》Ana, Cat, Deb & Sue《

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Es waren bereits einige Tage seit dem Tod von Roxanna vergangen und noch immer glaubten die Lehrer nicht an einen Zusammenhang zu Dillan's Aufsatz. 'Das ist doch Quatsch, reine Angstmache. Kommt bestimmt von ihren Implantaten oder sie hat Tabletten geschluckt', haben sie gesagt, aber immer die Schüler versucht zu vertrösten. Bloß niemanden verschrecken. Die blasse Cecilia saß mit einem dicken Pullover auf dem Boden ihres Zimmers und hatte die Knie angewinkelt. Mit der linken Hand schob sie den Ärmel ihres rechten Arms hinauf und betrachtete ihn seufzend. Alte, verheilte Narben und frische, leicht blutende Schnitte konnte man ganz deutlich sehen. Nun setzte sie ihre linke Hand an, drückte fest und zog sie ganz schnell runter. Eine breite, blutende Wunde bildete sich und sie fuhr so lange und in so viele Richtungen fort, bis auf ihrem Unterarm ganz deutlich das Wort Hass stand. Ihr Spiegel war verdreckt und an einigen Stellen blind, aber das interessierte sie herzlich wenig, so musste sie sich selbst nicht ansehen. Von der fünften bis zur achten Klasse war sie aufgrund ihres Übergewichtes gemobbt worden, weshalb sie irgendwann einfach aufhörte richtig zu essen. Ihre Mutter hatte sie oft etwas schräg angeschaut, aber hatte nichts gesagt, da sie selbst zu viel zu tun hatte. Ihren Vater kannte das Mädchen nicht wirklich, da er ihre Mutter bereits verließ, als sie gerade mal das zarte Alter von drei Jahren erreicht hatte. Also hatte auch dieser nichts sagen können. Anfangs war es schwer für sie, denn ihr Magen schmerzte nach etwa zwei Tagen, in denen sie nur Abends ein kleines Bisschen gegessen hatte. Die Versuchung war groß, aber nach und nach hatte das Mädchen sich an die Umstände gewöhnt und das Essen als eine Art Bedrohung gesehen. In der neunten Klasse war dann aus diesem Verhalten eine richtige Magersucht, auch Ana genannt, geworden, welche das Mädchen schon fast dazu zwang nichts zu sich zu nehmen. Depressionen, auch Deb genannt, entwickelte sie im Laufe der neunten Klasse, in der auch das Ritzen, sprich Cat, dazukam. Bis zu dem heutigen Datum hatte niemand auch nur ansatzweise von den Problemen Cecilia's mitbekommen, da sie nur etwas sagte, wenn die Lehrer sie dazu aufforderten, sie war einfach schon immer ein sehr stilles Mädchen gewesen. Sie schaute auf ihren Unterarm und schrie leise auf. Die Hand, in der sie die Klinge hielt, fuhr sie nun mit Gewalt über das Wort und danach über ihre Beine. Das Mädchen nahm die Schneidehilfe nun in die rechte Hand und ritzte sich auch den linken Arm auf. An ihre Pulsader traute sie sich nicht. Noch nicht. Keuchend und vollkommen verzweifelt lag sie nun auf dem Boden ihres verriegelten Zimmer's und starrte das gesamte Blut an, welches aus ihren Gliedmaßen hinaus floss. »Ich will nicht mehr. Nicht mehr so scheiße sein. Nicht so langweilig sein. Nicht so krank sein. Ich will nicht mehr atmen, nicht mehr leben!«, jammerte sie, während Tränen aus ihren Augen kamen und ihre Wangen hinabrollten. Leise vor sich hinschluchzend nahm sie sich eine Packung Tempos aus ihrer Schublade und wischte das gesamte Blut wieder weg. Nicht, weil sie den Anblick nicht ertragen konnte, oder weil sie ein besonders ordentlicher Mensch war, nein, ihre Mutter würde bald von der Arbeit kommen und diese wollte sich Abends mit ihrer Tochter unterhalten. Circa dreieinhalb Jahre hatte sie diese Krankheiten bereits und jeden Abend redete sie mit ihrer Mutter, aber diese hatte noch immer nichts bemerkt. Nicht die Schnitte, die immer tiefer wurden und auch nicht, dass das Mädchen seit der neunten Klasse über 40Kilogramm abgenommen hatte. Knappe 27Kilogramm wog Cecilia jetzt, was bei einer Körpergröße von etwa 1,74m mehr als lebensbedrohlich war. Entweder, ich sterbe an Übergewicht oder wenn ich es irgendwann geschissen kriege, mir meine verdammten Pulsadern aufzuschneiden! Die blutroten Tücher spülte sie allesamt in der Toilette hinab, als sie gerade das Auto ihrer Mutter vorfahren hörte. Schnell zog sie sich einen dicken Pulli und eine schlabbrige Jogginghose über, wusch sich das von den Tränen verschmierte Maskara aus dem Gesicht und schaute kurz in den Spiegel. »Urgh«, entglitt es ihr und sie fuhr sich mit ihren dünnen Fingern das knochige Gesicht ab. Sie selbst sah sich als fettes, hässliches Walross. Cecilia trug etwas Make-up auf, sodass ihre Haut rosiger und gesünder wirkte. Jeden Tag machte sie das, um bloß nicht aufzufallen. »Schätzchen, ich bin wieder zurück!«, rief ihre Mutter etwas gestresst von unten und man hörte, wie sie sich die Jacke auszog und sie anhing. Das Mädchen stolperte die Treppe hinab und lächelte ihrer Mutter zaghaft zu. Der Pulli kratzte an den frischen Wunden und es schmerzte die 16-Jährige sichtlich, was sie allerdings versuchte zu verbergen. »Setz dich ruhig schon, ich hol uns was zu knabbern. Brauchst du eine eigene Schüssel?« Entsetzt riss sie die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf. »Ähm... Danke, aber nein danke.« Ihre Mutter nickte nur und verschwand in der Küche. »Serce*?«, rief sie leise nach der kleinen, flauschigen Hauskatze, die ein weiß-graues Fell hatte und kleine, dunklere Flecken, die der Form eines Herzen ähnelten. Ein leises Schnurren ertönte hinter dem Sofa und die kleine Kätzin tauchte auf. Cecilia nahm das Tier auf den Arm und setzte sich mit ihr hin. Je länger sie die Katze streichelte, desto lauter und wohliger wurde das Schnurren, welches sie von sich gab. Als ihre Mutter kam, stellte sie eine Schüssel Chips auf den Tisch, mit den Worten »Greif zu« und setzte sich hin. Während sie über tägliche Themen sprachen, nahm sich Cecilia ganze zwei Chips, die sie allerdings ihrer Katze zuschmuggelte. Um etwa halb neun legte das Mädchen ihre nun schlafende Katze in ihr Schlafnest und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. »Ich muss noch etwas lernen«, flunkerte sie lächelnd und verschwand schnell nach oben. Sie duschte, wusch sich die Haare und schlüpfte nach dem Umziehen in ihr Bett.
Am nächsten Morgen fuhr Cecilia, wie jeden Schultag, mit dem Fahrrad zu dem Gymnasium. »Hallo Cecilia«, wurde sie von einem Jungen begrüßt. Überrascht schaute sie die Person an, die vor dem Raum auf dem Boden saß. »D...Dillan... wa...warum redest... redest du mi...mit mir?«, stotterte sie überfordert und leicht ängstlich zugleich. »Setz dich zu mir«, forderte er lächelnd auf, ohne auf ihre Frage einzugehen. Zögernd und schüchtern rutschte sie an der harten Wand hinab und saß nun etwa einen halben Meter von dem Jungen entfernt. Dillan runzelte kurz die Stirn und verringerte den Abstand zu ihr, sodass nun höchstens noch ein Blatt zwischen die Beiden passen würde. Warum macht er das?, fragte sich Cecilia verwirrt und starrte stur auf den Boden. »Ich weiß wie es dir geht...«, sagte Dillan leise und legte zögernd seinen Arm um das magere Mädchen. Er merkte deutlich, wie sie sich anspannte, woraufhin er einfach vorsichtig über ihren Arm strich. Dillan merkte, wie dünn die Arme seiner Mitschülerin waren, sagte jedoch nichts, um die kleine Hoffnung zu behalten, dass sie sich ihm öffnen würde. Die beiden Schüler tickten in etwa gleich, beide waren gut in der Schule und zudem relativ schüchtern. Eine Weile schwieg Cecilia, aber Dillan merkte, dass seine Mitschülerin ihm vertraute. »Hör mal...«, versuchte Dillan einen Anfang zu finden. »Ich mag dich, wirklich, aber ich mache mir Sorgen um dich. Du warst einst ein hübsches Mädchen und dann fingst du mit deiner Magersucht an...«, seufzte er leise und hoffte, dass sie sich ihm nicht verschließen würde. Cecilia schaute ihn aus ihren großen Augen verwirrt an. »Also fi...findest du mich...«, stotterte die Braunhaarige und überlegte einen Moment. »Komm wieder ins Leben...«, lächelte der Junge schüchtern und umarmte das Mädchen kurz. Er merkte, wie sie zitterte, aber dann doch ihren Kopf an seine Schulter lehnte. »Ich... ich glaube das kann ich nicht mehr...«, flüsterte sie traurig und eine kleine Träne rollte aus ihrem Auge, ihre Wange hinab. Dillan dachte einen Moment nach, ehe er ihr ins Ohr flüsterte: »Ich helfe dir, Cecilia. Ich bin für dich da.«

*Serce - polnisch für Herz
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Ana - Magersucht
Cat - Selbstverletzung
Deb - Depressionen
Sue - Suizidgedanken

Die Rache der SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt