Wie sie dort lag.
Bleich, eingefallen.
Mein Körper vibrierte wie eine angeschlagene Stimmgabel.
Meine Füße stoppten vor ihrem Bett.Wie stark konnte sich ein Mensch verändern, und das nur binnen Tagen.
Dort, dieser Mensch dort.
Das war nicht mehr sie.Ihre Haut war gräulich und spannte sich faltig über die Knochen wie ein Tuch. Blaue Gewächse aus Adern rankten sich über Lider und Hals. Ihr Brustkorb hebte und senkte sich, doch jeder schwache Atemzug bedeutete nur mehr Angst, dass es ihr letzter gewesen sein könnte. Wäre da nicht die Maschine.
Die Kasten um sie herum piepten, knatterten und blinkten. Sie war verworren mit Kabeln und Schläuchen und ich konnte einfach nur ungläubig auf ihr Bett blicken.
Wo war ihre Energie?
Ihre Lebensfreude?Ich musste mich am Bettgestell festhalten, um nicht umzukippen.
Ihr Anblick ließ mich immer wieder stocken.
Jeden Tag sah ich, wie ihr ein weiteres Stück Kraft entglitt."Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass keine Hinsicht auf Besserung besteht."
Nein.
"Es bestehen zwei Möglichkeiten."
Der Arzt trat neben mich an ihr Bett."Wir lassen sie noch weiter schlafen..."
Oder?
Ich wusste das Oder, jeder konnte sich die andere Antwort bei ihren Anblick zusammenreimen. Es besteht keine einzige Chance mehr auf Hoffnung. Doch wollte ich es hören, wie er es aussprach. Ich wollte es aus seinem Mund hören, um es vielleicht endlich begreifen zu können."Oder wir stellen die Maschine ab."
Dieser Gedanke, sie einfach abzustellen.
Er nagte.Ich wollte sie nicht wie einen Gegenstand auf die Seite stellen.
Sie ist ein Mensch.Ich fühlte nichts und dennoch warf es mich dermaßen aus der Bahn. Ich konnte nichts ordnen. Ich war einfach überfordert und wusste nicht mehr, was ich denken sollte.
Die Ärzte meinten, es sei ein natürlicher Effekt zur Selbsterhaltung. Dass Menschen diese tief schneidende Art von Trauer nicht verarbeiten können.
Aber meine Gleichgültigkeit bestand nicht nur meiner Mutter gegenüber.
Sie stand gegenüber Allem und jedem.
Gegen Dinge, die mir nicht egal sein sollten. Gegen Menschen, die ich eigentlich lieben sollte.Dieses Gefühl des Nichts sollte mir nicht egal sein. Doch wenn wir Menschen diesen Selbsterhaltungsdrang haben, hat es dieses Gefühl auch.
Wenn einem alles egal ist, war einem auch das Gefühl egal.
Aber Marley.
Mein Kopf sagte mir, es sei nicht gut, ihr, wie sie soviel für mich getan hatte, nichts entgegenzubringen.
Mein Herz schaffte es nicht mehr, sie zu lieben.Mein Kopf sagte mir, es sei nicht gut, all die Menschen um mich zu belügen.
Aber mein Herz schaffte es nicht mehr, sie zu lieben.All diese Menschen, all meine Freunde, sie.
Nichts schien mir von Bedeutung und doch war es von entscheidender Wichtigkeit.
Ich pendelte zwischen Welt und dem Nichts, doch konnte ich mich weder von dem einem noch dem anderen lösen. Obwohl ich mich eigentlich abgelöst fühlte.
Oder einfach aufgelöst.Doch sie hielten mich.
Sie waren alle noch da, wie am ersten Tag.Und ich wusste, dass ich sie noch brauchte. Dringend.
Ich musste bei ihnen bleiben, mit ihnen sprechen, ihnen versichern, dass es mir gut ging.
Obwohl dieses Leben so aufgesetzt war, wie meine Lügen.
Es war nichts wert.Es war alles stumpf, doch trotzdem hallte ein Echo. Als Erinnerung, dass ich musste.
Marley nahm meine Hand, ich fühlte ihre warmen Finger.
Ich liebe sie, zumindest dachte ich das.
Und das war das Problem.
Ich denke.
Nichts anderes tue ich mehr, außer denken. Ich will es wissen, so wie früher. Nicht nur vermuten.
Ich will es spüren.
Ich will halb ohnmächtig werden, wenn sie mich küsst, taube Finger bekommen, wenn sie mich nur anschaut.Doch es konnte nichts anderes außer Liebe sein.
Sie gab mir so ein anderes Gefühl.In ihren Umarmungen war ich sicher, in ihren Küssen war ich geborgen.
Sie ließen mich kurz vergessen, was um mich war.
Sie rissen mich in ihre Liebe und zurück in die Realität, wenn sie endeten.Ich konnte mich nicht zwingen zu fühlen, ich konnte meine Gedanken nicht zwingen, Ruhe zu geben.
Aber sie ließ mich kurz glauben, alles sei in Ordnung. Und das war das einzige, was ich mir wünschte.
Eine heile Welt, ein heiles Stück Leben. Mit ihr, meinen Freunden - meiner Mutter.Sie war das, was ich brauchte.
Doch ich würde sie loslassen müssen.
Ich wusste es bereits ganze Zeit, ich wusste es, und doch konnte ich es nicht. Sie war mir zu wichtig, dass ich sie einfach so loslassen konnte.Die ersten Nächte ohne ihr hatte ich mir eingeredet, ich könnte nicht ohne sie leben.
Aber ich tat es.
Ganze Zeit.Ich lebte.
Ich atmete.
Ich aß.
Ich schlief.Doch ich tat nichts.
Ich saß nur rum, starrte an die Decke, strickte meine Gedanken.Ich konnte mich an viele von all den tausenden Gedankenketten gar nicht erinnern. Doch ich strickte weitere tausend.
Mein Tag bestand daraus, die Gedankenstränge zu weben, die mich nachts erwürgen sollten.
Langsam sollte eigentlich die Zeit gekommen sein, wo ich das alles verarbeitet haben sollte.
Wo ich akzeptieren sollte, dass es nunmal so war, wie es war.Eigentlich.
Ich tat es nicht.
Ich konnte es nicht.Ich wusste es alles, doch in meinem Herzen kam es nie an.
Der Glaube an Ordnung war nur eine Illusion. Alles in meinem Leben war von seinem Platz geworfen worden. Alles war durcheinander, vieles lag in Scherben.
Langsam sollte eigentlich die Zeit gekommen sein, wo ich mein Leben wieder in die Hand nehmen und beginnen sollte, das Chaos aufzuräumen.
Eigentlich.
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Dunkelschatten
Fanfiction- Germanletsplay FanFiction - Das Leben ist nicht fair. Es war nie dazu gedacht, fair zu sein. Man verbiegt sich jeden Tag aufs Neue, bloß um wieder nicht gut genug zu sein. Um wieder aufs Neue abgewiesen zu werden. Wir arbeiten, leben unsere Tage...