,,Hast du alles?" Ich verdrehte die Augen. Zum wievielten Mal fragte sie das? Das zehnte Mal? Das Zwanzigste? Nach dem sechsten Mal hatte ich aufgehört, zu zählen.
,,Ja, habe ich. Schon seit heute Morgen." Meine beste Freundin verdrehte jetzt ihrerseits die Augen und warf mir ein Kissen an den Kopf. Meine Haare elektrisierten sich und meine ganze Frisur war ruiniert. Langsam hob ich das Kissen auf. ,,Okay, du wolltest es so!", rief ich aus und rannte auf sie zu. Sie hatte sich binnen weniger Sekunden verwandelt und flog nun vor mir in der Luft. Ihre pink-farbenen Flügel glänzten in der Mittagssonne. Ich rümpfte jedes Mal die Nase über diese Farbe.
,,Das ist nicht fair!", brummte ich und warf mich auf das Sofa, auf dem vor ein paar Sekunden noch Liz saß. ,,Du bist eine schlechte Verliererin.", murrte Liz und flog geschwind auf ein Kissen. Sie breitete ihre Beinen aus, die gerade mal die Länge eines halben Bleistiftes hatten. ,,Und du bist eine schlechte Fee", neckte ich sie. Obwohl ihr Gesicht kaum größer als mein Zeh war, sah ich, dass sie das Gesicht verzog. Und direkt tat mir die Bemerkung leid. Es war noch eine frische Wunde, die ich gerade aufgerissen hatte. ,,Liz..", flüsterte ich leise und verwandelte mich kurzerhand ebenfalls. Nun waren wir auf Augenhöhe und ich flog zu ihr hoch. Mein Kopf meldete sich schmerzend zu Wort; es war jedes Mal der schnelle Perspektivenwechsel, der mein Gehirn auf Hochtouren arbeiten ließ. Auch das Gehirn einer Fee konnte überlastet werden.
,,Lass deinen Vater nicht alleine", sagte ich leise und setzte mich neben sie. Ich legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an mich heran, wobei meine Flügel Ihre berührten.
,,Ich weiß. Es tut nur so sehr weh", ich unterbrach sie, bevor sie sich in Rage redete.
,,Mach es dir nicht noch schwerer! Du bist eine klasse Fee, sie schaut von oben stolz auf dich herab!", Liz lächelte weich und ich drückte sie an mich. ,,Danke, Bia.", flüsterte sie und ich winkte ab.
Dann stand ich auf und flog in die Luft. Meine weißen Flügel schlugen leise in die Luft, sie waren ein Teil von mir, wie Arme und Beine.
„Jetzt hilf mir Packen, du fauler Feenstaub!", lachte ich, als ich wieder in meiner menschlichen Form vor ihr stand.
Und wir machten uns an die Arbeit. Schließlich sollten wir bis spätestens heute Abend in der Schule sein. Denn dafür packten Liz und ich. Für die Schule, die Wish High. Der Ort, den ich jedes Jahr aufs Neue aufsuchte, um mich von Lehrern quälen zu lassen, wie jeder Schüler.
Und als wir diesen Abend ankamen, erwartete uns schon Ms. Larche, die Leiterin des Schlosses, welches wir seit zwei Stunden im Auto anstrebten. Meine Mutter saß am Steuer und als sie Ms. Larche erblickte, stöhnte sie auf. „Oh Nein", murmelte sie und ich musste grinsen. Wir waren in der Tat spät dran, die untergehende Sonne erhellte den Schloss-Parkplatz, auf dem nur zwei Autos standen. Meine Mutter fuhr vor und ließ das Fenster runter. Die Direktorin beugte sich mit geradem Rücken runter zum Auto und sah meine Mutter abwartend mit strengem Blick an.
Liz und ich tauschten Blicke. „Ms. Mart, sie sind spät dran.", stellte Ms.Larche fest und fasste sich an das linke Handgelenk, welches von einer schlichten silbernen Uhr geziert wurde.
„ In zehn Minuten schließt der Schloss-Parkplatz.", meine Mutter riss gespielt überrascht die Augen auf und zog die Augenbrauen ungläubig hoch. „Das wusste ich nicht. Ich werde mich beeilen!"
Liz grinste über beide Ohren und ich wand meinen Kopf von Ms.Larche ab, damit sie nicht mein Lächeln sah. „Gut, dann machen sie das." Ms.Larche entfernte sich von dem Auto und wackelte in ihren Halbschuhen die Schlosstreppe hoch.
„Muss sie jeden wie ein kleines Kind behandeln? Da kotz ich gleich Einhörner.", schimpfte meine Mutter und lehnte sich im Fahrersitz zurück.
Dann atmete sie aus, fuhr an den Rand der Kies-Einfahrt und drehte sich zu mir und Liz um.
„So, Mädchen, bitte baut nicht zu viel Mist und ruft an, wenn etwas ist! Auch du, Liz! Wenn was passiert, rufst du auf jeden Fall mich gefälligst an, verstanden?", sie drohte Liz mit dem Zeigefinger, bevor sie fortfuhr: „dann heißt es wohl Abschied nehmen." Sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte mich sanft an. Innerlich seufzte ich auf. Jetzt wird sie weinen.
„Komm her!", rief sie und während sie sich über die Mittelkonsole lehnte, um mich zu umarmen, hörte ich schon, wie sie anfing, zu schniefen. „Mom, mach kein Drama draus. Wir sehen uns in vier Wochen doch schon wieder!", außerdem hast du das Internat vor vier Jahren vorgeschlagen, nicht ich, fügte ich in Gedanken hinzu. Aber sie ignorierte meine Worte und presste mich an sich, so dass ich in ihre blonde Mähne gedrückt wurde und das Gesicht verzog.
Meine Mutter winkte mit der Hand und keine Sekunde später, wurde auch Liz von der blonden Haarmähne meiner Mutter verschluckt. „Ist gut, Mom!", brachte ich durch die Haarmengen hervor.
Aber meine Mutter achtete schon wieder nicht auf mich. Das wurde mir zu viel.
„MOM!" rief ich und drückte mich weg von ihr. „Wir sehen uns in vier Wochen.", ich drückte meiner verdatterten Mutter einen Kuss auf die Wange und stieg rasch aus, bevor sie noch etwas erwidern konnte.
Ich ging ums Auto herum und öffnete den Kofferraum. Nun kam auch Liz dazu, um mir zu helfen und nahm sich ihren pinken Koffer. Ich schnappte mir den Schwarzen. Gemeinsam gingen wir die Schlossstufen hoch und winkten meiner Mutter, als sie traurig blickend davon fuhr.
DU LIEST GERADE
The White fairy #JustWriteIt
МистикаUnsere Eltern erzählen uns immer Geschichten von Feen. Von den kleinen Wesen mit den bunten Flügeln. Aber es gibt sie. Und Bia ist eine von ihnen. Mit ihren Freundinnen besucht sie die Wish High. Ein Feen-Internat. In ihrem achten und v...