Sie lag in Weiß, versponnen in Maschinen, entstellt von Einstichsstellen und blauen Flecken. Ihr Brustkorb hebte und senkte sich, mühsam.
In mir war es still."Sind Sie soweit?"
Die Krankenschwester sprach mit ihr, als wäre sie noch anwesend. Sie fuhr ihr kurz durchs Haar, nahm ihr behutsam die Schläuche ab. Sie band sie von allem los, was sie am Leben hielt. Mit jedem Schlauch den sie zog, blähte sich die Stille in mir weiter auf.
Ich hatte Angst, meine Ohren könnten platzen."So, da haben wir es schon."
Die Schwester legte die letzten Kabel auf ein Tablett am Rolltisch, mit dem sie hereingekommen war. Sie nickte uns zu. "Ich lasse euch alleine." Die Frau kramte noch kurz ein paar leere Hüllen von jeglichen Spritzennadeln und Medikamenten zusammen und rollte den Wagen raus. Die Tür fiel ins Schloss und nun flüllte die Stille den Raum, die mich bereits von innen zu zerreißen drohte.Ich fühlte Marleys Hand auf meiner Schulter, aber schon wie so oft wollte mein Körper nicht. Ich saß da und war still. Ihre Hand hob meine und legte sie auf die der entstellten Frau im Bett, die gerade im Sterben lag. Meine Hand umklammerte sofort ihre Finger, rein aus Reflex, so, wie ein Baby es bei seiner Mutter getan hätte.
Ich klammerte mich an ihr fest und wünschte, sie hätte es an mir getan. Ich wünschte, sie hätte die Kraft dazu, sich an mir festzuhalten - Die Kraft, sich am Leben festzuhalten.
Doch ich konnte sie nicht vom Fallen bewahren.
Ich konnte nur bei ihr sein.So saß ich da, meine Hand so fest um ihre, dass meine Knöchel weiß hervortraten.
Die Tür fiel ins Schloss.
Marley war weg.Ich hatte mir ausgemalt, hier zu sitzen, bei ihr, in diesem Moment.
Doch über meine Lippen kam keines der Worte, die ich mir seit Wochen in Gedanken bereitgelegt hatte.Ich saß da in Stille, wartete in Stille.
Ihr Brustkorb hebte und senkte sich, immer langsamer, immer mit weniger Luft.Und dann war er ruhig.
Sie floss in die Umgebung, samt ihrem letzten Atemzug, den sie tat.Die Luft floss aus ihrem Mund und bließ die Kerze aus.
Ihre Flamme war aus.
Ihr Herz war still.Und für mich war es in Ordnung.
Sie war so sanft gegangen, nach all der Zeit, die sie gekämpft hatte.
Sie hatte es sich mehr als verdient.Sebastian und Peter wollten nicht reinkommen. Ich verstand sie, doch niemals hätte ich draußen warten können.
Ich saß da, und meine Hand lag locker auf ihrer. Ich sah sie an, stumm.
Das letzte Mal ihre Hand berühren.Ich schloss die Augen, versuchte soviel wie möglich von diesen Moment in mich aufzunehmen. Dieser Augenblick voller Frieden, voller Entspannung. Ich dachte an Maria und Mama und kurz meinte ich, ihre Stimmen zu hören.
Es waren meine Erinnerungen, die sich zu mir schlichen. Die schönsten, die ich mit ihnen hatte.
Mir fielen Dinge ein, an die ich schon seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.
Ich genoss diese Gedankenflut.
Sie strömte durch mich und riss alles los, was den Fluss blockierte. All die Zweifel und Barrikaden, die ich in mir errichtet hatte. Sie fraß sich durch all die Mauern, die ich in mir aufgezogen hatte.Ich weinte.
All die Zeit hatte sie mir genommen. Doch sie hatte sie verdient. Und ich wusste, dass es jetzt anders sein würde. Ich würde nun alles ändern, doch bereuen werde ich nichts.
Nicht, dass ich als neuer Mensch aus dem Zimmer treten würde. Ich war und bin immer noch Manuel. Bloß ein Manuel, der plötzlich erkennt, was er alles hat. All die liebenden Menschen um ihn herum. Alle habe ich ihnen vor den Kopf gestoßen, immer wieder. Und doch waren sie bei mir geblieben. Weil sie mich liebten.
Und ich tue es auch.Die Sonne fiel milchig durch das Futter der hellen Vorhänge.
Er tanzte in der zarten Brise, die durch das gekippte Fenster schlich.
Und die Zeit verging, still.Ich strich über ihre Finger.
Dann zog ich sie weg, meine Hand.Ich stand auf, drehte mich um und blickte nochmal auf die Frau in dem weißen Bett, in dem Zimmer, in das die Sonne schien.
Ich ging zur Tür und als ich diese hinter mir schloss, waren meine Tränen trocken.
"Hey, Marley."
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Dunkelschatten
Fanfiction- Germanletsplay FanFiction - Das Leben ist nicht fair. Es war nie dazu gedacht, fair zu sein. Man verbiegt sich jeden Tag aufs Neue, bloß um wieder nicht gut genug zu sein. Um wieder aufs Neue abgewiesen zu werden. Wir arbeiten, leben unsere Tage...