Grau ist nicht normal

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„Sport und Englisch?", Liz schnaubte und schaute empört auf ihren Stundenplan herunter.

„Auch noch mit dem Burger!", Burger war die Deutsch- und Geschichtslehrerin an der Wish High und hieß eigentlich Ms. Bug, aber ihre zunehmende Fülle und die Tatsache, dass sie am liebsten Burger aß, brachten sie zu diesem Spitznamen. Ich blickte auf meinen Stundenplan. Feengeschichte hatte ich zum Glück nicht bei Ms. Burger, aber Mathematik ist nichts gegen die Burger. Liz und ich regten uns den ganzen Weg zum Mädchenturm über unsere Pflichtfächer auf, verglichen Stundenpläne und ärgerten uns über die Lehrer. Wir öffneten die Tür zum Mädchenturm und betraten den riesigen Aufenthaltsraum. Er sah aus wie immer, mit den weiblichen Feen-Bildern an der Wand und den Boyband-Postern. Daran würde ich mich nie gewöhnen. Die nervigen Erst-Lehrlinge, die ihren Idolen selbst im Aufenthaltsraum anschmachten mussten. Ohne dem Raum noch mehr Beachtung zu schenken, gingen wir die Treppe ins vierte Stockwerk des Turmes hoch und betraten den Flur zu unserem Zimmer. Ich war schon wieder am Schwitzen. Wer hatte die Idee, dass die Schüler jedes zweite Jahr einen Stockwerk hochziehen sollten? Achtes Jahr, vierte Etage.

Wir schleppten uns zu Zimmer 428 und drehten den Schlüssel im Schloss. Der einzige Vorteil, den das vierte Stockwerk besaß, waren die größeren Zimmer mit eigenem Badezimmer. Bis zum fünften Jahr gab es Gemeinschaftstoiletten und Duschen. Im achten Jahr gab es eine eigene Dusche, Toilette und Waschbecken. Statt zwei schmalen Betten aus billigem Holz, gab es riesige Betten aus Ebenholz und für jeden einen Schreibtisch und eigenen Kleiderschrank, mit bereits fein gebügelten und sauber auf gehangenen Schuluniformen gefüllt. Unsere Stufenleiterin für die Mädchen befand sich am Ende des Ganges. Sie hatte die Funktion der Mutter während der Zeit im Internat.

„Ich glaube, ich werde mich nie dran gewöhnen!", seufzte Liz und lies sich auf ein Bett fallen. Damit war die Frage,wer wo schlafen würde, geklärt.

Ich ließ mich auf das andere Bett fallen und schloss die Augen.

Ich kickte die Schuhe von meinen Füßen und kuschelte mich in meinen Klamotten unter die Decke.

„Gute Nacht, Liz", murmelte ich noch, dann war ich auch schon eingeschlafen.


„Komm schon! Bia, wir müssen los!", rief Liz durch das Zimmer und ich öffnete die Augen. Helles Sonnenlicht begrüßte mich und ich gähnte. „Bia!", rief nun eine weitere Stimme, allerdings viel freundlicher als Liz.

Bevor ich mich auch nur aufsetzen konnte, fiel schon jemand auf mich drauf und ich japste auf.

„Ich bekomm keine Luft", presste ich hervor und das Mädchen mit den violetten Haaren grinste mich freudig an, als ich mich aufsetzte.

„Dein Weiß ist ja noch stärker geworden.", bewunderte sie meine Haare und wickelte sich eine Strähne um den Finger.

„Ich hab dich auch vermisst", murmelte ich lachend und zog sie in meine Arme.

„Übrigens traut sich Liz dieses Jahr auch.", sagte ich noch immer lachend und zeigte auf den blonden Tornado, der durch das Zimmer wuselte. Sie blieb kurz stehen, um uns schüchtern anzulächeln und nahm dann ihre Arbeit wieder auf.

„Ui", quietschte Violett auf. Ich schälte mich aus dem Bett und während ich mich im Bad umzog, hörte ich, wie Violett Liz bei der Farbauswahl beriet.

Dieses Jahr traute sich Liz endlich auch. Sie ließ ihre Haare in den Farben ihrer Flügel erstrahlen.

