Geht es weiter?

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Tage sind vergangen. Tage voller Schmerzen und Todeswünschen. Ich habe eine wenig gegessen, ich habe geduscht und mich rasiert. Jeden zweiten Tag. Alina würde sicher nicht wollen, dass ich stinke und wie ein Penner aussehe.Also dusche ich ab jetzt. Und ich esse ein wenig. Was viel schlimmer ist, ich muss wieder zur Arbeit. Ich weiß nicht, wie ich mit den Kunden reden soll. Ich möchte nicht, dass mich die Kollegen mitleidig anschauen. Ich möchte nicht unter Menschen und ich möchte nicht reden. Aber mein Arzt sagt, es sei Zeit zurück ins Leben zu finden. Ich finde er ist ein Idiot. Allerdings muss ich wieder Arbeiten,wenn er mich nicht weiter krank schreibt. Normalerweise habe ich Schwierigkeiten aufzustehen. Ich verschlafe ständig. In den letzten Monaten hat mich Alina geweckt. Wenn sie da war direkt, ansonsten hat sie angerufen. „Guten Morgen, aufstehen!" Ich höre ihre Stimme noch in meinen Ohren klingen. Oder sie hat mich ausgefragt, am frühen morgen. Warum ich nicht angerufen habe, wieso keine SMS kam, ob ich böse sei. Sie konnte immer diskutieren. Heute würde ich alles dafür geben, eine Diskussion mit ihr zu führen. Unbedingt sogar jetzt am frühen morgen. Sie ist nicht da. Ich konnte aufstehen. Ich habe heute nicht verschlafen, weil ich nicht schlafen konnte. Ich schlafe wenig, weniger als zuvor. Mich plagen Albträume. In meinen Träumen sehe ich sie im Feld liegen, neben einem brennenden Auto, das auf dem Kopf liegt. Sie ist blutüberströmt. Ihr Kopf scheint nicht mehr richtig auf ihrem Körper zu sitzen, sondern hängt schräg hinunter. Ihre Beine sind gebrochen, Knochen stehen hervor. Ihr Arm ist nach hinten gebogen. Teilweise hängt ihre Haut in Lappen herunter. Sie sieht ein wenig aus, wie ein Zombie aus einem Horrorfilm. Dann öffnet sie ihre Augen und schaut mich an. Sie fragt mich: „Sollen wir es treiben? Noch lebe ich. Noch kann ich das für dich tun. Dann kann ich gehen und du hast eine positive Erinnerung an mich!". Ihre Stimmer erstickt und Blut läuft unaufhörlich aus ihrem Mund. Ich erwache schreiend. Immer derselbe Traum. Natürlich hat sie das zuletzt nicht zu mir gesagt. Sie hat gar nichts gesagt. Sie war sofort tot. Tot, tot, tot.

Ich habe positive Erinnerungen an sie. Tausende. Man möchte nicht glauben, dass man nach so kurzer Zeit, es waren nur wenige Monate, so viele positive Erinnerungen an jemanden haben kann. Ich kann. Sie wollte mich sooft küssen und fast genauso oft habe ich mich weg gedreht. Ihre Küsse verwehrt. Mich angestellt, sie fort gestoßen. Ich wollte sie auch küssen. In jedem dieser Momente. Ich wusste es manchmal selbst nicht. Ich weiß es jetzt. Ich vermisse jeden Kuss, den ich ihr nicht gegeben habe. Heute würde ich sie küssen, sie im Arm halten und nie wieder los lassen. Sie an mich drücken, über den Kopf streicheln. Hätte, könnte, wollte sollte. Es ist zu spät. Meine Arbeitskleidung trage ich bereits. Ich trage sie seit gestern und die meiste Zeit über habe ich wieder an die Decke gestarrt. Weiß, befreiendes, sicheres Weiß. Ich denke es ist meine neue Lieblingsfarbe. Ich schaue auf die Uhr. Ich muss jetzt los. Ich greife nach meinen Autoschlüsseln, bemerke wie meine Hand zittert. Ich habe ein neues Auto. Fast das selbe wie zuvor. Das alte war nicht zu reparieren. Ich habe es nicht gefahren seit Tag X. Ich konnte mich nicht in ein Auto setzen und es fahren. Heute werde ich müssen. Zur Arbeit, während der Arbeit, zurück.

In einem Auto zu sitzen ohne sie fühlt sich plötzlich falsch an. Alles ohne sie fühlt sich falsch an. Ich muss jetzt fahren. Ich will nicht, aber ich will auch nicht mehr leben und ich bin noch hier. Also los. Ich schlurfe die Treppen hinunter, gehe meiner Angst entgegen. Stehe vor meinem Auto. Einsteigen, fahren, leben. Ich will es nicht. Ich muss.


In deinen Schuhen-Für immer du!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt