze Jahr eigentlich immer geholfen, wenn ich wieder einer meiner schlimmen Tage hatte. 

Ich laufe die Hauptstraße entlang, beschließe dann aber doch auf einem Feldweg zu laufen, weil dort weniger Menschen sind. 

Ich biege in eine Seitenstraße ein und laufe sie komplett runter. Die Sonne ist schon lange untergegangen, ich hätte vielleicht doch lieber eine lange Hose anziehen sollen. Ich ziehe die Ärmel über meine Finger und ignoriere den kalten Wind, der mit entgegen weht.

Auf dem halben Feldweg werde ich langsamer, weil ich ein paar Meter weiter weg eine Gruppe von Menschen sehe.

Wer treibt sich so spät auf irgendwelchen Feldern herum?

Ich sehe, wie die Silhouetten sich für einen kurzen Moment aufhören zu bewegen, dann kommen sie mit schnelleren Schritten auf mich zu.

Aus Reflex drehe ich um und laufe wieder zurück. Ich höre, wie ein paar Männerstimmen mir irgendetwas hinterherschreien, doch es treibt mich nur noch an, schneller zu laufen. 

Den Rest des Weges sprinte ich. 

Als ich die Männer weder hören noch sehen kann, bleibe ich neben einer Laterne stehen und atme tief durch. So schnell wie eben, bin ich selten gelaufen.

Vermutlich waren es wieder ein paar betrunkene, die sich verlaufen haben. 

Doch gerade, als ich dachte, in Ruhe nachhause gehen zu können, macht mir das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. 

Zwei Männer kommen auf mich zu, woher sie gekommen sind, weiß ich nicht.

"Süß, wie du gelaufen bist", sagt einer von ihnen. Er hat helle Haare und ist etwas größer als sein Begleiter. 

Ich gehe einen Schritt nach hinten und taste mich an die Laterne. Der Kleinere stellt sich direkt neben mich und mustert mich von oben bis unten, er sieht total schmierig aus und ist locker zehn Jahre älter. 

"Ist dir nicht kalt, wie wärs wenn wir dich zu einem Drink einladen?", haucht er mir entgegen, seine Alkoholfahne knallt mir ins Gesicht. Widerlich.

"Nein danke", sage ich und wende mich von dem Mann ab, krache dabei aber fast gegen die Brust des Anderen. 

"Verzieht euch", zische ich.  

"Ist wohl eher eine kleine zicke", scherzt der Kleine, woraufhin sein Freund einfach nur lacht.

"Funktionieren eure Hörgeräte nicht mehr? Ihr sollt euch verziehen", sagt ein dritter. Diese Stimme ist einfach unverwechselbar. 

"Nathan", sage ich zum ersten mal erleichtert. 

Er kommt auf uns zu und schubst den Blonden mit einem Ruck so fest gegen die Laterne, dass er zu Boden sinkt. 

Die Kraft, die er gerade aus einem Schlag herausgeholt hat, ist unmenschlich. 

"Steig ein, ich fahr dich", sagt Nathan kühl und deutet auf sein Auto, dass einige Meter weiter entfernt steht. 

Ohne zu überlegen eile ich in den Wagen. Nathan würdigt die beiden anderen nicht einmal mehr mit einem Blick, bevor er sich lässig in den Ledersitz fallen lässt. 

"Was machst du so spät noch hier? Und das auch noch alleine?", fragt er, während er den Motor startet.

"Bist du mein Vater?", frage ich zickig. Eigentlich will ich nicht so sein, aber es fällt mir aus irgendeinen Grund unglaublich schwer nett zu ihm zu sein.

Nathan schaut mich mit eisernem Blick an, diesmal hat er wirklich ein Danke verdient.

"Danke, dass du mir geholfen hast."

Er fährt mit einem zufriedenen grinsen los und tippt mit seinen Fingerkuppen am Lenkrad herum. 

"Kennst du das Lied?", fragt er, daraufhin dreht er das Radio ein wenig lauter.

Es ist ein veraltetes Lied, dessen Titel ich nicht kenne, aber die Melodie kommt mir bekannt vor. 

"Ja", antworte ich knapp und sehe aus dem Fenster. Dabei stelle ich fest, dass wir schon in meiner Straße sind.

"Woher weißt du wo ich wohne?", frage ich ihn verwundert. Als seine Eisblauen Augen meine Smaragdgrünen treffen, setzt mein Herz einen Schlag aus. Jeder Millimeter von ihm ist wirklich eine Kunst.

"Ich weiß so einiges über dich", erwidert er verträumt. 

"Sollte ich mir Sorgen machen?"

Nathan schüttelt lachend den Kopf. In letzer Zeit sehe ich ihn oft lachen, so finde ich ihn auch um einiges sympathischer. 

"Danke", sage ich, als er direkt vor meiner Haustür parkt.

Er sagt nichts, während ich aussteige, aber ich spüre genau, wie er mir Löcher in den Rücken starrt. 



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