Der zwölfte Artztbesuch ✓

12.3K 326 63
                                    


Fest, als würden die Schläge Töne ergeben, die eine traurige und dennoch faszinierende Melodie ergaben, prasselte der starke Regen auf die Autos nieder, überdeckte die Gehwege und Straßen mit dem kühlen Nass, tropften durch die Löcher der Gullydeckel unter die Erde und prallten mit einer gewaltigen Wucht gegen die Fensterscheiben der Häuser. Scheiben klirrten, Blätter hoben sich durch den starken Wind, tänzelten durch die kalte Luft und landeten zitternd in Ecken, an denen sie hängen blieben.

Das Hupen von Autos war zu vernehmen, das Rasseln eines Kinderspielzeugs und die hastigen Schritte der Menschen, die versuchten trocken zu ihren Fahrzeugen zu gelangen – sich in die verschiedensten Häuser zu retten. Es war heute wirklich kein guter Tag, um in London umherzuwandern – trotz der gescheiterten Wettervorhersage des letzten Sonnabends. Sonne – hatte man vorhergesagt – Sonne und am Abend einen leicht bewölkten Himmel und doch ähnelte es jetzt dem Weltuntergang.

Der sonst so helle Himmel war in eine pechschwarze Farbe getunkt worden, während Blitze die Dunkelheit für wenige Minuten erhellten, zeigten, dass es noch etwas gab, was man besichtigen konnte – nicht nur die Dunkelheit. Niemand wollte zu dieser Zeit dort draußen sein, dennoch war es nicht unvermeidlich. Menschen mussten arbeiten um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen – sich irgendwann den Traum eines Urlaubes zu gönnen.

Andere versuchten das verdiente Geld durch Einkäufe weiterzugeben. Eine Gruppe von vier jungen Damen hastete – bepackt mit einigen vollgestopften Tüten – durch den Regen, stürmten in das kleine Café am Rande der Baker Street. Sie lächelten erfreut, als ihnen die Wärme ins Gesicht schoss, sie von dem unerträglichen Zittern erlöste, das durch ihre kurzen Röcke ausgelöst wurde. Gegenüber des Cafés baute ein Hotdog-Verkäufer fluchend seinen Wagen zusammen, versuchte ihn irgendwie in seinen Lieferwagen zu heben. Freundlicherweise kam ihm ein Passant entgegen, half dem Mann seine Arbeit zu verlegen.

Das Danke, das er dem fremden Mann entgegen warf, verschwand in den zischenden Tönen des Windes. Im Gegensatz zu der Gruppe von Mädchen rannte eine andere Frau über die halbleere Straße, klappte hastig ihren Regenschirm zusammen und verschwand in dem weißen Gebäude am anderen Ende der Straße.

Doch sie war nicht die Einzige. Eine junge schöne Frau, eingehüllt in einem roten knielangen Mantel, spazierte gemütlich – mit einem schwarzen Schirm über ihrem Kopf – die Straße entlang. Ihr braunes langes Haar wehte sanft im Wind, während sich jedoch das Ende ihres Mantel nicht bewegte. Am gleichen Haus angekommen blickte sich die junge Frau um, schloss anschließend den Regenschirm und öffnete die Tür. Einige Tropfen trafen auf den Mantel, verharrten für eine Sekunde dort, verschwanden jedoch schnell wieder. Es war so, als hätte das Wasser den Stoff niemals getroffen. Das Mädchen lächelte, schüttelte den Schirm leicht, sodass sich die Tropfen von dem Schirm verabschiedeten. Langsam schritt sie die Stufen hinauf, bis sie anschließend im zweiten Stock stockte, sich erneut umsah und die Glastür öffnete. Eine angenehme Wärme empfing sie, brachte sie wohlig zum Stöhnen.

„Endlich etwas Warmes", sprach sie sanft, bevor sie durch einen kleinen Gang schritt.
Sie hörte Stimmen, das Klingeln eines Telefons und die Melodie eines bekannten Musikvideos, welches auf einem großen Fernseher im Wartezimmer gezeigt wurde.
„Oh Miss Granger. Schön, Sie wiederzusehen", lächelte die Dame an der Rezeption, legte einige Papiere zur Seite und wandte sich an den Neuankömmling.
„Guten Tag Mathilda. Ich habe einen Termin um kurz nach zwei."
Sie überreichte der Dame ihre Chipkarte, schenkte ihr zusätzlich ein freundliches Lächeln. Die Angesprochene nickte, tippte etwas in ihren Computer ein, bevor sie die Karte nahm und in einen Schlitz schob.

„Gut. Ich denke, Sie werden heute nicht sehr lange warten müssen. Viele haben wegen des Wetters abgesagt", sprach die Dame mittleren Alters.

„Das habe ich mir schon gedacht", kicherte Miss Granger, „Aber für mich ist dieser Besuch sehr wichtig. Deswegen wollte ich ihn ungern verschieben."
„Das weiß ich doch meine Liebe. Ich bete für Sie, dass es endlich geklappt hat. Wie oft waren Sie nun schon hier? Elf mal?"
„Das ist nun schon das zwölfte Mal", seufzte die braunhaarige Schönheit, nahm ihre Karte wieder entgegen und steckte sie zurück in ihren Geldbeutel, „Ich hoffe es auch. Mein Freund wird langsam ungeduldig."
„Oh, ja. Der werte Herr ist heute ja gar nicht dabei."
„Er musste heute leider im Büro bleiben, aber es ist auch besser so. Falls es geklappt hat, kann ich mir was Schönes für ihn überlegen", witzelte sie, während die Dame hinter dem Tisch lachte.
„Oh. Das wäre eine wirklich schöne Überraschung, aber nun setzen Sie sich bitte Miss Granger. Ich werde Sie dann aufrufen."
„Natürlich."

Because my destiny knows it better -DramioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt