Ich sitze hier und starre an die Decke. So tue ich es in letzter Zeit sehr häufig. Ich sehe an die Decke, sie ist weiß. Ein Weiß, dass in meinen Augen brennt und mir Kopfschmerzen macht. Ich rede mir ein, dass die Kopfschmerzen von dem Weiß der Decke kommen und nicht von meinen Gedanken die mich auffressen. Das ist für einen kleinen Augenblick tröstlich. Tröstlich, weil es bedeutet, dass ich für eine Minute oder vielleicht sind es auch nur dreißig Sekunden, vergessen kann. Das Weiß ist dann allgegenwärtig. Es erfüllt mein Gehirn, meine Gedanken. Leider nur für sehr kurze Zeit. Dann kommt alles wieder hoch. Der Schmerz in meinem Kopf ist betäubend. Er wandert von meinem Kopf weiter hinab zu meinem Herzen und meinem Bauch. Dann schmerzt alles. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es so weh tut, dass es mich umbringt. Das wünsche ich mir insgeheim. Ich wünsche mir, dass der Schmerz mich umbringt. Das wäre fair. Ich wäre da wo ich sein sollte. TOT! Tot, tot, tot. Das Wort hallt in meinem Kopf. Der Tod! Das Ende. Verschwunden. Sie ist tot. Ich habe sie umgebracht, verschwinden lassen. Die Polizei sagt etwas anderes. So etwas passiere. Unaufmerksam für wenige Sekunden, nasse Straßenbahn, Kontrolle verloren, Überschläge, Flammen. Sie trug keinen Gurt. Sie wurde aus dem Auto geschleudert, mit einer unglaublichen Wucht. Sie war sofort tot. Tot, tot, tot. Mir wurde natürlich alles wesentlich detailierter erklärt. Das Gutachten war seitenlang. Ich kann mir keine Fakten merken und sie sind auch unwichtig. Das einzig wichtige, ich lebe, sie ist tot. Tot, tot, tot. Sie ist es, weil sie nicht angegurtet war. Sie war es nicht, weil sie mich befriedigen wollte. Sie war der Meinung, dass es das einzige war, bei dem sie mir gegenüber nicht versagte. Das könnte sie! Das konnte sie auch. Sie konnte soviel mehr. Aber ich war nicht in der Lage ihr das zu zeigen. Stattdessen gab ich ihr das Gefühl, nicht zu genügen, sie nicht zu lieben. Ich ließ sie in dem Glauben, sie wäre Schuld an meiner Blockade, dass ich nicht zu hundert Prozent zu ihr stehen wollte. Das Sex das war, warum ich an ihr festhielt. Weil der Sex so gut war. Deswegen hat sie den Gurt gelöst, sich über mich gebeugt und meinen Schwanz gelutscht, dann ist sie gestorben. Aus dem Auto geschleudert, mit dem Gedanken, dass ich sie nicht geliebt habe.
Der Schmerz der jetzt in meiner Brust sitzt ist unerträglich, andauernd. Aber er bringt mich nicht um. Ich lebe. Sie sollte leben. Nicht ich. Ich habe sie umgebracht. Weil ich benebelt war, die Sinne berauscht von dem, was sie getan hat. Was sie nur getan hat, um mir zu gefallen-denke ich zumindest. Sie wollte den Urlaub in Bayern gut machen. Sie dachte sie hätte ihn mir versaut. Weil ich so dumm war und sie das habe glauben lassen. Ich war dumm. Sie war die Richtige, die Eine. Man trifft eine Frau wie sie nur ein einziges Mal. Man hält jemanden wie sie fest und lässt sie nicht sterben mit den Gedanken nur für Sex gut zu sein. Wenn ich nicht so ein Feigling wäre, würde ich mir die Pulsadern durchschneiden. Oder das Gehirn weg schießen. Schlaftabletten sind auch keine schlechte Lösung. Aber ich bin feige. Jetzt, früher und immer. Zu feige ihr meine wahren Gefühle zu zeigen. Zu feige mich umzubringen, damit ich bekomme, was ich verdiene. Vielleicht tue ich das trotzdem irgendwann. Vorerst liege ich hier und hoffe es geht von alleine. Sind nicht schon viele Haustiere aus Trauer gestorben? Vielleicht schaffe ich das auch. Dann kann ich sein wie ich immer bin. FEIGE!
Ich starre wieder an die Decke. Ich denke an die Beerdigung. Bis zu diesem Tag war ich wie betäubt. Ich hatte kaum Verletzungen. Man hatte mich schon nach zwei Tagen aus dem Kranken- haus entlassen. Ich lag hier auf dieser Couch, wie ich es jetzt tue. Ich aß nicht und ich schlief nicht wirklich. Das Telefon klingelte unentwegt. Ich lies es klingeln. Ich wollte niemanden sprechen, niemanden sehen. Ich verdiene kein Mitleid, selbst heute nicht. Das einzige, was ich tat-ich trank. Ich arbeite mit Kunden zusammen und man bekommt sehr oft Wein geschenkt. 37 Flaschen. Sie sind alle leer und stehen hier aufgereiht. Ein Zeugnis meiner Abwesenheit. Ich habe jede einzelne geleert, über Tage, vielleicht Wochen. Als ich bei Flasche 25 angekommen war, klingelte es. Das war nicht unübliche. Irgendwer versuchte ständig mich aus meiner Lethargie reißen zu wollen. Ich beachtete es gar nicht. Trank weiter Wein, versank in meinem Selbstmitleid und dachte an sie. An ihr Gesicht und ihr süßes Lächeln. Wünschte mir ihre Stimme herbei, die mit meinen beiden Katzen redete. Sie hätte mich ebenso anschreien können. Ich wollte sie nur hören. Dachte an ihre weiche Haut und an ihren Körper in meinen Armen. Wollte sie spüren. Physisch und psychisch. Die Erinnerung an sie war so brennend deutlich, ich konnte sie fast sehen, wie sie mir vor mir stand. Wie sie gestikulierte und mir erklären wollte, warum Iphones und Facebook die Welt zerstören. Das war immer ein Diskussionspunkt zwischen uns. Ich hielt das ganze für nützliche neue Technik. Ich wollte auf der Höhe sein, liebte es an meinem Iphone rum zu spielen. Hatte im Facebook über hundert Freunde. Ich hielt sie alle für echte Freunde. Fand es wichtig zu kommunizieren, immer zu wissen, was gerade passierte. Sie hasste es. Sie hätte am liebsten ein Handy aus der Steinzeit gehabt. „Bevor ich mich bei Facebook anmelde, hacke ich mir meine Finger ab!", hörte ich sie sagen. „Das sind nicht deine echte Freunde. Diesen Leuten bist du egal. Die sind nicht da, wenn du sie brauchst! Ich bin da, aber die?" Wenn ich nur damals erkannt hätte, wie Recht sie hatte. Jetzt ist sie weg und ich allein. Das Klingeln rieß mich erneut aus meinen Gedanken. Wieder und wieder. Da war jemand sehr hartnäckig. Ich wollte trotzdem nicht öffnen. Als nach einer halben Stunde das Klingeln immer noch nicht verstummt war, war mein Interesse geweckt. Jetzt wollte ich doch öffnen. Es war keiner der üblichen Besucher. Ich schwang mich von der Couch hoch und torkelte zur Tür, betätigte den Summer. Bereits im Treppenhaus vernahm ich lautes gepolter. Langsam stieg mir der Alkohol zu Kopf. Deswegen lehnte ich die Haustür an und schwankte zurück ins Wohnzimmer, sackte auf die Couch und wartete. „Hallo?!", rief mich eine aggressive Stimme, die ich im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Ich gab ein grunzendes Erkennungsgeräusch von mir und registrierte, dass die Haustür geschlossen wurde und jemand ins Wohnzimmer kam. Das Grauen! Denn plötzlich stand ihr bester Freund vor mir. Rechts und Links trug er zwei Tiertransporter und ich ahnte, was sich in ihnen befand. Ihre beiden Katzen. „Wieso bringst du mir die beiden!", nuschelte ich ihm entgegen. Wütend starrte er mich an. In diesem Moment hoffte ich inständig, er würde mich umbringen. Tat er leider nicht. Stattdessen stiegen ihm Tränen in die Augen:" DU hast sie getötet!", schluchzte er „Ich weiß, dass das nicht stimmt. Aber für mich hast du sie mir genommen. Sie kommt nie mehr zurück. Ich bin alleine, für immer. Ich wusste nicht mal von dir. Vielleicht hätte ich verhindern können, dass sie mit dir fährt. Dann wäre sie noch hier. Jetzt ist es zu spät. Und DU wirst tun was ich dir sage. DU nimmst ihre Katzen. Ich kann es nicht ertragen die beiden zu sehen. Wenn ich die beiden anschaue, verfolgt sie mich wie ein Geist. Ich höre und sehe sie überall, obwohl ich doch weiß, dass sie nicht da ist." Ich wurde aufmerksam. Wenn er sie sah und hörte, durch die Katzen, konnte ich es vielleicht auch. Er wollte ihren Geist nicht, ich schon. Er redete weiter: „Ich habe mit ihren Eltern gesprochen. Sie denken sie hätte gewollt, dass du sie nimmst. Also tust du es. Sie haben versucht dich zu erreichen, auch wenn sie dich nicht kennen. Sie schaffen es nicht und deshalb sollst du auf der Beerdigung ein paar Worte sagen!" Er schmieß mir einen schwarzen Anzug und schwarze Schuhe hin. „Die habe ich von deinen Eltern. Die konnten dich auch nicht erreichen. Zieh ihn an, wir müssen los!"
Fassungslos sah ich ihn an. War die Beerdigung heute. Ich fühlte mich nicht als könnte ich auch nur ein Wort sprechen. Hatte ich überhaupt gesprochen, seit es geschehen war? Es schien, als ließe er keine Ausrede zu. Unruhig tippte er mit seinem Fuß auf den Boden. Er stellte die Transporter ab und befreite die Katzen. Sekunden später ging ein wildes Gerangel mit meinen beiden Katzen los. Das ist normal. Wenn man Katzen zusammenführt, bekriegen sie sich die ersten Tage. Wir griffen beide nicht ein.
Ich weiß nicht mehr, wie ich in den Anzug kam, wer zur Beerdigung fuhr (wahrscheinlich er, mein Promillespiegel war beängstigend hoch) und warum ich plötzlich vorne neben dem geschlossenen Sarg stand und eine große Menge von Menschen mich angaffte. Mir wurde nun schlagartig bewusst, dass ich reden sollte. Mir fiel auf wer alles da war, ihre Eltern, sogar meine. Verwandte die ich bis dahin nicht kannte, Freunde von ihr, ihre Schwester, Arbeitskollegen, sogar unser Chef. Es kam mir vor wie Heuchelei, dass einige von ihnen hier saßen. Aber für Wut war keine Zeit, ich sollte sprechen. „ Sie war verrückt!", ein empörtes Raunen ging durch die Menge. „Sie war verrückt, launisch und zickig. Sie wollte immer Recht haben, war altklug, hatte immer das letzte Wort. Wir haben oft gestritten und ich hätte sie manchmal erwürgen können. Sie hat mir ständig Druck gemacht, gewettert und geschimpft. Ich hatte keine Luft zum atmen...!", ich schluckte und ignorierte die schockierten Augen der Anwesenden. „Sie war einzigartig. Wahnsinnig intelligent und individuell. Liebenswert,treu und fürsorglich. Sicher der fürsorglichste Mensch der ganzen Welt. Sie war leidenschaftlich. Die pure, echte und wahrhaftige Leidenschaft. Wild und ungezähmt. Ihre Haut war weich wie samt und roch nach Blumen und Kokosnuss. Und schmeckte nach Leben. Ihr Küssen waren Feuer, die auf meinen Lippen und Haut brannten. Sie war alles. Ich liebe sie. Jetzt noch, wie gestern, wie morgen. Mir war das die ganze Zeit als sie lebte nicht klar. Es war kein meckern und zicken, sie war nicht verrückt. Sie war Alina und sie war sie. Sie sollte mein Leben sein und jetzt ist sie verschwunden. Ich habe sie verschwinden lassen. Ich hoffe aus meiner tiefsten Seele heraus, dass sie alle hier mich hassen. Verachten sie mich und bitte, bitte wünschen sie mir den Tod. Ich habe ihn verdient. Ich sollte da liegen und nicht sie. Sie ist gegangen und hat mich mitgenommen. Ich hasse mich selbst!" Mit diesen Worten drehte ich mich zu ihrem Sarg, hoffte für einen kurzen Moment, alles wäre nur ein grausamer Traum. Dann verließ ich die Beerdigung.
Seitdem liege ich hier. Ich stinke und ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geduscht oder meine Zähne geputzt habe. Der Wein ist leer. Ein Jammer. Ich müsste das Haus verlassen, um neuen Alkohol zu besorgen. Ich will nicht. Ich will hier liegen und sterben. Aber es passiert nicht. Mittlerweile verstehen sich ihre Katzen mit meinen sehr gut. Ich selbst esse nichts, aber die Tiere versorge ich sehr gut. Ich bestelle alles im Internet. Ich muss die Wohnung nicht verlassen, um für die Tiere da zu sein. Sie hätte das gewollt. Also tue ich es. Während ich hier so dar liege, springt Mimm eine kleine schwarze Katze auf meinen Bauch. Es war ihre. Jetzt ist es meine. Ich habe Mimm und die drei anderen schon oft gebeten, mir im Schlaf die Kehle durch zu trennen und meine Überreste aufzufressen. Aber sie wollen alle immer nur schmusen. Sie tun mir nichts. Ich habe ihre Liebe nicht verdient. Trotzdem bekomme ich sie. Wir ungerecht die Welt ist.
Ich streichle Mimm, die auf meinem Bauch liegt und überlege was ich tun soll. Wage ich mich unter die Dusche und unter Menschen, nur um an Alkohol zu kommen. Ich kann auch ungeduscht gehen. Dann falle ich auf. Das will ich nicht. Ich will vermeiden angesprochen zu werden. Dafür muss ich unauffällig sein. Also wenn, dann duschen. Es behagt mir nicht diese Couch zu verlassen. Wer Alkohol will muss sich bewegen. Soll ich doch duschen? Ist wohl am klügsten. Sanft schubse ich Mimm von meinem Bauch und setze mich aufrecht hin. Kleine Schritte, einer nach dem anderen. Ich werde es schaffen, nehme ich mir vor.
DU LIEST GERADE
In deinen Schuhen-Für immer du!
RomanceAlina liebt Sam...aber eigentlich sollte es heißen Alina liebte Sam. Alina ist TOT. Und sie wird niemals zurück kehren und Sam wird sie nie wieder in den Armen halten, oder...?