Es war ein uralter Brauch der Feen, die Haare an die Flügel anzupassen, es zeugte von einer selbstlosen Fee, und gleichzeitig das Schicksal als Fee annahm. Schon nach meinem ersten Jahr ließ ich meine Haare verzaubern und nun war Liz dran.

Meine grau-weißen Haare gingen mir bis zum Bauchnabel und waren nur schwer zu bändigen, weshalb ich sie meist zusammennahm oder die Jüngeren Mädchen nach einer Flechtfrisur fragte.

Sie taten es mit Freude, da ich eine der Wenigen Mädchen auf dem Internat mit so langen Haaren war und sie auch noch mit der Mähne spielen ließ.Im Speisesaal war alles festlich dekoriert, die zwei Rechtecke, die aus Tischen bestanden waren schon gut besetzt und es roch köstlich. Gemälde, die aus allen Farben bestanden, die es gab, zierten die hohen Steinwände und die hohen Fenster ließen die Sonne auch in diesem Raum vorbeischauen.

„Jedes Mal übertreiben sie", grummelte Violett und nahm sich ein Tablett, um sich an die Essensschlange zu stellen.

Sie hatte Recht, denn nicht nur Gemälde schmückten die Wände, sondern auch Banner in bunten Farben mit Sprüchen, wie: Nicht nur Engel haben Flügel oder keiner kann alles erklären, wir schon. Luftschlangen und blinkende Fäden hingen von der Decke herab und im Hintergrund wurde klassische Musik gespielt. In meinem ersten Jahr wurde jedem die Hand von Ms.Larche geschüttelt und das war's. Nichts. keine Dekoration. keine Musik.

Eine alte stämmige Dame, mit fettigen Haaren, die sie unter einem Haarnetz zu verbergen versuchte, häufte uns Rührei auf die Teller, während hinter ihr, in der Küche, die verzauberten Pfannen und Töpfe, Gewürze und Zutaten sich von selber zu Rührei kochten. Gerade flog eine Pfanne auf den Herd, als die Köchin mich weiterwinkte.Ms.Gubensteen war eigentlich eine nette Köchin, aber auch sie hatte ihre schlechten Tage und am ersten Tag hatte sie sowieso nichts zu lachen.

Violett strebte eine Ecke des Mädchentischrechtecks an, gefolgt von mir und Liz, als ich plötzlich etwas spürte. Ich drehte mich zur Seite und sah einen Jungen, der mich aus leuchtenden Augen anstarrte. Er war wahrscheinlich im ersten Jahr und musterte neugiertig mein Haar.

Anscheinend hatte er noch nie grau-weiße Haare gesehen.

Ich kannte das bereits. Nicht viele hatten sich für grau entschieden. In meinem Jahrgang sowie in den weiteren zwei Gängen unter mir hatte sich keiner für Grau entschieden, und wahrscheinlich auch nicht die darunter liegenden. Grau war keine übliche Feenfarbe. Wobei meine Flügel, sowie Haare, jedes Jahr ein Stück weißer wurden. Ich wusste nicht, woran das lag, aber wahrscheinlich würde ich bald durchgehende weiße Haare besitzen und nicht mehr wie ein frühzeitig gegrauter Teenager wirken.

War auch besser so. Mir gingen die Blicke der normalen Menschen außerhalb des Internats auf die Nerven.

„Was hast du in den Ferien gemacht?", fragte ich Violett, als wir saßen. Sie nahm sich den Apfel, der auf meinem Tablett ruhte, und biss genüsslich hinein.

„Hey!", rief ich und das Mädchen neben mir, ein paar Jahre jünger als ich, warf mir einen Blick zu.

Ich ignorierte ihn und starrte stattdessen empört zu Violett.

„Das ist meiner! Hol dir einen eignen vom Tisch!", ich deutete auf den großen Tisch neben der Essensausgabe, der mit Obst, Gläsern und Säften ausgestattet war.

„Hol dir doch einen.", gab sie zurück und grinste mich an.

Ich stand schnaubend auf und auf dem Weg zum Tisch rief sie mir noch hinterher: „ich war in der Karibik in den Ferien!" Ich schnaubte wieder. Karibik, ja klar. 


The White fairy #JustWriteItWo Geschichten leben. Entdecke jetzt